Aus den Feuilletons

"Ein würdiger Ausdruck der Verzweiflung"

face a face CRS vs gilets Jaunes - Avenue Marceau - barricades NEWS : Manifestation des gilets jaunes - Paris - 01/12/2018 StephenCaillet/Panoramic PUBLICATIONxNOTxINxFRAxITAxBEL
Ein Protestierender mit einer gelben Weste vor französischen Sicherheitskräften in Paris. Kulturschaffende solidarisieren sich mit den "gilets jaunes" in Frankreich. © imago stock&people
Von Adelheid Wedel · 07.12.2018
Der "Tagesspiegel" stellt fest, dass sich in Frankreich zunehmend Kulturschaffende mit den "Gelbwesten" und ihren Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit solidarisieren. Die Opfer struktureller Gewalt seien nicht mehr bereit, diese zu ertragen.
"Der Schriftsteller Edouard Louis und andere Kulturschaffende solidarisieren sich mit der Bewegung der Gelbwesten in Frankreich", erfahren wir aus dem TAGESSPIEGEL. Louis schreibt: "Mir fällt es schwer, den Schock zu beschreiben, den ich beim Anblick der ersten Bilder der gilets jaunes verspürte." Sie erinnern ihn an seinen Vater, seinen Bruder, seine Tante.

Verachtung der Bourgeoisie für die "gilets jaunes"

"Menschen mit von Elend und Armut ruinierter Gesundheit, die immer wieder, an jedem Tag meiner Kindheit sagten: Wir zählen nicht, niemand spricht über uns." Deshalb habe er sich ganz persönlich getroffen gefühlt von der Verachtung und der Gewalt, mit der sich die Bourgeoisie auf diese Bewegung gestürzt hat.
Eberhard Spreng kommentiert das Geschehen: "Es ist, als liefere die Realität in Frankreich die Bilder für einen neo-marxistischen Diskurs, den Louis zusammen mit einem Soziologen und einem Philosophen seit Monaten überall in Europa führt." Das neue linke Triumvirat erklärt u. a.: "In den Klassenverhältnissen komme eine strukturelle Gewalt zum Ausdruck."
Dass deren Opfer sie nicht mehr ertragen wollen, habe in dieser Heftigkeit viele überrascht und hält die französische Medienlandschaft in Atem. Spreng zitiert den Philosophen Alain Finkielkraut, der die Gelbwesten für einen würdigen Ausdruck der Verzweiflung über die Prekarisierung vieler Lebensverhältnisse hält.
Brigitte Bardot ließ sich mit nach oben gerecktem Daumen in einer gelben Warnweste fotografieren. Der Autor warnt: "An diesem Samstag, dem vierten nationalen Protesttag, könnte es erneut zu Brandsätzen und Tränengaseinsatz in der französischen Hauptstadt kommen."
In der Tageszeitung DIE WELT überlegt Dirk Schümer: "Sind die gewalttätigen Geschehnisse in Frankreich Vorboten der Machtübernahme durch die Straße? Oder weht hier wie einst unterm Pflasterstrand 1968 der Wind des Wechsels, diesmal von rechts?"

Schriftstellerinnen auf dem Vormarsch

Die TAZ vom Wochenende wundert sich: "Alle wichtigen deutschen Literaturpreise wurden in diesem Jahr von Schriftstellerinnen abgeräumt. Was ist da geschehen?" Dirk Knipphals stellt fest: "Der Befund verdient festgehalten zu werden. Bislang wurden Preisträgerinnen oft noch als Ausnahme gesehen."
Er hat auch herausgefunden: "Preiswürdig waren diejenigen Bücher, die in ihren Schreibweisen ganz souverän künstlerischen Raum einnehmen". Knipphals resümiert: "Es kann also gut sein, dass sich 2018 prinzipielle Verschiebungen im Literaturbereich zeigten, die zuvor in dieser Deutlichkeit nur noch nicht in den Preisen zum Ausdruck gekommen war."

Beim Briefwechsel knistert es zwischen den Zeilen

Interessant an der Stelle ein Verweis auf die LITERARISCHE WELT, die unter der Überschrift "Kursbuch eines Flirts" auf einer ganzen Seite für ein Buch aus dem Suhrkamp Verlag wirbt. Katharina Teutsch rezensiert den bislang unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger und urteilt: "Dieser Briefwechsel ist ein Stück Literaturgeschichte - und manchmal knistert es sogar zwischen den Zeilen."
Wer sich speziell für Literatur interessiert, dem sei in der Wochenendausgabe der traditionelle Jahresrückblick von TAZ-Autorinnen- und Autoren empfohlen, die individuell je ihren "Roman des Jahres", das beste "Politische Buch" und Bücher "zum Verschenken" wie "zum Angeben" ausloben und solche, die "auch schön" sind.

Anzeichen einer Wiederkehr der religiösen Rechten in Italien

Es geht vor allem Frauen an, ist aber keineswegs nur ein Frauenthema, was derzeit in Italien geschieht. Cinzia Sciuto, Redakteurin der Kulturzeitschrift "Micromega" gibt, ebenfalls in der TAZ, zu Protokoll:
"Die Anzeichen für eine Wiederkehr der religiösen Rechten, die die Zivilrechte und besonders die Frauenrechte einschränken will, sind besorgniserregend. Zur Diskussion gestellt werden die mühsam errungenen Rechte von einem dichten Netz ultrareligiöser, rechter Organisationen, die in vielen Ländern verbreitet und miteinander eng verflochten sind, von Ungarn bis Spanien, von Polen bis in die USA."
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