Aus den Feuilletons

Eine Schauspielerin in der Krise

Trotz ihrer Vorbehalte gegenüber der deutschen Presse willigt Romy Schneider (Marie Bäumer) in ein Interview mit dem Stern-Reporter Michael Jürgs (Robert Gwisdek) ein. Szenenbild aus "3 Tage in Quiberon" von Emily Atef
Marie Bäumer als Romy Schneider in der Krise - in dem Film "3 Tage in Quiberon". © © 2018 Prokino Filmverleih GmbH
Von Paul Stänner · 06.04.2018
Während sich die "Neue Zürcher Zeitung" auf den Sparzwang der Deutschen konzentriert, beschäftigen sich die deutschen Feuilletons mit Romy Schneiders Wiederauferstehung in dem Film "3 Tage in Quiberon" und mit einem neuen, drastischen "Tatort".
"Die Deutschen besitzen", schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ), "zum Sparen einen fast religiösen Zugang." Die Neue Zürcher hat eine Ausstellung in Berlin besucht und glaubt nun: "Die "schwarze Null" ist Staatsdoktrin und so halten es viele Deutsche auch mit ihren privaten Haushalten." Aus der teutonischen Sparwut haben die Schweizer die Lösung drängender Probleme entwickelt, nämlich: "In Zeiten, wo sich die Deutschen wegen ein paar hunderttausend Einwanderern den Kopf darüber zerbrechen, worin eigentlich ihre Identität besteht, müssten sie sich auf das Nächste besinnen: Sparideologie als Leitkultur."
Das soll die NZZ mal dem Innen- und Obergrenzenminister Horst Seehofer erklären. Wir sind gespannt. Als Seehofer noch ein aktiver junger Mann war, gehörte die Schauspielerin Romy Schneider zur deutschen Leitkultur. Dem Sissi-Kult des Massenpublikums konnte sie zeitlebens nicht entkommen. Am 12. April läuft der Film "Drei Tage in Quiberon" an, der auf ihrem letzten großen Interview mit zwei Journalisten des Stern basiert. Der Spiegel übertitelt seinen Artikel mit dem Begriff "Beichtstunde" und schildert, dass alle Beteiligten in diesem Treffen ihre eigenen Pläne hatten. "Wer hier wen manipuliert, wer den anderen etwas vorspielt, wer Opfer ist und wer Täter, das ist in '3 Tage in Quiberon' selten eindeutig zu entscheiden."

"Vielleicht europäisch"

Der TAGESSPIEGEL bringt ein langes Interview mit Marie Bäumer, welche die Romy Schneider spielt, und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (SZ) druckt ein Porträt über die Regisseurin Emily Atef, die Romy Schneider als "eine Frau in der Krise" zeigt – dieses Genre scheint Atefs Kernprodukt zu sein. Das Wichtigste ist vielleicht das Bekenntnis der mehrfach preisgekrönten Autorin und Regisseurin mit multikulturellem Hintergrund: "Ich habe kein Gefühl von Heimat.", sagt Atef. "Ich fühle mich nicht deutsch, nicht französisch, nicht amerikanisch oder iranisch" – die Länder, in denen sie aufgewachsen ist, aber – "vielleicht europäisch."
Den Bundesheimatminister wird`s bayrisch grausen, steht zu vermuten.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) und der TAGESSPIEGEL loben schaudernd den "Tatort" aus Hessen, der am kommenden Sonntag ausgestrahlt wird. "Unter Kriegern" spielt im Sportmilieu und erzählt von Menschen, denen Leistung über alles geht. Auch über Leichen. Der TAGESSPIEGEL nennt den "Tatort" einen "äußerst drastischen Psychothriller" mit einem empathielosen jugendlichen Protagonisten und weiter: "Von krankhaftem Ehrgeiz komplett zerfressen ist vor allem sein Vater, ein erfolgreicher Ex-Sportler. Sozialdarwinismus in Reinform."

"Prunkbau aus Nordkorea"

Den TAGESSPIEGEL erinnert das Haus des Sozialdarwinisten an einen "Prunkbau aus Nordkorea" – die FAZ fühlt sich "an die Ästhetik des Reichsparteitagsfilms von Leni Riefenstahl erinnert". Uns Zuschauer erwarten Düsternis und Schrecken, denn als Mörder kommen viele in Betracht und auch die Verlierer sind nicht sympathisch. Vielleicht scheint der Sportbetrieb insgesamt etwas zu sein, das man mit mehr Misstrauen beobachten sollte.
Da wäre Innen- und Sportminister Horst Seehofer gefordert – aber das wird er sich in seinem deutschen Naturell wohl ersparen.
Die FAZ kommentiert ein Verfahren, das der Bundesgerichtshof nicht zur Entscheidung angenommen hat. Es geht um das Recht des Fotografen, Menschen in zufälligen Momenten in der Öffentlichkeit aufzunehmen und die Bilder zu auszustellen. Die Kunstform der so genannten Straßenfotografie kollidierte mit dem Recht am eigenen Bild. Das Bundesverfassungsgericht begründete die Ablehnung mit einigen klärenden Hinweisen, die dem Fotografen wieder mehr Freiheiten lassen. Die Bilder der Straßenfotografie können in Galerien und Museum ausgestellt werden, aber nicht so, dass die Fotografierten – Zitat - "einer breiten Masse als Blickfang" ausgesetzt werden. Das Resümee der FAZ: Damit schafft das Gericht eine neue Grauzone, denn: "Ab wann ist ein Foto ein Blickfang, und ab wann ist eine Masse breit?"
Dazu erwarten wir von unserem Heimat- und Bierzeltminister Aufklärung. Also, Horst: Ab wann ist die Masse breit?
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