Aus den Feuilletons

Das Erstarken der Rechten in Europa

Unterstützer der rechtspopulistischen Partei FPÖ in der Stadt Wels.
Unterstützer der rechtspopulistischen Partei FPÖ in der Stadt Wels. © picture alliance / dpa / Alexander Schwarzl
Von Arno Orzessek · 04.12.2016
Vor der Bundespräsidentenwahl in Österreich und dem Verfassungsreferendum in Italien ringen alle Feuilletons um den richtigen Umgang mit den Rechtspopulisten - und mit den Unzufriedenen. Das "Bekenntnis eines Arbeiters" in der "Welt" räumt mit Missverständnissen auf.
Zu Beginn des Rückblicks ein Blick voraus.
An diesem Sonntag wählen die Österreicher einen neuen Bundespräsidenten – entweder Norbert Hofer von der FPÖ oder den Grünen Alexander van der Bellen.
Die TAGESZEITUNG, Hofer naturgemäß nicht gewogen, stellte sich die Frage: "Wir arg könnt’s werden?"…
Und gab die Antwort in einem lexikalischen "A bis Ö" – von 'Akademikerball' bis 'Öxit'.
Darin kam auch das Stichwort 'Schülerverbindung' vor.
"Hofer nennt es 'Schülerverbindung'. Wir nennen es Burschenschaft. Hofer ist Ehrenmitglied bei Marko Germania, wo man sich für das 'deutsche Volkstum' einsetzt. Man sieht 'das deutsche Vaterland unabhängig von bestehenden staatlichen Grenzen' – im Grunde [so die TAZ] sind das also reiche Reichsbürger."
Wer es gesinnungsmäßig mit der TAZ hält und jetzt denkt, 'Warum nennen die den Hofer nicht gleich Nazi?', sei auf das entsprechende Stichwort verwiesen – eben 'Nazi'.
"So darf man Norbert Hofer nicht nennen, hat das Oberlandesgericht Innsbruck geurteilt. Falls Sie nun nach Worten ringen, schlagen wir vor: Völkischer Nationalist, Rechtspopulist, Deutschnationaler, Rechtskonservativer, Rechtsnationaler, Kornblumenträger."
Wortreich aus Abscheu: die TAZ.

Italien in düsterem Licht

Während die Österreicher sich zwischen Hofer und van der Bellen entscheiden, entscheiden sich die Italiener für oder gegen eine Verfassungsreform. Sie soll die Blockade-Neigung des Zweikammer-Systems durch Stärkung der Regierung und Schwächung des Senats vermindern.
Tatsächlich geht's auch um die Zukunft von Ministerpräsident Matteo Renzi, vor Jahresfrist Italiens personifizierter Hoffnungsschimmer.
Allein, ganz gleich wie das Referendum ausgeht, die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG legte sich bereits fest: "Das große Durcheinander bleibt."
Ursula Scheer tauchte Italien in ein düsteres Licht und bemühte auch das berühmteste Zitat der neueren italienischen Literaturgeschichte.
"Das Bonmot aus Tomasi di Lampedusas […] Roman 'Der Gattopardo’, dass alles sich ändern müsse, damit alles bleibt, wie es ist, wirkt […] wie ein frommer europäischer Wunsch. Italien ist längst darüber hinaus. Es muss sich jede Menge ändern, damit sich etwas ändert. Die Frage ist nur: Was?"
Und genau das – also: Was?... nämlich: sich ändern müsse –, das war ohnehin die Feuilleton-Frage der Woche, am häufigsten im Blick auf die Konjunktur des Populismus.
Unfähig zu einer richtigen Antwort, traute sich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG immerhin zu, falsche Antworten zu markieren, und titelte:
"Wie man Rechtspopulisten nicht bekämpft."
Thomas Kirchner betonte, vor allem liberale Deutsche hätten auf AfD und Pegida zunächst genauso überheblich reagiert wie einst viele Niederländer auf den Rechtspopulisten Geert Wilders.

