Aus den Feuilletons

Krankmeldung in Klagenfurt

Joachim Meyerhof liest bei dem Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt.
Joachim Meyerhof liest bei dem Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt. © dpa
Von Hans von Trotha · 03.07.2014
Erstmals in 38 Jahren hat sich beim Bachmann-Preis in Klagenfurt eine Autorin krankgemeldet. Ob deshalb die Schriftkultur wirklich ernsthaft gefährdet ist, untersucht die "FAZ".
Abgründe.
"Es ist nicht schwer, einen Sarg zu zimmern."
So beginnt ein Bericht von Karoline Meta Beisel über ein Fernsehprojekt für Kinder in syrischen Flüchtlingscamps.
"Unten eine Platte, an den Seiten irgendeine Art von Wand und obendrauf einen Deckel. Auch ein handwerklich ungeschickter Mensch kann das. Oder ein Kind. In den Flüchtlingslagern entlang der syrischen Grenze zimmern sich Kinder einen Sarg, legen sich hinein und tragen einander zu Grabe. Sie spielen Beerdigung."
Diese Szene war Auslöser für das Projekt des Deutschen Tilmann Rascher.
"Auch die Kinder sitzen vor dem Fernseher", berichtet er. "Elend haben diese Kinder schon genug gesehen".
Yalla Nehna, so der Name des Kinderprogramms, sei "die Insel in diesem Elend. ... Die Zuschauer sollen den Krieg vergessen können und wenigstens für einen Moment wieder Kind sein."
Über einen Abgrund ganz anderer Art empört sich Andrian Kreye in der SÜDDEUTSCHEN, nämlich über die Meldung, dass die NSA offenbar einen 27-jährigen Deutschen überwacht, weil der sich mit Verschlüsselung befasst.
"Was aber heißt es", fragt Kreye, "wenn schon der Versuch, sich zu schützen, als Verdachtsmoment gilt?" – "Die einzige Konsequenz kann da nur sein, dass sich jeder einzelne verpflichtet fühlt, sich mit Verschlüsselung im Netz zu schützen. Denn nur wenn der Verdachtsmoment zum gesellschaftlichen Standard wird, kann man ihn auch entkräften."
Nils Minkmar lotet in der FAZ die Abgründe des Begriffs "Doppelpass" aus. Minkmar hat nämlich zwei Pässe, den deutschen und den französischen. Und jetzt?
"Im Viertelfinale zwischen Frankreich und Deutschland geht es um alles. Ein Doppelpass ist hier keine Lösung, sondern das Problem. Man muss sich entscheiden."
Und - der Mann hat Mut - er tut´s:
"Ich bin ein sportlicher Analphabet, aber sentimental. Also für Frankreich, die haben es derzeit schwerer."
Herausforderungen des Wettlesens
Und für wen ist Peter Wawerzinek? Der beobachtet für den TAGESSPIEGEL das alljährliche Wettlesen in Klagenfurt. Er weiß, wie abgründig es da zugeht:
"So ein Wettlesen ist nicht einfach zu meistern. Am gefährlichsten sind die gemütlichen Momente. Über den Tischen steht eine dunkle Wolke, die aus losem Geplapper besteht. ... Niemand weiß, wie da wer mit wem in freundschaftlicher Verbindung steht. Freunde wie Pech und Popel, die zusammen-halten und dann ihre Daumen nach oben strecken oder nach unten senken. Man behüte sich hier. Man stopfe den Mund sich besser mit den Happen voll und nicke nur noch artig."
Die FAZ meldet: "Der Veranstalter sieht schon das Ende der Schriftkultur."
Denn: "Erstmals meldet sich eine Autorin krank: Windpocken – was", fragt Sandra Kegel, "bedeutet das für das Klagenfurter Wettlesen?" – "Das hat es in den 38 Jahren, die der Preis existiert, noch nicht gegeben, dass jemand nicht kommt."
Maja Haderlap ist eh da. Sie lebt in Klagenfurt und hat den Wettbewerb schon einmal gewonnen.
In einer Rede zur Literatur setzte sie sich „mit dem Phänomen des literarischen Sprachwechsels auseinander, den sie – als Angehörige der slowenischen Minderheit in Kärnten ... selbst durchgemacht hat. Haderlap", so Sandra Kegel, "hat den Wechsel vom Slowenischen ins Deutsche traumatisch erfahren, verbunden mit vielen Konflikten, die sie nun beschreibt."
Der Akzent in der fremden Sprache steht auch im Mittelpunkt einer anderen Rede zur Literatur, der Festrede anlässlich der Verleihung des Internationalen Literaturpreises in Berlin, gehalten von der in Japan geborenen Autorin Yoko Tawada, nachzulesen im TAGESSPIEGEL.
"Der Akzent", so Tawada, "ist das Gesicht der gesprochenen Sprache. Seine Augen glänzen wie der Baikalsee oder wie das Schwarze Meer oder wie ein anderes Wasser, je nachdem, wer spricht. Die Augen meiner Sprache enthalten Wasser aus dem Pazifik, in dem Vokale wie Inseln schwimmen. Ohne sie würde ich ertrinken."
Tawada sagt auch:
"Man spricht heutzutage vom 'Migrationshintergrund', als wäre etwas Abgründiges grundsätzlich hinter dem Rücken versteckt."
Ein Abgrund, den sie in einem sprachlichen Doppelpasses listig abfälscht und, eins zu null Endstand, verwandelt:
"Der Akzent", sagt sie, "ist der Vordergrund der Migration."