Aus den Feuilletons

Dem Fälscher über die Schulter geschaut

Der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi diskutiert am 21.05.2014 in Köln (Nordrhein-Westfalen) auf der Phil.Cologne mit dem Philosophie-Professor Christoph Menke.
Der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Von Paul Stänner · 05.12.2014
Die Kulturseiten der Tageszeitungen diskutieren über Für und Wider der 3sat-Reihe "Der Meisterfälscher", die den verurteilten Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi porträtiert. Weitere Themen: Die zunehmende Angst der Europäer und ihr mangelnder Glaube an Gott.
Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi ist die personifizierte Provokation: Der vermutlich best-verdienende Freigänger in der jüngeren Justizgeschichte – abgesehen von Uli Hoeneß vielleicht – darf fünf Folgen lang auf 3sat, dem Fernseh-Programm der kulturellen Klasse, Porträts malen.
Beltracchi stiehlt Harald Schmidt die Shwo
Thomas Gehringer im TAGESSPIEGEL befindet, der Auftakt mit Harald Schmidt sei kurzweilig und Beltracchi:
"… der stiehlt Schmidt mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein geradezu die Show"
– was man wohl als Respektsbezeugung verstehen muss, denn dass jemand Harald Schmidt die Show stahl, hat man lange nicht mehr gehört. Der Zuschauer lerne über die Maltechniken unterschiedlicher Künstler und – wieder Gehringer:
"Fälscher-Handwerk wird zu unterhaltsamem Bildungsfernsehen, wenn das keine tätige Reue ist."
Verurteilt, aber bei den Medien beliebt
Man hört heraus, dass Gehringer das Resozialisierungsprogramm von 3sat gut gefällt. Ganz anders die SÜDDEUTSCHE :
"Der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi ist verurteilter Straftäter, aber das hindert ihn nicht daran, Medienkarriere zu machen", empört sich Catrin Lorch.
"Als Freigänger im offenen Vollzug wurde er zum gefragten Talkshow-Gast. 3sat schenkt ihm jetzt noch Sendeminuten dazu".
Den basso continuo der verletzten Rechtschaffenheit hält sie durch bis zum Ende, wo sie den Fälscher noch mit der rhetorische Frage konfrontiert, warum niemand einen Beltracchi ausstellen wollte und gleich antwortet:
"Schwer zu sagen, es sieht einfach nicht aus."
Straf- und Kunstrecht ergänzen einander und es ginge übel aus für Beltracchi, müsste Lorch nicht einräumen, das alles sei ein Riesenspaß.
Von einer neuen Kultur der Angst
Der Spaß – und zwar grundsätzlich – hat ein Ende, meint Martin Meyer in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Er registriert den Übergang von einem Weltgefühl des sanft ironischen Hedonismus zu Anfang des Jahrtausends, das unter den Schlägen von 9/11, Finanzkrise und Dschihadismus zerbröselt sei, hinüber zu einer Kultur der Angst. Er führt eine lange Liste von auseinanderfallenden Institutionen und Gewissheiten auf und konstatiert, dass diese "Ortlosigkeit" wie er es nennt, umschlägt:
"Sie wird immer weniger als Chance begriffen, unter Risiken je Eigenes zu wagen…sondern versteht sich als Nährboden der Angst."
Laut Heidegger könne uns vor der großen Leere nur ein Gott retten, aber Meyer zuckt gleichsam die Achseln, wenn er schreibt:
"Man fragt sich bloß, wie?".
Mangelnder Gottglaube
Eine mögliche Antwort gibt Alan Posener in der WELT. Er fordert: "Advent für alle". Ihm ist aufgefallen, dass
"in einem Land, dessen östliche Hälfte die zweifelhafte Ehre besitzt, die gottloseste Region der Welt zu sein…es nicht leicht sei, außerhalb einer Kirche dem Menschen zu begegnen, dessen Lebensgeschichte einst dieser Kultur ihren Sinn gab. Und das ist nicht gut so."
Er macht einen Schwenk in die Multikultidebatte, die er als Auseinandersetzung mit den religiösen und geschichtlichen Narrativen der in Deutschland lebenden Mehr- und Minderheiten versteht. Dann beschwört er seine Leser, sich zur Geschichte aus dem Geiste des Christkindes zu bekennen:
"Man versteht ohne Weihnachten buchstäblich den Geist des Kontinents nicht, besser: seine guten Geister. Denn sie speisen sich, … aus der Weihnachtsgeschichte. Wir Europäer sind nun einmal die Kinder dieses Kindes, und das ist gut so."
Obamas Weihnachtslektüre
Liegt hier vielleicht die Rettung aus der von der NZZ konstatierten Kultur der Angst? Oder verlassen wir uns besser auf mächtige Männer?
Die WELT behauptet gesehen zu haben, was Barack Obama sich für den weihnachtlichen Büchertisch gekauft hat und druckt eine kommentierte Liste. "Being Mortal" heißt ein Titel und die WELT erkennt, dass Obama damit Kompetenz in Sachen Sterbehilfe beweist. "Heart of Darkness" sei dagegen ein Demonstrationskauf gewesen, ein Hinweis auf die Barbarei des IS. "Age of Ambition" über Individualismus in China – hier hole sich Obama Nachhilfe in Sachen Soft Power. Irritiert von dieser Liste wendet sich der Agnostiker dann doch lieber der Weihnachtsgeschichte zu. Die mag auch eine Erfindung oder eine Fälschung sein, klingt aber gut.