"Eine fast exzessive Beschäftigung mit der AfD"

Mittlerweile geht laut Kirchner die Entwicklung in beiden Ländern auseinander – führt aber hier wie dort in eine Zwickmühle:
"Während […] in Deutschland die Versäumnisse überkompensiert werden durch eine fast exzessive Beschäftigung mit der AfD, die der Partei zusätzlichen Aufschwung verschafft, zeichnet sich in den Niederlanden eine gegenläufige, ebenfalls problematische Entwicklung ab: die Normalisierung der [Wilders-Partei] PVV. Selbst kritische Geister neigen heute dazu, sie als Partei wie alle anderen anzusehen."
Nun, es sieht so aus, als würden weder Konservative noch Liberale noch Linke dem Aufstieg der Populisten Einhalt gebieten können.
Sie sind vielmehr untereinander zerstritten und in der Defensive, wie sich an zwei Artikeln in der Wochenzeitung DIE ZEIT ablesen ließ.
Unter dem Titel "Die liberale Gesellschaft und die irre Suche nach ihren Feinden" griff der ZEIT-Autor Ijoma Mangold den FAZ-Kollegen Patrick Bahners an, weil dieser seinerseits den US-amerikanischen Ideenhistoriker Mark Lilla angegriffen hatte.
Lilla hatte behauptet, Trumps Erfolg habe damit zu tun, dass sich die Liberalen zu sehr dem Multikulturalismus und der Sorge um jede ethnische und sexuelle Identität verschrieben hätten…
Also, kurzgesagt, nur um Minderheiten bekümmert seien.

Ausgeuferte Populismus-Debatte

Dafür wurde Lilla von Bahners "zum Menschenverächter und Rassisten" gestempelt… Jedenfalls unterstellte das Mangold dem Kollegen Bahners und nannte dessen Argumentation in der ZEIT "nahezu bösartig".
Falls Sie gerade den Überblick verlieren, liebe Hörer – verlieren Sie deshalb nicht Ihr Selbstbewusstsein. Niemand kann die ausgeuferte Populismus-Debatte überblicken
Im zweiten ZEIT-Artikel fragte sich Harald Welzer: "Muss man auf die Wutanfälle der 'kleinen' Leute eingehen, um Trumps Erfolg zu verstehen?"
Genau das hatten Vertreter des demokratisch-liberalen Spektrums in den USA behauptet.
Welzer indessen wiedersprach.
"Wichtiger als die Frage, was […] [den 'kleinen Mann'] umtreibt, ist doch wohl die, wer denn für die Zerstörung seiner Aufstiegsperspektiven, für die gnadenlose Wettbewerbskultur verantwortlich ist, die eben nicht nur in den USA zum Abhängen der sogenannten kleinen Leute geführt hat. Was wir jetzt sehen, ist doch das Ergebnis einer politischen Ära, in der Konzerne von fast jeder Sozial- und Gemeinwohlorientierung freigestellt wurden. Nicht die kleinen Männer sind das Problem, sondern die großen, von […] Monsanto, Google und so weiter."

"Ich gehöre zur Mitte der Gesellschaft"

Johann Hipp, Hauptschulabsolvent und jahrzehntelang Lastwagenfahrer, stellte klar:
"Ich bin nicht arm und kein Verlierer der Globalisierung. Ich gehöre zur Mitte der Gesellschaft. Ich fühle mich nicht 'abgehängt', sondern eher abgelehnt – weil ich in der öffentlichen Debatte nicht mehr erwünscht bin."
Zunächst wollten wir uns mit jenem Ratschlag verabschieden, der in der FAZ Überschrift wurde: "Wenn dir alles zu viel wird, drücke einfach auf 'Löschen'."
Aber Sie wissen ja, liebe Hörer: Das klappt so eigentlich nie. Darum belassen wir es bei einem: Schönen Sonntag!
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