Aus den Feuilletons

Eine Kulturgeschichte der Kartoffel

Aufgehübscht: Kartoffeln bei einer Lebensmittelmesse in Berlin.
Aufgehübscht: Kartoffeln bei einer Lebensmittelmesse in Berlin. © Imago Stock & People
Von Tobias Wenzel · 11.02.2018
"Ähnlich wie die menschliche Dummheit oder der Humor kennen auch die Kartoffeln keine Grenzen", schreibt der tschechische Autor Jaroslav Rudiš in der FAZ. Zugleich seien sie - so sagte es einst sein Großvater - ein Beweis dafür, dass aus Deutschland auch gute Dinge kommen können.
Es gibt kulturell nachrichtenarme Tage, an denen die Höhepunkte des Feuilletons kulinarische sind. An diesem Montag im Angebot: britischer Käse, deutsche und böhmische Kartoffeln und ein russischer Burger aus Amerika. Aber der Reihe nach:
"Cheddar Man, der erste Brite, hatte dunkle Haut und blaue Augen, stellten Forscher diese Woche fest. Lässt sich davon etwas über multikulturelles Zusammenleben lernen?", fragt die TAZ ihren satirischen Wochenrückblicker Friedrich Küppersbusch. Und der antwortet:
"Wäre die Weltgeschichte ein Zollstock von zwei Metern, bevölkerten wir Menschen den letzten Zentimeter. Wie wir es da schaffen, uns untereinander umzubringen, bleibt unser süßes Geheimnis. Freunden des Völkischen ist zuzumuten, dass Genforscher gerade mal so grob einen europäischen Typus entziffern können, biologisch gibt es keine unterschiedlichen Völker; hier erst recht nicht. Und was britischen Käse angeht: Bei Cheddar hatte ich das Gefühl, dass er etwa 10.000 Jahre alt ist."

Wodka aus Kartoffeln

Vom Käse zur Kartoffel, von der TAZ zur FRANKFURTER ALLGEMEINEN: "Ähnlich wie die menschliche Dummheit oder der Humor kennen auch die Kartoffeln keine Grenzen", schreibt der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš und holt zum großen Kartoffelrundumschlag aus. "Brambora", so nennen die Tschechen die Kartoffel, erläutert Rudiš:
"Etymologisch verbindet die Bezeichnung übrigens die böhmischen Berge und Täler mit dem flachen Brandenburg, auf Tschechisch ‚Braniborsko‘. […] Dies sei der Beweis, dass aus Deutschland auch gute Dinge kommen können, sagte mein Großvater dazu",
erinnert sich Rudiš und meint wohl die deutschen Kartoffeln. Er erwähnt allerdings auch den Kartoffelkrieg von 1778/79, in dem preußische Soldaten die Felder tschechischer und deutschsprachiger Dorfbewohner im Riesengebirge plünderten. Der böhmische Großvater von Rudiš versteckte im Februar 1945 auf seinem Dachboden Sowjets, die als Kriegsgefangene einem Lager der Deutschen entkommen waren:
"Die Sowjets hatten meinem Großvater versprochen, ihm nach Kriegsende beizubringen, wie man aus Kartoffeln Wodka brennen kann […]. Doch dazu kam es leider nicht. Im Mai […] wurden sie von der Roten Armee befreit und zugleich verhaftet. […] Stalin hatte den Kriegsgefangenen, die die deutschen Lager überlebten, nicht vertraut; sie waren für ihn Verräter, erzählte man sich damals."

Ein Fake: der Putin-Burger

"Hätte damals jemand eine Actionfigur mit Stalin auf einem Bären reitend oder eine Seife mit seinem Gesicht in Umlauf gebracht, er hätte den Rest seines Lebens im Lager verbracht", schreibt Julian Hans in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, als wollte er den Kartoffelartikel aus der FAZ ergänzen. Aber tatsächlich möchte er den heutigen Kult um Putin mit dem Stalin-Kult von einst vergleichen:
"Der postmoderne Personenkult Putinscher Prägung lässt sich […] nicht mehr so leicht angreifen, weil er selbstironisch auftritt und seine Verneinung schon in sich trägt. Wer jubelt, bei dem ist sowieso alles klar. Wer den Kult kritisiert, riskiert, als humorfreier Nörgler zu gelten. So bleibt nur das Schweigen, wenn man nicht Teil der Sache werden will. Und schweigende Bürger (oder Untertanen) sind in unfreien Gesellschaften gern gesehen."

Noch kultigerer Kult

Um den Kult noch kultiger zu machen, habe man es in Russland nicht immer so genau mit der Wahrheit genommen, berichtet Julian Hans weiter:
"Als Putin im vergangenen Oktober 65 wurde, berichtete das Staatsfernsehen, ein New Yorker Restaurant habe ihm zu Ehren eigens einen Putin-Burger kreiert. Ein Kilo und 952 Gramm schwer, weil 1952 Putins Geburtsjahr ist. Nur stellte sich bald heraus, dass die Reporter einen Kellner bezahlt hatten und die Szene gestellt war. Es gab nur einen Putin-Burger, nämlich den, der für die russischen Fernsehzuschauer gebraten wurde."
Drum können auch Sie, liebe Hörer, von diesem Burger leider nicht kosten. Aber mit Cheddar-Käse könnten Sie sich es richtig gut gehen lassen und natürlich auch mit der altbewährten deutschen Kartoffel. Guten Appetit!
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