Aus den Feuilletons

Doppelspitze im Schloss Bellevue?

Schloss Bellevue vor grüner Wiese und unter blauem Himmel
Schloss Bellevue, der Amtssitz von Bundespräsident Steinmeier © dpa / Lukas Schulze
Von Hans von Trotha · 24.10.2016
Die Vorstellung, dass Bundespräsident Joachim Gauck die Interessen aller Wähler gleichermaßen abbildet, sei Selbstbetrug gewesen, schreibt die "taz". Nur eine Doppelspitze könne hier annähernd für Parität sorgen: ein Mann, eine Frau, für jedes Lager ein Vertreter. Und sie nennt auch gleich Namen.
"Amerikaner sind süchtig nach Hoffnung", schreibt Mark Lila, Professor für Ideengeschichte an der Columbia University, in der NZZ zum US-Wahlkampf.
Die Electropunkerinnen von Le Tigre, "Hardcore-Feministinnen" und "Riot Grrrl Band der ersten Stunde", sind für "... na, die Frau eben!", seufzt Noemi Molitor in der TAZ angesichts der "Hosenanzug-Solidarität" der Musikerinnen mit Hillary Clinton. Le Tigre, die ihrerseits auch schon in Hosenanzügen auffielen, "sind überzeugt: Clinton ist feministische Errungenschaft, a "Pantsuit-wearing herstorical first-timer" nämlich. Auch für die radikale Riot-Grrl-Bewegung scheint Frausein also ein Politikum per se zu sein", klagt Molitor.

Trump-Lager kann von Österreich lernen

Die Medien mögen Trump noch weniger als Clinton. Weswegen Trump-Anhänger jetzt nach Dresden schauen. "Trump-Fans", steht im TAGESSPIEGEL, "schreien 'Lugenpresse'. Ein deutsches Unwort schafft es in die USA", für Joachim Huber "Beweis dafür, dass die Amis lernfähig sind". Klar, so Huber, "'Kindergarten', 'Rucksack', 'Bratwurst', 'Angst', 'Blitzkrieg' das sind deutsche Wörter, die es über den Teich in den US-Wortschatz geschafft haben. Jetzt also 'Lugenpresse', ein Begriff, der als 'Lügenpresse' durch Pegida neue Konjunktur gewonnen hatte."
Auch von unseren gleichsprachigen Nachbarn, den Österreichern, konnte das Trump-Lager lernen, wie Isolde Charim in der TAZ berichtet:
"Donald Trump hat ja schon vor der Wahl eine mögliche spätere Anfechtung in Aussicht gestellt. Es ist so, dass wir da in Österreich schon einige Erfahrung damit haben – sowohl mit Rechtspopulisten als auch mit Wahlanfechtungen. Die kleine Alpenrepublik ist nicht immer nur das Schlusslicht der Entwicklungen – nein, sie ist diesmal eine Art Avantgarde. In China", zitiert Charim die Satiriker Stermann und Grissemann, "laute der neue Männergruß bereits: Möge dein Orgasmus so lange dauern wie ein österreichischer Wahlkampf.".
Und wenn man dann einen hat, so einen Präsidenten, na ja, dann hat man ihn. Wie die Franzosen ihre "Plaudertasche der Republik", so Jürg Altwegg in der FAZ über François Hollande, der, Zitat: "eine Reihe von 'Schockwellen'" mit bloßem Dahergequatsche auszulösen in der Lage war, Gequatsche allerdings, das fast 700 Seiten füllt und mit dem Titel "Was ein Präsident nicht sagen sollte" ganz gut umschrieben scheint. "Als 'Hollandes Harakiri' wird der Gesprächsband" nach Altwegg "auch von seinen allerletzten Freunden bezeichnet."

Das Ich aus McEwans Roman als idealer Bundespräsident

Aber wir machen's uns hier ja auch nicht leicht. Dabei hätten wir einfach nur so gern noch einmal einen Gauck. Wenn das kein bescheidener Wunsch ist. Aber, desillusioniert uns Tobias Schulze in der TAZ: "Einer für alle ist Illusion." Denn:
"Schon die Vorstellung, dass Joachim Gauck die Interessen von Grünen-, SPD-, CDU-, CSU- und FDP-Wählern gleichermaßen abbildet, war im Grunde genommen nicht mehr als Selbstbetrug. Wer sich dennoch wünscht, dass im Schloss Bellevue die unterschiedlichen Positionen des Parteiensystems möglichst breit gespiegelt werden, kommt an einer Verfassungsänderung nicht vorbei: Höchstens eine Doppelspitze für die Bundesrepublik würde annähernd für Parität sorgen. Ein Mann, eine Frau, für jedes Lager ein Vertreter. Wolfgang Schäuble und Claudia Roth zum Beispiel, die sich in den kommenden fünf Jahren mit der Weihnachtsansprache abwechseln."
Mit dieser wüsten Drohung wedelt Schulze natürlich nur, um zu fragen:
"Taugt auch nichts? Dann müssen wir uns von der Vorstellung eines vermeintlich neutralen Staatsoberhaupts in einer heterogenen Gesellschaft vielleicht verabschieden."
Denn das – Neutralität - erwarten wir Deutsche von unserem Präsidenten. Also einen, der nachdenkt und so, dass schon, aber sich nicht einmischt. Vielleicht das Ich aus Ian McEwans neuem Roman. "Ihm hat", berichtet die FAZ, "Ian McEwan alles mitgegeben, was ihn beschäftigt". Es handelt sich um einen "Helden, der denken, aber nicht handeln kann" – also der ideale Bundespräsident. "Mich reizte", so der Autor im Gespräch mit der FAZ, "der Gedanke, jemanden zu zeigen, der über die Welt nachdenkt, ohne selbst Verantwortung zu tragen". – Das ist er. Unser Mann fürs Bellevue. Allein, wir werden da wohl ein wenig warten müssen. Das Ich in Ian MacEwans Buch ist ein Embryo.
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