Aus den Feuilletons

Desorientierte Gespenster

ÖVP-Bundesparteiobmann Sebastian Kurz (r) und FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache am 16.12.2017 in Wien (Österreich) im Rahmen der Präsentation des Koalitionspakts und des Koalitionsabkommens.
Die Chefs der Parteien FPÖ und ÖVP, Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz © dpa-Bildfunk / APA / Roland Schlager
Von Adelheid Wedel · 17.12.2017
Joseph Roths "Radetzkymarsch" untermale perfekt den Schulterschluss zwischen Bürgerlichen und Rechtsnationalen in Österreich, während sich Gegenwart und Vergangenheit verknäuten "wie verzweifelte Liebende", so Jan Küveler in der "Welt".
"Die Migration zeigt keinen Epochenwandel an, sondern ist ein altes Thema.", fasst Rudolf Walther in der Tageszeitung TAZ das Ergebnis einer Tagung in Frankfurt/Main zusammen, bei der es um Konzepte für eine rational fundierte Migrationspolitik ging.
Das Flüchtlingsproblem sei nur deshalb so drängend geworden, "weil die Staaten keine vernünftige, langfristig angelegte Migrationspolitik haben", berichtet Walther von der Konferenz.

Selbst erzeugte Panikstimmung über Flüchtlingsströme

Aus der Situation leitet er ab: "Aus der selbst erzeugten Panikstimmung über 'plötzliche' mitverursachte 'Flüchtlingsströme' destillierten konservative Medien, Boulevardpresse, Rechte und Rechtsradikale den gefühlten Notstand, der AfD und FDP den Aufstieg, und CDU/CSU und SPD den Abstieg einbrockte."
Einzelne Konzepte der Referenten lassen sich in der TAZ nachlesen, hier muss ein Beispiel genügen: Der kanadische Richter und UN-Berichterstatter für die Rechte von Migranten gab mahnend zu bedenken:
"Mit der Repression gegen Flüchtlinge fördern Staaten nur die Starken und Korrupten (nämlich die Schlepper), so wie die USA zur Zeit des Alkoholverbots die Schmuggler und Verbrecher treibhausmäßig züchteten."

Die Geschichte ist nie weit weg in Österreich

"Neues vom Neofaschismus" heißt eine leicht irritierende Überschrift in der Tageszeitung DIE WELT. Jan Küveler gelingt es glänzend, die Neu- Inszenierung von Joseph Roths "Radetzkymarsch" an der Wiener Burg mit der aktuellen politischen Situation im Land zu verknüpfen:
"Dass Geschichte nie weit weg ist in Österreich, dass sich Gegenwart und Vergangenheit ineinander verknäuen wie verzweifelte Liebende, das zu bemerken hatte man am Wochenende reichlich Gelegenheit."
Es sei Roths großes Verdienst, "das Symbolische und das Konkrete, das Reich und den Menschen so nahtlos ineinanderlaufen zu lassen wie Vergangenheit und Gegenwart in Wien." Während also im Burgtheater früher mit heute verknüpft wird,
"versammeln sich wenige Kilometer entfernt der neue, junge Kanzler der Republik, Sebastian Kurz, und sein soeben proklamiertes Kabinett auf dem Kahlenberg. In den Kaffeehäusern der Stadt sitzen die Leute über die Zeitungen gebeugt, die vom historischen Schulterschluss zwischen Bürgerlichen und Rechtsnationalen berichten, wie ihn diese Regierung vollzieht," beobachtet der Autor.
Das alles sei Resonanzboden für den "Radetzkymarsch", "in dem Gespensterfiguren sich in fortschreitender Desorientierung üben."
In den Worten Roths klingt das so: "Alles, was einmal vorhanden gewesen war, hatte seine Spuren hinterlassen und man lebte dazumal von den Erinnerungen, wie man heutzutage lebt von der Fähigkeit, schnell und nachdrücklich zu vergessen."
Von hier ist der Weg nicht weit zur AfD. Der Historiker Magnus Brechtken macht sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Gedanken über den Erfolg dieser Partei und meint, um das zu verstehen, müsse man zurückdenken bis zum Dreißigjährigen Krieg. Seine These: "Autoritäre Traditionen verbinden rechte und linke Traumtänzer."

Fixierungen auf Autorität und Obrigkeit

Er führt aus: "Während auf der Rechten (Seite) eine harmonisierte deutsche Geschichte vergangener, idealisierter Zeiten imaginiert wird, ist auf der Linken immer noch einiges aus der Phantasiewelt kommunistischer Erlösungsvorstellungen vernehmbar. Ähnliches, Verwandtes und bisweilen Gemeinsames zwischen Rechten und Linken findet sich etwa in der Distanz zum sogenannten Westen, namentlich zu den Vereinigten Staaten, in der Faszination für Russland oder auch in einer distanzierten, kritischen Haltung zu Israel."
Im historischen Rückblick konstatiert der Wissenschaftler seit 1930 "enorm wachsende Zustimmung für antidemokratische Parteien und damit den Willen, die parlamentarische Demokratie in Deutschland zu beseitigen." Er nennt es "die deutsche Sehnsucht nach Obrigkeit" und sucht und findet deren Ursachen weit zurück, in der Zeit der Religionskriege.
Von daher "lassen die Fixierung auf Autorität und Obrigkeit erkennen, warum extrem nationalistisches und volksgemeinschaftlich-sozialistisches Denken gerade in Deutschland an die Macht kam."
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