Aus den Feuilletons

Kein Volk ist "gefeit gegen Verdummung"

Von Klaus Pokatzky · 18.05.2014
Der syrische Autor Rafik Schami schreibt in der "Neuen Zürcher Zeitung" über den Krieg in seinem Land. Er meint damit vor allem die Trauer, die begleitet wird "von der Bitterkeit, dass die Syrer alleingelassen werden".
"Machen Sie sich ständig Gedanken darüber, was Ihnen entgeht." Das ist ein Zitat aus der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG - und das sollten Sie auch jetzt beherzigen, weil unser Blick in die Feuilletons immer nur einen kleinen Ausschnitt aus den Kulturseiten bieten kann. "Und selbst wenn Ihnen bewusst ist, dass Sie keine Ahnung haben ..." Stopp, das klingt zu böse - und deshalb erst einmal der Hinweis, von wem das Zitat stammt: Die SÜDDEUTSCHE gibt ein Managementprinzip des amerikanischen Milliardärs Ray Daliowieder. Also noch mal: "Und selbst wenn Ihnen bewusst ist, dass Sie keine Ahnung haben und Sie Ihr gesamtes Handeln auf Ihre Dummheit abgestimmt haben - selbst dann muss Ihnen klar sein, dass Ihnen doch noch irgendetwas entgehen könnte." Nicht entgehen soll Ihnen in diesem Zusammenhang ein Zitat des berühmtesten Fantastilliardärs des Universums: "Leute, die Geld ausgeben, verstehen nichts von den wahren Freuden eines Kapitalisten." Also sprach Dagobert Duck und ließ sich die Taler auf die Glatze prasseln. Doch kommen wir zurück zur Dummheit.
"Auf Dauer ist kein Volk gefeit gegen Verdummung", sagt Rafik Schami, "so auch die Syrer". Den syrischen Autor, der schon mehr als 40 Jahre in Deutschland lebt, hat die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG befragt. Ihn befällt "eine große Trauer angesichts der Zerstörung, die das Regime dem Land zufügt hat", erzählt er im Interview: "Diese Trauer wird begleitet von der Bitterkeit, dass die Syrer alleingelassen werden, dass nicht einmal Flüchtlinge und Kinder Hilfe bekommen." In der SÜDDEUTSCHEN werden Zahlen zum Krieg in Syrien genannt: "150.000 Tote, neun bis zehn Millionen Flüchtlinge, die Hälfte davon Kinder". Und für die kämpft jetzt das Berliner Künstler-Kollektiv "Zentrum für politische Schönheit" mit subversiven Mitteln.
Es kreierte die Website einer "Kindertransporthilfe des Bundes". "Für 55.000 syrische Kinder würden Pflegeeltern in Deutschland gesucht, schreibt Kathleen Hildebrand. Unter dem Logo des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erklärten Texte in bürokratischem Duktus die Anmeldeformalitäten. Die Aktion sei eine Neuauflage der Kinderverschickungen nach Großbritannien von 1938, die 10 000 jüdische Kinder vor dem Holocaust bewahrte. Darunter stand ein Grußwort von Bundesministerin Manuela Schwesig." Alles erfunden. Aber die Aktivisten haben immerhin einen Termin bei zwei Referenten im Bundeskanzleramt bekommen und es geschafft, "eine Woche lang in die Routinen der Berliner Politik hineinzugrätschen", wie Kathleen Hildebrand in der SÜDDEUTSCHEN feststellt. "Dürfte ich heute mitreden", sagt noch der syrisch-deutsche Schriftsteller Rafik Schami zur NEUEN ZÜRCHER, "dann würde ich etwa von der Verfassung verlangen, die Gewalt gegen Kinder mit den härtesten Strafen zu belegen". Kinder und die Wahrheit sind immer die ersten Opfer im Krieg; sie können sich einfach nicht wehren.
"Eine Aggression ist eine Aggression, ein Krieg ist ein Krieg, völkisches Gerede ist völkisches Gerede." So wird der Historiker Karl Schlögel in der SÜDDEUTSCHEN zitiert, der in Kiew an einer Konferenz zur Zukunft der Ukraine teilgenommen hat. "Es waren Gäste aus dem Westen wie der Philosoph Henri-Bernard Levi oder Frankreichs Ex-Minister Bernard Kouchner", schreibt Cathrin Kahlweit, "die, beseelt von der pro-europäischen Emphase in der Ukraine, mahnten, man dürfe die Ukraine im tristen Alltag einer fett, bürokratisch und passionslos gewordenen europäischen Routine nicht vergessen".
Und wo ist die Ukraine ein Thema jetzt im Europawahlkampf? Da können wir nur den Milliardär Ray Dalio zitieren: "Machen Sie sich ständig Gedanken darüber, was Ihnen entgeht."