Aus den Feuilletons

"Faszinierende Entdeckungsreise" zu Schlemmer

Besucher sehen sich am 20.11.2014 in Stuttgart (Baden-Württemberg) in der Ausstellung "Oskar Schlemmer - Visionen einer neuen Welt" in der Staatsgalerie das Gemälde "Bauhaustreppe" (1932) von Oskar Schlemmer an.
Das Gemälde "Bauhaustreppe" (1932) in der Ausstellung "Oskar Schlemmer - Visionen einer neuen Welt" in der Stuttgarter Staatsgalerie © picture alliance / dpa /Bernd Weißbrod
Von Burkhard Müller-Ullrich · 22.11.2014
Die Feuilletons feiern die Stuttgarter Werkschau von Oskar Schlemmer als spektakuläre Wiederentdeckung. Auch die Maori-Porträts in Berlin und der Gurlitt-Nachlass werden ausführlich betrachtet.
"Besuch aus einer anderen Welt ist in Berlin. Wer wissen will, was unter "global" verstanden werden kann, muss das sehen",
jubilierte Tilman Krause in der WELT, und weil die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie tatsächlich äußerst ungewöhnlich ist und alle großen Zeitungen darüber schrieben, gehen wir gleich ins Detail:
"Zum Sonnenaufgang um 7.34 Uhr musste die Pressekonferenz angesetzt werden, zu der sich sage und schreibe 200 neugierige Menschen versammelten",
berichtete Krause und dass dann eine sonderbare Weihehandlung vor ebenso außergewöhnlichen Bildern stattfand. Die Bilder stammen von einem 1874 nach Neuseeland ausgewanderten Maler namens Gottfried Lindauer, der sich auf Porträts der eingeborenen Maori spezialisiert hatte: Porträts von tätowierten Männern und Frauen, die stolz ihre traditionellen Waffen und Gewänder tragen. Deren Nachfahren sind samt Waffen und Gewändern mit den Bildern von Neuseeland nach Deutschland mitgereist und haben sie durch magische Rituale im Museum gewissermaßen gegen die Blicke der vielen Fremden immunisiert.
"Die Vorbereitung der Ausstellung zog sich über Jahre hin, denn von den Familien jedes Porträtierten musste eine Genehmigung eingeholt werden, ob die Gemälde überhaupt reisen dürfen",
berichtete der TAGESSPIEGEL, und Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann sagte im Interview mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:
"Dem Bedürfnis unserer Zeit, unsere Abbilder für alle möglichen Zwecke verfügbar zu machen und zu vervielfältigen, begegnen die Maori mit größter Skepsis. Es war aber auch eine sehr wohltuende Erfahrung, weil sie uns deutlich machte, dass die Maori über eine reflektierte Bildkultur verfügen, von der wir einiges lernen könnten. Auch weil immaterielle Werte gegenüber materiellen der Vorzug eingeräumt wird."
Das kann man von Oskar Schlemmers Erben nicht gerade behaupten, die seit Jahrzehnten mit überzogenen Geldforderungen so gut wie jede Oskar Schlemmer-Schau verhindert haben. Doch da die Urheberrechte des 1943 verstorbenen Künstlers mit Beginn dieses Jahres erloschen sind, kann die Staatsgalerie Stuttgart, die das Oskar Schlemmer-Archiv verwaltet, es jetzt wagen, ohne Furcht vor Querschüssen eine Retrospektive zu veranstalten, die Gottfried Knapp in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG
"als Ausstellungsereignis und spektakulärste Wiederentdeckung des Jahres"
feierte und die Konstanze Crüwell in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN
"eine faszinierende Entdeckungsreise in den Kosmos des talentreichen Künstlers"
nannte. Die innigste und verständigste Würdigung aber war diejenige von Hans-Joachim Müller in der WELT:
"Es gibt in diesem ganzen Werk nichts, was aus dem dunklen Fundus von Kraft, Macht, Gewalt stammte. Und es gibt nichts, was sichtlich aus Liebe geboren wäre und ein Begehren verriete."
