Aus den Feuilletons

Die Linke und der Islamismus

06:23 Minuten
Die Basilika von Notre-Dame im Abendlicht. Außerdem Polizisten und ein Absperrband.
In Nizza wurden am Donnerstag drei Menschen Opfer islamistischen Terrors. © Dylan Meiffret / MAXPPP / dpa
Von Arno Orzessek · 31.10.2020
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Nach den islamistisch motivierten Anschlägen in Frankreich ist auch hierzulande eine Debatte über den Umgang mit dem politischen Islam entbrannt. In der "Welt" klärt Deniz Yücel über Islamismuskritik von links auf.
Zuletzt ein Erstochener in Dresden, ein Enthaupteter nahe Paris, drei Dahingemetzelte in einer südfranzösischen Kirche – der islamistische Terror ist eine finstere Plage unseres Zeitalters und zugleich der "blindeste Fleck" der Linken. So hat es jedenfalls der SPD-Vize Kevin Kühnert ausgedrückt.
Die Tageszeitung DIE WELT fand jedoch, Kühnert habe bei der Diagnose ‚blindester Fleck‘ selbst einen solchen offenbart. Sie titelte: "Es gibt linke Islamismus-Kritik". Und zwar bereits seit 40 Jahren, konstatierte Deniz Yücel und spottete mit Blick auf Kühnert:
"Dass ich von einer Sache nichts weiß (oder in meiner Twitter-Timeline nichts davon mitbekommen habe), heißt noch lange nicht, dass sie nicht existiert. Bei den allermeisten in linken Milieus, erst recht bei dessen prominenten Stimmen, überwogen [nach den Attentaten] aber Ablehnung und Abscheu, selbst wenn einige der Intensiv-Twitterer zu diesen Statements erst getragen werden mussten."

Was Islamisten und Rechtextremisten vereint

Die TAGESZEITUNG nahm Kühnerts Anwurf ernst und fragte:
"Wie können sich Linke entschlossener, lauter und geeinter als bisher gegen Terror islamistischer Machart stellen, ohne sich von den rechtsextremen Kräften im Land instrumentalisierbar zu machen? Wie also das eine Monster bekämpfen, ohne das andere zu füttern?"
Laut TAZ-Autor Daniel Marwecki, Dozent für Internationale Politik in Hongkong, geht das wie folgt:
"Indem die Linken das bekämpfen, was beide Monster eint: die totalitäre Erhöhung des Kollektivs über das Individuum. Diese äußert sich in Rassismus. Aber auch in Antisemitismus: Bei den Islamist:innen wie auch bei den Rechtsextremen haben am Ende meistens die Juden an allem Elend Schuld. Die Attentäter von Halle, Hanau, Paris und Dresden kommen alle aus derselben Hölle. Das müssen wir immer und immer wieder unterstreichen."
Was meinen Sie? Präsentierte der TAZ-Autor Marwecki ein gutes Rezept? Oder war es eine typisch linke Ausweichbewegung, die den Islamismus reflexhaft unter andere Ismen mischt: Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus et cetera?

Kampf der Identitäten als neuer Klassenkampf

Lassen wir das offen und hören indessen auf den französischen Intellektuellen Pascal Bruckner, der in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG erklärte:
"Ein großer Teil der Linken hat den Klassenkampf aufgegeben und ihn durch den Kampf der Identitäten ersetzt. Für sie ist der Islam die Religion der Unterdrückten, der neue Verbündete im Kampf gegen den Kapitalismus. Er verkörpert für sie die neue Revolutionshoffnung, nachdem die Arbeiterklasse den Marxismus verraten habe. Aber das ist ein Kuhhandel: Man wendet auf eine Religion, die nach Auffassung der Islamisten nicht veränderbar ist, vollkommen westliche Werte an. Die Islamisten nutzen das, um ihre Werte Gewerkschaften und linken Organisationen aufzuprägen."

