Aus den Feuilletons

Fragwürdige Bestsellerlisten

Eine Bestsellerliste der Monatszeitschrift "De Spiegel"
Die Bestsellerliste im "Spiegel" ist ein Klassiker des Nachrichtenmagazins. Aber wie genau sind die Zahlen? © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Gregor Sander · 03.02.2016
Seit 2014 ermittelt nicht mehr nur die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) die Bestsellerlisten von Büchern, sondern auch Media Control. Nur können beide Unternehmen nicht auf alle Daten zugreifen. Die "Welt" kommt zu dem Schluss: "Keine der beiden Listen stimmt."
Bei den ersten fünf Büchern auf den Januarbestsellerlisten im SPIEGEL und im BÖRSENBLATT fiel Felix Zwinzscher von der Tageszeitung DIE WELT Folgendes auf:
"Lediglich zwei Romane tauchen auf beiden Listen auf, …, allerdings belegen sie auf beiden völlig unterschiedlichen Positionen."
Wie kann das sein? In der WELT werden uns vier Möglichkeiten angeboten:
"1. Die ´Spiegel`-Liste ist richtig. 2. Die ´Börsenblatt`-Liste ist richtig. 3. Keine der beiden Listen stimmt. 4. Bestsellerlisten sagen gar nichts darüber aus, wer die meisten Bücher verkauft."
Felix Zwinzscher entscheidet sich für 3.: Keine der beiden Listen stimmt. Und das liegt ausgerechnet an der Konkurrenz der Meinungsforschungsinstitute:
"Seit 2014 gibt es in Deutschland zwei Unternehmen, wo vorher nur eines war: die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und Media Control. Konkurrenz belebt das Geschäft, könnte man jetzt denken. Das ist hier allerdings nicht ganz so einfach, denn die Konkurrenz kämpft um ein nur begrenzt teilbares Gut, nämlich die statistisch aussagekräftige Anzahl an Buchhändlern, von denen Daten gewonnen werden können."
Die Institute geben offiziell nicht bekannt, wer ihnen die Daten liefert, aber in der WELT wird trotzdem hinter die Kulissen geschaut.
"Branchenkenner wissen aber, dass GfK exklusiv Daten von Amazon bekommt, die Media Control nicht hat. Dafür bekommt Media Control Daten von eBuch, der größten Buchhandelsgenossenschaft. Das bedeutet, dem einen Institut fehlen die Daten des größten Onlinebuchhändlers, dem anderen die Daten der größten Vereinigung analoger Buchhändler. Das verzerrt die Ergebnisse."
Amazon eröffnet Buchhandlungen
Die 300 bis 400 realen Buchländen von Amazon, die der Onlineriese in Deutschland eröffnen will, stellt sich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG so vor:
"Es ist kaum zu erwarten, dass in einem Amazon-Buchladen dasselbe Sortiment und dieselben Dienstleistungen angeboten werden wie in denen der klassischen Konkurrenz. Eher wird man dort Amazons Bestseller in verdichteter Form vorfinden, aber auch den realen Ort für reale Reklamationen: eben die ansprechbare Paketstation, ein Wohlfühl-Logistikzentrum."
Virtueller Popstar Hatsune Miku in Japan
Auch in der Popmusik ist Virtuelles real geworden. In Japan wurde ein Stimmensynthesizer aus Werbegründen an die animierte Figur eines sechszehnjährigen Mädchens gekoppelt, und so fast aus Versehen ein virtueller Popstar geboren, wie Laura Aha in der TAZ berichtet:
"Im August 2009 hatte Hatsune Miku, deren Name übersetzt ´der erste Klang der Zukunft` bedeutet, ihren ersten ´Live`-Auftritt, mittlerweile füllt sie riesige Stadien und tourt als überlebensgroßes Hologramm durch die ganze Welt. Als Werbefigur kurbelt sie die Gewinne von Google, Toyota und Family Mart an, als eigene Marke verkauft sie Merchandisingprodukte im Wert von Milliarden."
Rihanna ist anti
Und das alles ohne je müde zu werden. Da wird die Luft für reale Popstars natürlich dünner. Rihanna scheint das allerdings nicht sonderlich zu interessieren. Sonst hätte sie ihr aktuelles Album vielleicht nicht "Anti" genannt. Lars Weisbrod von der Wochenzeitung DIE ZEIT ist verwirrt:
"Anti klingt erst einmal nach einem Durcheinander von Liedern mittlerer Geschwindigkeit, manche haben keine Refrains, andere gleich zwei wechselnde. Nichts davon kann man sich im Normalo-Radio vorstellen, wo es dann gespielt wird, bis es sich schmerzhaft-schön in den Kopf bohrt wie die Rihanna-Singles bisher. Ein hitloses Album! Von Rihanna! Der Künstlerin, die nach Mariah Carey die meisten Nummer-eins- Songs der US-Musikgeschichte hatte!"
Martin Walser denkt nicht ans Aufhören
Ist also auf nichts mehr Verlass? Keine Bestseller in den Bestsellerlisten, Onlinebuchhändler werden real, virtuelle Popstars füllen reale Hallen und reale Popstars verweigern sich dem Hit? Aber Moment. Da steht noch was in der BERLINER ZEITUNG:
"Martin Walser will nicht zu schreiben aufhören."
Für den 88-Jährigen sei dies unvorstellbar und:
"In seinem Notizbuch habe er mehr als ein Projekt, das er noch umsetzen wolle. Darüber will dann entschieden sein", so Walser, "denn die Romanbedürfnisse nehmen ja nicht ab, nur weil man bald stirbt."
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