Aus den Feuilletons

"Das 'Interview' ist sicher keine Satire"

Filmszene aus der Satire "The Interview" über ein fiktives Mordkomplott gegen den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un
Filmszene aus der Satire "The Interview" über ein fiktives Mordkomplott gegen den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un © imago/ITAR-TASS
Von Burkhard Müller-Ullrich · 26.12.2014
Allen Drohungen zum Trotz: der Nordkorea-Filmspaß "Das Interview" ist in amerikanischen Kinos angelaufen. In der "SZ", der "FAZ" und in der "Welt" wird diskutiert, wie ernst die Kränkungen der Volksrepublik im Film tatsächlich zu nehmen sind.
Nun also doch: die Nordkorea-Filmsatire "Das Interview", derentwegen nicht nur die Medienwelt mehr als eine Woche lang kopfstand, ist in amerikanischen Kinos angelaufen und hat bereits am ersten Tag fast eine Million Dollar eingespielt. Doch ist es überhaupt eine Satire?
"Das 'Interview' ist sicher keine Satire",
schreibt Fritz Göttler ein bisschen besserwisserisch in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG,
"Satire impliziert Belehrung, (...) die moderne amerikanische Comedy ist auf volle Zersetzung aus."
Das sieht Patrick Bahners in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG etwas anders:
"Die schlimmste Kränkung der nordkoreanischen Ehre liegt darin, dass der Oberste Führer als durch und durch verwestlicht dargestellt wird. Nicht die Dämonisierung, sondern die Humanisierung des Diktators macht die Satire effektiv."
Unterhaltungsindustrie zerstört Staat
Bahners hat ein gewisses Verständnis dafür, dass die Volksrepublik den Film als Angriff auf ihre Souveränität bewertet, und zwar nicht nur weil da zum Beispiel ein Kim Jong-un Basketball auf einem Feld mit niedriger gehängten Körben spielt, sondern vor allem aus folgendem Grund:
"Ein von der CIA befohlener Mordanschlag auf Kim löst hier die Revolution in Nordkorea aus. Aber nicht der amerikanische Militärapparat zerstört den nordkoreanischen Staat, sondern die westliche Unterhaltungsmaschine, also genau die Macht, die in Gestalt des japanischen Sony-Konzerns 'The Interview' verbreitet."
Nun, da der Film auch per Internet verbreitet wird, scheint die Meinungs- und Kunstfreiheit gesiegt zu haben, aber Alan Posener sieht in der WELT diesen Sieg durchaus kritisch. Im Grunde zeige sich daran bloß, dass die Amerikaner die Nordkoreaner nicht wirklich ernst nehmen. Wörtlich schreibt er:
"Der Schaden hält sich in Grenzen. Dank Nordkorea haben Google, Microsoft und Sony zusammengefunden, um den Film online zu vermarkten. Ein gutes Geschäft für Sony, das dabei 75 Prozent der Einnahmen behält, gegenüber nur 50 Prozent bei der Kinoverwertung. (...) Selten also war die Verteidigung der Freiheit günstiger zu haben. Gegenüber China etwa zeigt sich Google weniger prinzipientreu. Die Veröffentlichung der Mohammed Karikaturen wurde vom US-Außenministerium kritisiert."
Theodor Storm über Lotterie-Vorahnungen
Der Jahreswechsel ist die Zeit der Horoskope und sonstiger Wahrsagereien, und da passt es, dass die FAZ einen Text von Theodor Storm abdruckt, der vor 152 Jahren in der Zeitschrift "Die Gartenlaube" erschienen ist und dann nie mehr – damals jedoch ohne Angabe des Verfassers. Der Münsteraner Literaturwissenschaftler Gerd Eversberg,
"der in den vergangenen Jahren das bekannte Œuvre des 'Schimmelreiter'-Dichters bereits um einige vergessene Texte Storms erweitert hatte",
hat die Geschichte "Das Nummernträumen" ausgegraben und bereitet eine eigene kommentierte Publikation vor. Es ist eigentlich keine Geschichte, sondern ein Essay über den Aberglauben, man könne die richtigen Zahlen beim Lotto unter Umständen vorher träumen. Storm argumentiert so: fast jeder Lottospieler träumt irgendwelche Zahlen, was zur Folge hat, dass jede gezogene Zahl auch von irgendwem geträumt wurde. Und da nur die glücklichen Gewinner ihre Träume herausposaunen, die anderen von ihren falschen Ahnungen aber schweigen, beruht der ganze Volksglaube auf nichts anderem als der verzerrten Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeiten.
Die Bahn hat im Dezember einige Nachtzuglinien gestrichen, zum Beispiel die zwischen Berlin und Paris. Zeit, sich zu erinnern, meint die Berliner TAGESZEITUNG und hat damit den Schriftsteller Steffen Kopetzky beauftragt, der eine Zeitlang als Schlafwagenschaffner gearbeitet hat. Er beschwört
"die großen Bahnhöfe, an denen man voller Euphorie ankam. Die kleinen Pensionen, in denen man tagsüber schlief. Das unbeschreibliche Gefühl, der Letzte an einem mitternächtlichen Gleis zu sein, das Versprechen unendlich zur Verfügung stehender Zeit und der sehnsüchtige Traum von einem freien Kontinent, der wie an Perlschnüren gereiht seine schönsten Städte darbot, Brüssel-Midi um kurz nach fünf, Bologna-Centrale um sechs, Krakau-Glowny um halb sieben. Gaben der Morgenröte. Europa."
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