Monika Marons Noblesse im Umgang mit ihren Kritikern

Wir bleiben in der recht-linken Problemzone. "Kenne deine Freunde", betitelte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG einen Einwurf des Schriftstellers Ingo Schulze, der die Trennung des S. Fischer Verlags von Monika Maron guthieß. Maron – das zur Erinnerung – hatte einen Essayband in der "Exil-Edition" des Buchhauses Loschwitz veröffentlicht, das mit dem rechten Antaios-Verlag kooperiert.
"Während der Staat eine juristische Abgrenzung gegen die völkische Rechte vornimmt, ist die Zusammenarbeit des Buchhauses Loschwitz mit dem Verlag Antaios der Versuch, diese völkische Rechte kulturell salonfähig zu machen. Man rollt ihr den roten Teppich aus. Nicht mehr und nicht weniger. Und die Bücher von Jörg Bernig, Monika Maron und Uwe Tellkamp sind ein Teil dieser Strategie und damit nicht unschuldig." So Ingo Schulze.
Der Historiker Michael Wolffsohn urteilte in der WELT unter dem Titel "Monika Maron hat eine Entschuldigung verdient" völlig anders:
"Maron wird Nähe zur AfD, ja sogar zu deren Flügel unterstellt. Wenn dies zuträfe, würde ich als deutschjüdischer Historiker, Sohn und Enkel von Holocaustüberlebenden, nie und nimmer Monika Maron verteidigen. In der öffentlichen Debatte um ihren rüden Rauswurf hätte sie mühelos ihren eigenen ‚Jüdischen Schutzschild‘ benutzen können. Sie wäre sofort aus der Schusslinie gekommen. Sie zeigte Noblesse und tat es nicht."

Viel Kritik am zweiten Kultur-Lockdown

Wir halten fest: Die Diskussionskultur in den Feuilletons kommt unbeschadet durch die Pandemie – anders viele Kulturinstitutionen. "Sobald es ernst wird, wird die Kultur zum Schweigen gebracht", echauffierte sich die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG angesichts des "Lockdown light" ab Montag:
"Das Signal, das der Staat mit dieser Massnahme aussendet, ist fatal. Er reduziert die von ihm selbst massgeblich geförderte Kultur auf die Rolle eines Dienstleisters, den man beliebig herbeirufen oder abbestellen kann – wie einst die zu Speis und Trank kredenzte Tafelmusik bei Hofe", erregte sich der NZZ-Autor Christian Wildhagen.
In der SZ schimpfte Barbara Mundel, Intendantin der Münchner Kammerspiele:
"Was mich absolut verstört, ist, dass wir gerade wieder über die Freiwilligkeit der kulturellen Subventionen reden müssen. Ich habe gedacht, diese Diskussionen hätten wir hinter uns. München hat jetzt eine Sparrunde beschlossen. Und das im Freistaat Bayern, der sich als Kulturstaat begreift. Ich habe das Gefühl, Kunst ist etwas, das nur solange relevant ist, wie man sie aus der Portokasse bezahlen kann. Das kann doch nicht wahr sein."

Kunst versus Manuel Neuer

Eher süffisant: Der Schauspieler Matthias Brandt in der FAZ. Laut Brandt zeigt die Pandemie, "dass die Leistungen eines Manuel Neuer als systemrelevant erachtet werden und das, was wir machen, eben nicht." Unterdessen griff der Verfassungsrechtler Oliver Lepsius die Coronapolitik der Bundesregierung hart an: "einer Demokratie unwürdig", und befand mit Blick auf die neuerlichen Öffnungsverbote vieler Einrichtungen:
"Letztlich hängt alles vom Verhalten ab, nicht vom Betreiben von Einrichtungen: Hygieneregeln mit Abstand und Maske sind jedenfalls verhältnismäßigere und offenbar effektivere Mittel des Gesundheitsschutzes als pauschale Betriebsverbote oder Ausgangsbeschränkungen."
Ja, stimmt: Die US-Wahlen am kommenden Dienstag haben die Feuilletons natürlich auch um und um getrieben, doch unsere Zeit ist abgelaufen. Falls Sie noch nicht wissen, was Sie an diesem Sonntag machen sollen – die TAZ titelte: "Nüscht. Machen Sie einfach nüscht".
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