Aus den Feuilletons

Erinnern und Demokratie gehören zusammen

04:17 Minuten
Ein Berg von Schuhen erinnert in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau an die Opfer des Konzentrationslagers der Nationalsozialisten
Mahnung an den Holocaust: Ein Berg von Schuhen symbolisiert in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau das Massenmorden in dem Konzentrationslager der Nationalsozialisten. © picture alliance / voix du nord / Max Rosereau
Von Klaus Pokatzky · 24.01.2020
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Wie kann man an die Nazi-Gräuel erinnern, wenn immer weniger Augenzeugen leben, die die Befreiung aus dem KZ Auschwitz vor 75 Jahren erlebt haben? Für jüngere Generationen sollte der Bezug zur Vergangenheit emotional sein, schreibt die "Welt".
"Ich mag Aufmerksamkeit. Ich bin Schriftsteller." Kürzer lässt sich ein Beruf kaum charakterisieren als in diesen zwei Sätzen, die wir in einem Interview des SPIEGEL lesen. Ich mag auch Aufmerksamkeit, ich bin Pressebeschauer.
"Ein Aspekt des Humanismus ist, das Gute im Menschen zu sehen oder zumindest das Potenzial dafür", erklärt der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen noch sehr ernsthaft das Menschliche und Allzumenschliche. "Zum Humanismus gehört es aber auch zu erkennen, wie viel Böses im Menschen dämmert, wie viel Hass und Gewalt. Man muss versuchen, Geschichte zu verstehen, und nicht glauben, dass Technologie, Wissenschaft oder gar Rationalität uns retten werden."

Gedenken an die Befreiung von Auschwitz

Dann versuchen wir, Geschichte zu verstehen. "Erinnerungsarbeit ist ein kontinuierlicher Prozess, keine Errungenschaft für die Ewigkeit", lesen wir in der Tageszeitung DIE WELT. "Wie Demokratie. Und beide – Erinnerung und Demokratie – sind in Deutschland untrennbar verbunden", schreibt die deutsch-französische Autorin und Filmemacherin Géraldine Schwarz in diesen Tagen des Gedenkens – 75 Jahre, nachdem sowjetische Soldaten Auschwitz befreit haben.
"Ich wusste nichts über Auschwitz, nichts von den Gaskammern, nichts vom Krematorium. Ich wusste nur: Man kommt hinein, aber niemals heraus." Das meint die polnisch-israelische Autorin Bat Sheva Dagan in der Tageszeitung TAZ – die als 17-Jährige in das Vernichtungslager verschleppt wurde.
"Dagan überlebte", schreibt Judith Poppe. "Befreit wurde sie nach sechs Gefängnisaufenthalten, drei Konzentrationslagern und zwei Todesmärschen in Malchow in Mecklenburg." Geboren als Izabella Rubinstein, nahm sie ihren heutigen Namen an, als sie im Herbst 1945 nach Palästina auswanderte. "Als sie als Erzieherin in einem Kindergarten arbeitete, fragten die Kinder nach der Nummer auf ihrem Arm", so die TAZ. "Zu Beginn erklärte sie, dass es vor langer Zeit einen Krieg gegeben hatte, wo ein sehr böser Mann lebte, der alle Menschen hasste und viele Menschen, Juden, Roma und Sinti und Polen, sogar Kinder, in Lager steckte."

Wie geht das Erinnern?

Wie lässt sich da jungen Menschen heute der Massenmord der Nationalsozialisten erklären, wenn die Überlebenden wie Bat Sheva Dagan immer weniger werden?
"Für die jüngeren Generationen sollte der Bezug zur Vergangenheit jedoch nicht nur rational, sondern auch emotional sein, selbst wenn diese für sie weit zurückliegt: vor allem auf individueller Ebene durch das Familiengedächtnis." Das meint in der WELT Géraldine Schwarz – doch sehr optimistisch, wenn wir daran denken, dass bei uns das Familiengedächtnis an die braune Vergangenheit stets vor allem Lücken aufwies.

Von Kindern lernen

"Kinder beobachten die Welt auf eine im Grunde sehr einfache und aufrichtige Weise", erzählt uns da der neuseeländische Filmregisseur Taika Waititi im Interview der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG – der den Film "Jojo Rabbit" gedreht hat über einen zehnjährigen Nazi-Jungen. Von Kindern also lernen: "Vielleicht fügen sie in ihrer Vorstellung mal ein fantastisches Element hinzu, oder sie halten Dinge für größer, als sie sind, aber sie verfolgen keine geheimen Zwecke. Nimmt man ihre Perspektive ein, sieht man die Verrücktheit der Erwachsenen umso deutlicher."
Oder wie Jonathan Franzen im SPIEGEL-Interview meint: "Solange irgendwo Menschen sind, wird das Böse da sein, aber eben auch all das Gute. Ich glaube, darin liegt irgendwo Hoffnung, oder?"
Hoffentlich.
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