Apropos Schlemmer: Manche seiner heute in Stuttgart verwahrten Werke müsste die Staatsgalerie wohl abgeben, wenn der Vorschlag von Jutta Limbach, früher Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und dann des Goethe-Instituts, Wirklichkeit werden sollte. Sie machte in einem Interview mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG einen ziemlich sensationellen Vorschlag, der im Original so lautete:
"Wenn 'entartete Kunst' in dem Wissen gekauft worden ist, dass es sich um aus anderen Museen entwendete Bilder handelt, hätte ich keine Bedenken, das jetzt rückgängig zu machen. Für öffentliche Einrichtungen sollte es selbstverständlich sein, dass auch in diesem Fall eine Restitution stattzufinden hat."
Limbachs Wort hat Gewicht. Sie ist schließlich Vorsitzende einer nach ihr benannten Kommission, die schwierige Fälle von Rückgabeforderungen jüdischer Erben in Bezug auf "verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke" – wie das im Juristendeutsch heißt – entscheiden soll. Hier aber geht es weniger um die Ansprüche jüdischer Erben als deutscher Museen gegeneinander. Denn nachdem die Nationalsozialisten die sogenannte „entartete Kunst" gegen Devisen ins Ausland verhökert hatten, wurde diese nach dem Krieg oft von anderen deutschen Museen zurückgekauft. Dazu meinte Jutta Limbach:
Die gegenwärtig im Besitz dieser Kunst befindlichen Museen wissen und wussten zumeist, dass es sich um als "entartet" bezeichnete Kunstwerke handelt. Sie konnten diese Kunst schwerlich in der Hoffnung erwerben, diese ein für allemal behalten zu können.
Daß diese Worte in der Museumswelt ein Aufstöhnen auslösten, versteht sich. Die Kunsthalle Bielefeld äußerte sofort Zweifel an der Umsetzbarkeit:
"Moralisch wäre ein solcher Tausch wünschenswert, würde aber in der Praxis viele neue Fragen aufwerfen."
Und aus dem Frankfurter Städel verlautete: "Von uns aus gibt es keine Initiativen in dieser Richtung."
Und damit kommen wir zum eigentlichen Kunst-Thriller der Woche, in dem „entartete Kunst" und „verfolgungsbedingt entzogene Kunst", Rückgabeforderungen und juristische Nebelfelder einen mittlerweile emblematischen Namen bekommen haben: Gurlitt. Am Montag will das von dem im letzten Mai verstorbenen Cornelius Gurlitt zum Alleinerben eingesetzte Berner Kunstmuseum bekannt geben, ob es dieses Erbe annimmt.
"Es ist eine der heikelsten Entscheidungen, die je ein Stiftungsrat treffen musste",
schrieb die SÜDDEUTSCHE.
"Nur zu leicht könnte sich das Geschenk als Fluch erweisen",
warnte Hanno Rauterberg in der ZEIT und empfahl rundheraus die Ablehnung des Vermächtnisses – nicht nur weil die Rechtmäßigkeit des Testaments neuerdings angezweifelt werde, sondern auch weil die Schweiz mit dem Thema Raubkunst selbst noch lange nicht im Reinen sei. Das sieht auch der Feuilletonchef der BERNER ZEITUNG Oliver Meier so, zieht aber gerade den umgekehrten Schluss daraus:
"In der Praxis – der Recherche und der Rückgabe von Werken zweifelhafter Herkunft – haben sich die Schweizer Museen keine Lorbeeren verdient. Was das bedeutet? Das Kunstmuseum hat im Fall Gurlitt die Chance, Massstäbe mit Signalwirkung über die Schweiz hinaus zu setzen. Für einen verantwortungsvollen Umgang mit Werken, die zwischen 1933 und 1945 oft verfolgungsbedingt verloren gingen."