Aus den Feuilletons

Die "Drecksarbeiter des Internets"

Der Schatten einer Hand ist über einer Computer-Tastatur zu sehen.
Hasskommentare, Pornos und Gewaltvideos: Niedriglohnarbeiter müssen sie ansehen und löschen - ein Drecksjob. © picture alliance /dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Tobias Wenzel · 27.04.2016
Sie sitzen für Facebook oder YouTube am Bildschirm, löschen Pornos und Gewaltfotos. Die Süddeutsche Zeitung berichtet von der "digitalen Putzkolonne" – Niedriglohn-Arbeiter auf den Philippinen. Die Folgen des Bilderhorrors reichen von "Schlafstörungen bis zu Depressionen, Alkoholismus und paranoidem Misstrauen".
"Liebst Du mich wirklich, Ingeborg, kannst Du mich wirklich noch lieben nach all dem? Sag’s mir", schreibt Paul Celan am 16. Oktober 1957 seiner Dichterkollegin Ingeborg Bachmann, die Geliebte war, dann gute Freundin und erneut Geliebte. "Der letzte Kuß vorgestern nacht: vergiß nicht, wohin er weist." Es ist einer von zwei Briefen, die nun auf dem Dachboden der Familie Bachmann gefunden wurden. DIE ZEIT druckt beide Liebesbriefe ab. Und Iris Radisch bewertet den Fund: "Für Celan war es offensichtlich denkbar, seine Familie zu verlassen." Aber auch die Gedichte aus dieser Zeit müsse man neu lesen, urteilt Radisch. "Es gibt ja kaum ein Gedicht, in dem ich nicht Raum für Dich gelassen hätte", schreibt Celan an Bachmann. Über den Gedichten druckt DIE ZEIT das einzige erhaltene Foto ab, das die beiden Geliebten gemeinsam zeigt: Celan raucht. Auf dem Tisch steht ein Glas mit Wasser oder Weißwein.

Die digitale Putzkolonne der sozialen Netzwerke

Solch unverfängliche Fotos würden jene Menschen auf den Philippinen sicher gerne öfter sehen, die Tilman Baumgärtel in der BERLINER ZEITUNG als "Drecksarbeiter des Internets" vorstellt. Die Arbeiter, die für 300 Euro pro Monat stundenlang für Facebook, Youtube und Twitter am Bildschirm sitzen, von Algorithmen als verdächtig eingestufte Fotos und Videos angezeigt bekommen und sie dann löschen, wenn sie ihnen als gewaltverherrlichend oder pornografisch erscheinen. "Weil sie den ganzen Tag mit Schmutz bombardiert werden, stumpfen sie ab", referiert Baumgärtel, was der Berliner Theatermacher Moritz Riesewieck im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung in Manila recherchiert und nun unter dem Titel "Die Müllabfuhr im Internet" präsentiert hat. Riesewieck ist es gelungen, das Schweigen philippinischer Arbeiter zu brechen. "Laut Verpflichtung, die jeder Mitarbeiter dieser digitalen Putzkolonnen unterschreiben muss", erklärt Till Briegleb in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "dürfen sie nicht einmal ihren Partnern davon berichten, was sie den ganzen Tag über sehen müssen - falls eine Partnerschaft nicht sowieso von diesem Job zerstört wird. Von Libidoverlust über Schlafstörungen zu Depressionen, Alkoholismus und paranoidem Misstrauen gegenüber anderen Menschen reichen die Leiden, die das stumme Verschließen des Bilderhorrors im eigenen Kopf erzeugt."

Außenminister räumt Fehler in Bezug auf Colonia Dignidad ein

Deutsche Diplomaten hätten "bestenfalls weggeschaut", habe nun Frank-Walter Steinmeier mit Blick auf die Colonia Dignidad gesagt, schreibt Bernd Pickert in der TAZ. Zum ersten Mal überhaupt habe ein deutscher Außenminister "schwere Fehler" im Umgang mit der 1961 vom deutschen Pädophilen Paul Schäfer gegründeten Sektensiedlung in Chile eingeräumt, in der Kinder festgehalten, mit Psychopharmaka zwangsbehandelt und missbraucht wurden. Steinmeier habe allerdings nur ein Fehlverhalten einzelner Diplomaten bejaht und bewusst das Wort "Entschuldigung" vermieden. Wohl auch, um "Entschädigungsforderungen" entgegenzutreten. "Nicht Einzelnen war der Kompass verloren gegangen", hält der TAZ-Autor mit Blick auf die Diplomaten dagegen. "Sie wussten sich im Einklang mit einer Politik des Wegschauens."

WDR macht Büro-Bilder zu Geld

Erst vor kurzem wurde wohl beim WDR genauer hingeschaut, was da so alles in den Büros der Chefs hing: Kirchner und Pechstein zum Beispiel. Der Sender will nun das Haushaltsloch auch durch die Versteigerung von Kunst stopfen. "Sotheby’s schätzt die 48 Bilder auf zusammen knapp drei Millionen Euro", schreibt Christoph Driessen in der BERLINER ZEITUNG. "Da hat einer beim WDR in den 50er Jahren ein gutes Händchen gehabt. Dabei ging es damals nicht um den Aufbau einer Kunstsammlung", erläutert Driessen. "Die Bilder, damals noch ganz billig, wurden wohl eher unter Bürobedarf abgebucht – als Dekoration."
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