Aus den Feuilletons

Die futuristische Eleganz der E-Zigarette

Ein Mann raucht eine elektrische Zigarette.
Ein Mann raucht eine elektrische Zigarette. © picture alliance / dpa / Frank Leonhardt
Von Maximilian Steinbeis · 30.11.2014
"Kann die E-Zigarette rebellisch sein?", fragt eine Tabakraucherin in der "taz" und ist über ihre eigene Antwort überrascht. Die deutschen Feuilletons werden von Identitätsfragen bestimmt.
Kennen Sie den "White Van Man"? Vermutlich nicht, wenn Sie die Kulturpresseschau hören, denn der White Van Man ist eine denkbar feuilletonferne Gestalt. Gemeint ist, so verrät uns in der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG deren Kulturkorrespondentin in Großbritannien Gina Thomas:
"Der Typus des selbständigen mobilen Handwerkers oder gewieften Gelegenheitsarbeiters, der sich in einem weißen Kleintransporter aggressiv durch den Verkehr pflügt. Zu seinen klassischen Attributen zählen der geschorene Kopf, ein Ring im Ohr und Tätowierungen unter dem weißen Unterhemd."
Warum interessiert sich die FAZ für diese Leute? Weil sie den Schlüssel für den Niedergang der etablierten Parteien darstellen, die in den letzten Jahrzehnten in Englands einst so hierarchischer Klassengesellschaft der Mittelschicht zur absoluten Dominanz verholfen haben - nur um jetzt von der UK Independence Party vor sich hergejagt zu werden.
Wenn sich die "feinen Pinkel der Konservativen Partei und die linksliberalen Intellektuellen an der Spitze der Labour Party" über die UKIP wählenden "Rüpel" lustig machen, dann, so warnt die FAZ-Autorin düster, zu ihrem eigenen Schaden: Die etablierten Parteien "irren ohne Navigationssystem durch eine Landschaft, in welcher der white van man zu den wenigen gehört, die sich ihrer Identität bewusst sind".
Politisches Gefahrgut höchster Risikoklasse
Identität - das ist ein politisches Gefahrgut höchster Risikoklasse, woran uns gottlob die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG erinnert. Der Religionshistoriker Hubert Wolf schreibt dort über den Versuch Papst Pius IX. vor genau 150 Jahren, die Identität der katholischen Kirche gegen die Moderne zu panzern. "Syllabus errorum" hieß die päpstliche Liste von 80 Dingen, an die ein Katholik nicht glauben durfte, von der Gewissensfreiheit über die Zivilehe bis zu Fortschritt und Rationalismus.
Das änderte sich erst 1965 mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. "Sie bewegt sich doch, die katholische Kirche", seufzt der SZ-Autor anspielungsreich, und stellt damit unter Beweis, prinzipiell in der Lage zu sein, ihre Positionen weiterzuentwickeln und notfalls radikal zu korrigieren.
Weniger erfreulich sind die Nachrichten, die uns in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG der Schriftsteller Yali Sobol über den Identitätswandel seines Heimatlandes Israel überbringt:
"Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung hat nicht genug Zeit oder Energie, um sich über Terrorismus und dessen Ursachen und Erscheinungsformen Gedanken zu machen; und diesen Menschen erscheint Rassendiskriminierung irgendwann nicht mehr als eine abartige Ideologie, sondern als logische und praktische Überlebensstrategie."
Demokratie als Schwäche?
Israels Identität, die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten zu sein, gerate ins Wanken. "Demokratie (...) kann unter solchen Bedingungen wie eine Schwäche erscheinen; eine unnötige Bürde für die Sicherheit der Nation, ein Luxus."
Mit Identitätsproblemen ganz anderer Art plagt sich zuletzt die taz herum: "Kann die E-Zigarette rebellisch sein?", fragt die bekennende Tabakraucherin Doris Akrap, und: "Wie hält man sie elegant?" Lange habe sie gezögert: "Allein das Wort E-Zigarette war hässlich und generierte Bilder von E-Herden und E-Werken, an die man sich klemmen sollte, um seine Sucht zu befriedigen."
Der Erfolg des dampfenden Elektronikartikels versetze "nicht nur die Tabakindustrie in Angst, den Anschluss zu verlieren. Sondern auch Zigarettenliebhaber wie ich. Würde ich irgendwann allein in der Raucherecke stehen, weil ich romantischen Bildern nachhing, die längst vergilbt waren? Raucher sind dreckig, machen unsere Kinder kaputt und ruinieren unser Gesundheitswesen - das Bild hatte sich durchgesetzt."
Doch hat der Wandel nicht auch seinen Reiz? Verglichen mit den "Ästhetiken aus dem letzten Jahrhundert" sei die "Geste des Dampfens" aufregend "neu und entsprechend unscharf". Und siehe - auch die an Lauren Bacall und Coco Chanel geschulte ästhetische Identität der Zigarettenraucherin ist wandelbarer, als die TAZ-Autorin zunächst für möglich hielt: "In dem, was für Nichtraucher wie Kugelschreiberlutschen aussieht, entdecken Umsteiger wie ich eine futuristische Eleganz."
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