Aus den Feuilletons

Ivanka Trumps perfekte Balance

US-Präsident Donald J. Trump zusammen mit seiner Tochter Ivanka.
US-Präsident Donald J. Trump zusammen mit seiner Tochter Ivanka. © picture alliance / Shawn Thew / epa / dpa
Von Arno Orzessek · 29.04.2017
Die Tochter des US-Präsidenten lebe "traditionelle Weiblichkeit", analysiert die "FAS" − zugleich demonstriere sie Selbst- und Machtbewusstsein. Auch Donald Trump himself wird beleuchtet, und zwar in der "NZZ" als ökologisch total ignorante "Avantgarde des Wandels".
"Schon sexy, wie [Frauke] Petry mit der Forderung, eine inhaltliche Debatte zu führen, aus dem Kölner Parteitag [der AfD] eine reine Petry-Personality-Show gemacht hat",
belustigte sich Friedrich Küppersbusch in der TAGESZEITUNG
Was wir inklusive des diskutablen Urteils "schon sexy" unkommentiert lassen, um auf Ivanka Trump zu kommen, Präsident Donalds regsame Tochter.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG kümmert sich im Rückblick auf Ivankas Auftritt in Berlin um deren feministischen Züge.
"Trumps Fotos zeigen immerzu die perfekte Balance zwischen Mutterschaft – sie hat drei Kinder – und Macht. Ja, es ist eine traditionelle Art des Frauseins. Darf man Ivanka Trump deshalb das Wort ‚Feministin‘ verbieten? Als ob Frauen, die traditionelle Weiblichkeit leben, nicht selbstbestimmt leben können."
So Anna Prizkau unter dem Titel "Die Frau als Front" in der FAS von diesem Sonntag.
Ob Ivanka die Avantgarde des Feminismus ist, sei dahingestellt.
Dass die USA indessen unter Präsident Trump die "Avantgarde des Wandels" sind, das behauptete in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht.
Sichtbar wird für Gumbrecht der amerikanische Avantgardismus etwa im Umgang mit der allenthalben beschworenen Klima-Katastrophe.
"Unter Europäern [so Gumbrecht] hat diese […] Erzählung eine kollektive Leidenschaft in Bewegung gesetzt, die das auf Dauer gestellte Überleben der Menschheit durch ökologisch korrektes Verhalten – gegen alle evolutionsgeschichtliche Wahrscheinlichkeit – erzwingen will. Donald Trump hingegen ignoriert alle den Klimawandel betreffenden Warnungen […].
Damit besetzt er aber – in einem langfristigen Rahmen und gewiss ohne sich dessen bewusst zu sein – eine Position, die sehr wahrscheinlich realistischer ist als die ökologisch korrekten Forderungen jener Zeitgenossen, welche die Existenz der Menschheit auf ewig stellen wollen."
Hans Ulrich Gumbrecht in der NZZ.
Wir selbst würden Trump keiner "Avantgarde des Wandels" zurechnen, nur weil er den Klimawandel leugnet und auf die Zukunft pfeift.
Pfeift nicht die Menschheit spätestens seit der ersten Industriellen Revolution im großen Ganzen auf die Zukunft des Planeten?
Womöglich traf Nietzsches Provokateur Zarathustra ins Schwarze, als er also sprach: "Was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist."

Bartstoppelbedingte Kratzigkeit

Nun, widmen wir uns Fasslicherem! Zum Beispiel dem männlichen Kinn.
In einem bedeutungsleichten Artikel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG hielt ein gewisser Thomas Mann fest:
"Das männliche Kinn bleibt eine Problemzone. Das gilt auch für die Gründlichen, Gewissenhaften, Unfaulen unter uns, die Nassrasierer. Wer hätte sich nach der Rasur nicht schon darüber geärgert, dass, während die Wangen fast schon übertrieben babyweich-speckig glänzen, das Kinn gleichsam eigensinnig in einer bartstoppelbedingten Kratzigkeit verharrt, die vielleicht beim Küssen noch nicht geradezu stört, die man aber, gelegentlich mit den Fingern kritisch drüberfahrend, als etwas unerledigtes empfindet, wissend, dass es nach der nächsten Rasur auch nicht besser aussieht?"
Fragte in der FAZ Thomas Mann… nein, Quatsch, verehrte Mann-Kenner: So fragte Edo Reents…
Der allerdings über Mann promoviert wurde. Und das merkte man seiner ironischen Rasur-Reflexion an - in der übrigens der Satz nicht fehlt: "Es gibt, das stimmt, Schlimmeres."
Und dazu kommen wir jetzt.
"Youtuber tyrannisieren mit geschmacklosen Streichen ihre Mitmenschen, und Millionen schauen zu", klagte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG unter dem Titel-Reim "Der Prank ist krank".
Nützlicherweise erklärte Anna Fastabend – sie heißt wirklich so –, dass Prank das englische Wort für ‚Streich‘ ist.
"Kritisch wird es spätestens, wenn Kinder das Opfer werden. Die Youtuber-Eltern DaddyOFive lösten einen Sturm der Entrüstung aus, nachdem sie Spaß-Tinte, die erst täuschend echt aussieht und später verschwindet, auf den Kinderzimmerteppich spritzten und ihre Kinder beschuldigten. In dem Video brüllen die Eltern ihre Söhne nieder, bis diese zu weinen beginnen und sich nach der Aufklärung auch noch auslachen lassen müssen."
Echt kranker Prank, von dem die SZ berichtete.
Und doch: Vielleicht glücklich die Zeit, deren Probleme Pranks heißen.

Der Eros des Niederschlagens

Unter der Überschrift "Der Killer in meinem Bett" besprach Alan Posener in der Tageszeitung DIE WELT neue Biografien über Mao Zedong.
Die alte Frage, warum sich einst viele europäische Linke für den Massenmörder Mao begeisterten, beantwortete Posener so:
"Es ist die Faszination der Gewalt und der Grenzüberschreitung, der Selbstermächtigung und Einschüchterung – kurz des Terrors. […] ‚Für alles Reaktionäre gilt‘, heißt es in Maos kleinem roten Buch, ‚dass es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt.‘ Der Eros des Niederschlagens ist der Kern des Maoismus."
Zurück in die Gegenwart.
In der Wochenzeitung DIE ZEIT hielt der Gesellschaftsforscher Wolfgang Streeck den Deutschen – zumal, wenn sie Jürgen Habermas heißen – vor: Sie seien in Europa die einzigen, die ihre nationale Identität aufgeben wollen.
"Die europäischen Nationalstaaten sind […] historisch-gesellschaftliche Artefakte, die in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit anerkannt werden wollen [ legt sich Streeck fest]. […] Europa wird nicht dadurch geeint, dass es die Außenpolitik zwischen seinen Mitgliedstaaten in die Innenpolitik eines europäischen Superstaats überführt; im Gegenteil wird es dadurch gespalten."
Schade, liebe Hörer, dass wir Ihnen aus Zeitgründen das "Lob auf den modernen Spiesser" vorenthalten müssen, in dem sich die NZZ-Autorin Cora Stephan schön spießig über die Herrschaft der Minderheiten aufregte.
Wir schließen, indem wir uns der These anschließen, die in der NZZ Überschrift wurde. Sie lautet: "Normal sein ist ganz normal."
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