Aus den Feuilletons

Brexit ohne Pop

"We love British - Great British Produce" steht auf einem alten Karton.
Am 23. Juni stimmen die Briten über den Verbleib ihres Landes in der EU ab. © dpa/ picture-alliance/ Lukas Schulze
Von Ulrike Timm · 17.06.2016
Der mögliche Brexit beschäftigt auch die Feuilletons. Während die "Frankfurter Allgemeine" Kinderbuchautorin Judith Kerr dazu interviewt, berichtet die "Tageszeitung" von einem geplatzten Popkonzert. Das sollte zugunsten des Brexit stattfinden. Ein Ohmen?
Eine sehr besondere Seite gönnt sich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG: Jede Woche zeigt sie ein unbekanntes Zeugnis eines berühmten Künstlers. Diesmal: ein kleiner Brief von Gerhard Richter, einer der bedeutendsten Maler der Nachkriegszeit, dessen Werke zweistellige Millionenbeträge kosten. 1964 freute ihn noch deutlich kleineres Geld: Ein Portrait hatte ihm sein Galerist vermittelt, für 600 DM, und zu Weihnachten, versprach der Künstler, würde es ganz gewiss fertig sein. Der Galerist Rolf Jährling kennt den jungen Gerhard Richter erst kurze Zeit:
"Da, so eine Anekdote, hätten vier Künstler vor dem Haus geparkt und eine Reihe Bilder im verschneiten Garten aufgebaut. Dann klingelten sie. Der erstaunte Galerist stand überrascht einer Gruppe gegenüber, die zu den einflussreichsten Kunst-Akteuren der Nachkriegszeit werden sollten: Gerhard Richter, Sigmar Polke, Manfred Kuttner und Konrad Lueg, der später als Galerist die Konzeptkunst durchsetzt."
Die SÜDDEUTSCHE druckt Richters handschriftlichen Dankesbrief für den kleinen Auftrag in Originalgröße - was für eine so wunderbar nichtsnutzige wie aufschlussreiche Rubrik sie sich mit dieser Fundstück-Seite doch leistet. Die Pressebeschauerin freut sich jedes Mal aufs Neue darauf.

Forscher rekonstruieren Akustik des Forum Romanum

In viel graueren Vorzeiten noch buddelt die WELT.
"Im Alten Rom traten die größten Redner aller Zeiten auf. Aber konnte das Volk sie auch gut hören?"
Um das zu klären, haben Archäologen, Kulturwissenschaftler und Akustiker zweier Berliner Unis gemeinsam die Akustik des Forum Romanum in Rom rekonstruiert und vermessen. In einer aufwendigen Forschungssimulation haben sie mal eben zehntausende kleine und große Römer in die antike Arena gestellt - und weil die Masse der Hörer selbst natürlich nie still war, murmeln für die Forschung im Hintergrund die Besucher der päpstlichen Sonntagsmesse anno 2000 auf Band.
Ob die nun mehr oder weniger Krach machen als zehntausend alte Römer vor über 2000 Jahren, ist natürlich schwer überprüfbar, vorne kriegte man jedenfalls am meisten mit, hinten auf den billigen Plätzen reichte es nur noch für ein paar laute Schlagworte, nicht so überraschend - trotzdem, der WELT ist der faszinierende Akustik-Test fast eine komplette Seite wert, inclusive Blick auf lauter gefakte alte Römer.

Warten auf den Brexit

Kurz bevor Großbritannien über Sein oder Nicht Sein in der Europäischen Union abstimmt, malt sich die WELT eine dieser wunderbar altmodischen britischen Telefonzellen ins Blatt - "Please hold the line" - und führt uns und den Briten vor, wie europäisch sie sind. 15 literarische Beweise, von Shakespeare, der seine Dramen in Verona, Venedig oder Helsingör ansiedelte, bis zu Agatha Christies Orientexpress, der zur europäischen (Mords)Union gerät -
"ein englischer Diener, eine deutsche Zofe, ein ungarischer Diplomat, eine schwedische Missionarin, ein italienischer Geschäftsmann - und der belgische Detektiv lässt sie alle laufen!" Ist das nun schönstes Feuilleton oder schon vorweg genommene Verzweiflung, falls der Brexit kommt?
Die FAZ interviewt dazu zwei Kinderbuchautoren der Gegenwart, die beide aus Deutschland stammen und in England leben, Judith Kerr und Axel Scheffler. Die 93-jährige Kerr mag sich einen Brexit gar nicht erst vorstellen:
"Ich denke einfach nicht daran. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das passiert. Die machen immer Fehler bei den Umfragen", sagt sie der FAZ.
Und laut TAZ vertragen sich Pop und Brexit nicht, Zitat:
"Das für Sonntag geplante Brexit -Musikfestival mit Sister Sledge, East 17 und anderen Stars in der 15000 Zuschauer fassenden Genting Arena in Birmingham musste mangels Nachfrage abgesagt werden. Nach und nach sprangen die eingeladenen Künstler wieder ab, weil sie nicht mit dem rechtsgerichteten EU-Gegner Nigel Farage , der eine Rede halten wollte, auf einer Bühne stehen wollten. Nicht mal Ticket-Dumpingpreise halfen der Brexit-Initiative."
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