Aus den Feuilletons

Das Opfer der Gnus

Streifengnu Connochaetes Taurinus im Kgalagadi Transfrontier Nationalpark, Northern Province, Südafrika
Streifengnu Connochaetes Taurinus im Kgalagadi Transfrontier Nationalpark, Northern Province, Südafrika © imago stock&people
Von Tobias Wenzel · 07.04.2018
Die "Taz" gibt praktische Tipps wie man Nazi-Aufschriften an Glocken wegschleifen kann, in der "FAZ" wird der deutsche Wille zur sofortigen Eskalation kritisiert, in der "Welt" gibt es ein Lob der Empathie und die "FAS" beleuchtet ein Opferverhalten im Tierreich.
Na, schon den Frühjahrputz gemacht? "Frühjahrsputz 2018" haben Unbekannte ihre Aktion im niedersächsischen Schweringen getauft. Ein Großteil des Dorfes hing doch allzu sehr an der Naziglocke im Kirchturm. Da haben einige Dorf-Aktivisten heimlich das Hakenkreuz und den Nazispruch auf der Glocke weggeschliffen. Jetzt glänzt es an den Stellen blitzeblank. "Frühjahrsputz" eben. Die Polizei ermittelt.
Falls auch Sie, liebe Hörer, trotzdem einmal gerne eine Naziglocke "putzen" möchten, Sie aber nicht wissen, wie man das fachmännisch macht, dann hätten Sie in dieser Woche der TAZ Tipps dazu entnehmen können. Glockenexperte Andreas Rupp riet im Gespräch mit Tobias Schulze zu einer "Schleifmaschine", mit der man die Gravuren "einebnen" könne. Aber klingt die Glocke danach nicht anders?, fragt man sich als Leser.

Abschleifen dicker Hakenkreuze

Und als hätte es Rupp gehört, sagte er: "Wir wissen, dass sich solche Inschriften erst dann im Ton bemerkbar machen, wenn sie wirklich massiv auf der Glocke aufgetragen sind, großflächig und einen halben Zentimeter dick. Normale Inschriften wirken sich kaum aus." Ob nach dem Abschleifen eines sehr dicken Hakenkreuzes die Glocke weniger nach Nazi klingt, erläuterte der Glockenexperte allerdings nicht.
Am Ende dieser Kulturpresseschau gibt es noch einmal einen mit Musik verbundenen praktischen Rat. Versprochen. Aber ansonsten waren die Feuilletons dieser Woche vor allem geprägt von Menschen, Tieren und Skandalen beziehungsweise Skandalisierungsversuchen.

Eskalation und Beleidigungsrituale

"Der Islam gehört nicht zu Deutschland" – Horst Seehofers Satz kommentierte der Schriftsteller und Muslim Feridun Zaimoglu im Gespräch mit Eren Güvercin von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG unter anderem so: "Wenn Seehofer den Koran aufschlägt, wird er immer wieder auf den folgenden Satz stoßen: 'Habt ihr denn keinen Verstand?'" Zaimoglu kritisierte auch die muslimischen Verbände, die sich in "Beleidigungsritualen" ergingen.
Zu den deutschen Muslimen allgemein sagte er: "Was ich meinen Glaubensschwestern und Glaubensbrüdern zurufe: rausgehen, klüger werden, vielleicht zu einer schönen, deutschen Nürchternheit finden." Und mit Blick auf Horst Seehofer: "Es gibt eine bundesdeutsche Krankheit, und das ist der Wille zur sofortigen Eskalation und Empörung."
"Unbedingt will da einer Erregung, unbedingt Provokation", formulierte es Patricia Hecht ebenso genervt in der TAZ, meinte aber nicht den Innenminister, sondern ihren Kollegen Jens Jessen. Der hatte in der Titelgeschichte der ZEIT einen, wie er es selbst bezeichnete, "Wutausbruch" zur MeToo-Debatte. Wenn Männer beschuldigt würden, dann folge die feministische Rhetorik "dem Schema des bolschewistischen Schauprozesses, nur dass die Klassenzugehörigkeit durch die Geschlechtszugehörigkeit ersetzt" sei. Männer würden nun die "Diskriminierungserfahrung der Muslime" machen: "Jeder Muslim ein potenzieller Terrorist, jeder Mann ein potenzieller Vergewaltiger."
Dietmar Dath reagierte in der FAZ mit Ironie und skurrilem Humor auf die, wie er schrieb, "abstrusen Vergleiche" des Kollegen: "Wie schwer macht Jessen zum Beispiel mir, einem echt total netten Typen, das Leben? Soll ich jetzt vernünftige Frauen etwa altmodisch, täppisch und verklemmt mit Pralinen und Blumen beruhigen, wenn sie von der Ungenauigkeit gedruckter Wutanfälle auf die Unhaltbarkeit aller Einwände gegen ihre Meinungen schließen? Nee, weißte, danke, Mann."

Über Flüchtlinge reden, als wären sie eine Grippeepidemie

Wäre Jens Jessen doch lieber bei seiner ZEIT-Rubrik "Jessens Tierleben" geblieben, meinte man da herauszulesen. Tiere gibt es gleich noch. Aber erst zum Tier der Tiere, dem Menschen. Was macht den Menschen zum Menschen? Diese Frage interessiert den Regisseur Christian Petzold schon lange. Auch in seinem neuen Kinofilm "Transit". Der Film, eine Interpretation von Anna Seghers gleichnamigem Roman, handelt dem Regisseur zufolge "von der Liebe auf der Flucht". Das sagte Petzold im Gespräch mit Hanns-Georg Rodek von der WELT.
"Wegen der Erfahrungen der Flüchtlinge vor dem Nationalsozialismus haben wir heute den Asylparagraphen im Grundgesetz", wurde Christian Petzold politisch, "und nun wird dieser Paragraph in Grund und Boden 'reformiert', und wir reden über Flüchtlinge, als wären sie eine Grippeepidemie und infizierten unsere sozialen Netze."
Der Regisseur lobte das Mitgefühl: "Der ganze Roman von Anna Seghers handelt eigentlich von dem Erlernen von Empathie! Der Ich-Erzähler muss lernen zu lieben, muss lernen zu verzichten. Am Schluss gibt er die Frau weg und die Fahrkarte in die Freiheit weg. Zum Schluss ist er ein Mensch, und er ist das durch Empathie geworden. Jeder, der die Zuneigung gegenüber Ohnmächtigen als Gutmenschentum verunglimpft, ist eine arme Sau."

Klatschen, um den Nachbarn zu ärgern

Von der armen Sau zum mutigen Gnu. Cord Riechelmann macht es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG zum "Lebewesen der Woche". Bei langen Wanderungen seien besonders die jungen Kälber durch Löwen, Geparden und Hyänen gefährdet: "Gnus haben dagegen aber eine bis jetzt nur bei ihnen so regelmäßig beobachtete Strategie entwickelt: Bei Angriffen von Raubtieren opfern sich ältere Tiere, indem sie sich aus eigenem Entschluss Löwen oder Hyänen zum Fraß anbieten."
Um nicht so traurig zu enden, noch aus derselben Zeitung, wie versprochen, ein praktischer Rat. Die Leserfrage "Wann darf man klatschen und wann nicht?" beantwortet die Musikkritikerin Eleonore Büning so: "Immerzu. Jederzeit. Klatschen Sie, wann immer Ihnen danach zumute ist. Tun Sie es aus Freude am Leben oder um den Nachbarn zu ärgern."
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