Aus den Feuilletons

Haben die Künste #MeToo ausgelöst?

Eine Hand auf der "#MeToo" und "#Balancetonporc" ("Schwärz' dein Schwein an")
Eine Hand auf der "#MeToo" und "#Balancetonporc" ("Schwärz' dein Schwein an") © AFP / Bertrand Guay
Von Hans von Trotha · 27.11.2017
Die #MeToo-Debatte habe ein bislang geschlossene System erreicht, glaubt die Feuilletonistin der "Süddeutschen" und meint das Ballett. Das Frauenbild sei allerdings nur "ein Unding von vielen, das die gruselige Ballettwelt beheben muss".
Das Feuilleton hat sich als Lösungsort von Systemkrisen nur bedingt bewährt. - Kein Grund, es nicht weiter zu probieren. Haben nicht die Künste die #MeToo-Debatte ausgelöst? Und da geht es allemal ums System.
In der taz berichtet Konstantin Nowotny nun von einem "Aufstand der Malerinnen". "Junge Frauen", schreibt er, "fordern auf sozialen Netzwerken Schönheitsideale und Körperformen heraus." Er zitiert die 23-jährige Fotografin Ashley Armitage: "Sie kommentierte in diesem Jahr eine ihrer Fotoserien über natürliche Frauenkörper so: 'Ich mache Bilder des weiblichen Körpers, weil diese Bilder in der Geschichte von Männern kontrolliert wurden. Wir waren immer die Gemalten, nie die Malerinnen. Ich versuche zurückzuholen, was uns gehört.'"
Die Kontrolle von Männern über den weiblichen Körper ist wohl in keiner Kunst so konstitutiv wie im Ballett. #MeToo hat jetzt auch dieses bislang geschlossene System erreicht. Davon berichtet Dorion Weickmann in der Süddeutschen unter dem wohlklingenden Titel "Schwanenseenot". Sie zitiert einen Diskutanten mit der Bemerkung, das Frauenbild sei "ein Unding von vielen, das die gruselige Ballettwelt beheben muss". "Die Vorwärtsfraktion", berichtet Weickmann, "ruft nach radikaler Neuerung: Weg mit dem Kavaliersgetue, dem Primat der Hetero-Ästhetik, dem ganzen Museumsplunder rund um den 'Schwanensee'. Eine Forderung, die man für ahistorisch und weit überzogen halten mag, trotzdem gilt: eine Kunst, die Gegenwartsentwicklungen nicht zur Kenntnis nimmt oder systematisch ausblendet, kann noch so viel `audience development´ betreiben, sie wird ihr Publikum verlieren, und damit auch ihre Legitimation."
Das gilt auch für eine andere darstellende Kunstform: den performativen Parlamentarismus. Dessen systematische Krise versucht FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube mit dem Prinzip der Ehe zu vergleichen.*
"Sondiere das Unmögliche", ist der Artikel überschreiben. Untertitel: "Willensfragen: Was Politik und Ehepaare verbindet". "Gelingt", fragt Kaube, "das Zusammenleben derer am besten, die sich über einander am klarsten sind? Oder lebt das alles von Ungewissheit?"

Alle elf Sekunden verliebt sich ein FDPler

Drei Wahlplakate der Partei FDP - mit Christian Lindner
Drei Wahlplakate der Partei FDP - mit Christian Lindner © dpa / Revierfoto
Nachdem Kaube unter anderem mithilfe des Wahlkampf-Posts: "Alle elf Sekunden verlieb(t) sich ein Liberaler in sich selbst" analysiert hat, was da passiert ist, erfindet er für das Phänomen, auch all das schon mal schlecht zu finden, was noch gar nicht fertig ist, das Wort "Vorunlust". Diese habe "auch die Politik erfasst. Wenn es jetzt beispielsweise heißt, eine neuerliche große Koalition werde wieder Mehltau über das Land legen, fehlt einfach die Phantasie dafür, dass sich nichts wiederholt; dass alles voll neuer strategischer und taktischer Möglichkeiten steckt."
Zu denen, denen diese Phantasie explizit fehlt, gehört der Historiker Heinrich August Winkler. In der Süddeutschen setzt er ein Ausrufezeichen hinter die Zeile "Nur keine neue Groko!"
"Große Koalitionen", schreibt er, "setzen mehr als jede andere Regierungskonstellation das normale Wechselspiel zwischen der größten Regierungs- und der größten Oppositionspartei außer Kraft. Dies als 'alternativlos' in Kauf zu nehmen, heißt die Zukunft der parlamentarischen Demokratie aufs Spiel zu setzen", schreibt Winkler und spricht es sogar aus, das Wort "Systemkrise". Zu der, meint er, könnte es kommen. "Eines aber", fährt er fort, "ist eine solche Entwicklung ebenso wenig wie eine große Koalition: alternativlos."

Lernen von Jonathan Swift

Zeitgenössisches Porträt des irisch-englischen Schriftstellers Jonathan Swift (1667-1745)
Zeitgenössisches Porträt des irisch-englischen Schriftstellers Jonathan Swift (1667-1745)© picture alliance / dpa
Das scheint im Moment, glaubt man Alexander Menden, eigentlich nur eines zu sein: die Lektüre von Jonathan Swift. Menden kommt es in der Süddeutschen so vor, "als habe (d)er schon im 18. Jahrhundert in die ideologischen Echokammern der Gegenwart hineingehorcht, als er in seiner Aphorismensammlung 'Gedanken über verschiedene Dinge' schrieb: 'Das war vortrefflich beobachtet! sage ich, wenn ich bei einem Autor eine Stelle lese, an der seine Meinung mit meiner übereinstimmt. Wo wir verschieden denken, da erkläre ich, dass er sich irrt.' Es fällt nicht schwer", so Menden, "sich vorzustellen, mit welch grimmiger Verachtung Swift auf Trump und Kim Jong-un, auf den IS und die großangelegte Steuervermeidung von Milliardären, auf russische Twitter-Bots oder die Genderdebatte reagiert hätte. Diese Weit– und Klarsicht macht die Lektüre von Jonathan Swifts die Dummheit jeder Couleur geißelnden Satiren in Zeiten politischer Polarisierung zwar kein bisschen tröstlicher – dafür aber umso notwendiger."
Alternativlos halt.

*In einer vorherigen Version dieses Textes wurde die These des Artikels in der "FAZ" von Jürgen Kaube nicht korrekt wiedergegeben.

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