Aus den Feuilletons

Augstein befragt seinen Vater

Der Publizist und Herausgeber der Zeitung "Der Freitag", Jakob Augstein, auf der Frankfurter Buchmesse.
Der Publizist und Herausgeber der Zeitung "Der Freitag", Jakob Augstein, dachte viele Jahre lang, er sei der Sohn von Rudolf Augstein. © picture-alliance/dpa
Von Gregor Sander  · 23.11.2017
Die Distanziertheit im Gespräch zwischen Vater und Sohn in dem Buch von Martin Walser und Jakob Augstein beschäftigt den Tagesspiegel. Weitere Themen: Die "Deuscthland" - Ausstellung von Jan Böhmermann und eine Neuinszenierung von Frank Castorf am Berliner Ensemble.
Ist das jetzt Kunst oder ist das Böhmermann? Diese Frage stellen sich die Feuilletons zum Beginn der Ausstellung des nationalen Nonsensnerds im NRW-Forum Düsseldorf. Jens-Christian Rabe von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hat "feinste vulgäre Kunst" gesehen und sieht die Böhmermann-Schau als Karriereturbo:
"So ist die Ausstellung in Düsseldorf fast so etwas wie eine manifeste Bewerbung zu Höherem, zu noch mehr Netzpräsenz und zu einer Late-Night-Show, die sich den Irrsinn im Land nicht bloß einmal, sondern klassischerweise vier- bis fünfmal in der Woche vorknöpft."

Es geht um Realsatire

Während man noch überlegt, ob man den hibbeligen Witzbold wirklich jeden Tag sehen möchte, fällt ein paar Zeilen weiter die Tageszeitung DIE WELT ihr Urteil über Exponate wie ein Merkelölgemälde, den Hetzkeks- oder den Diskursautomaten.
"Es geht Böhmermann um Realsatire. Die ist voller derbem Humor, bleibt einem wie ein Hetzkeks im Halse stecken. Das passt zum realen Rechtsruck in Deutschland. Neu aber ist es nicht und anarchisch nur für den, der Böhmermann nicht kennt. Am Ende ist man auch nicht schlauer als nach einer Folge Neo Magazin Royale."
Da darf man sich natürlich schon fragen, was die WELT-Autorin Katja Belousova erwartet hat?

Walser bleibt diskret

Eine Familiengeschichte, die klingt, als hätte sie sich Jan Böhmermann ausgedacht, ist die von Jakob Augstein. Dachte der Journalist lange Zeit der Sohn vom Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein zu sein, erfuhr er als Erwachsener, dass sein Vater Martin Walser heißt. Mit dem hat er nun ein Gesprächsbuch gemacht, über das Gerrit Bartels im Berliner TAGESSPIEGEL mutmaßt:
"Wer um die Vater-Sohn-Beziehung beider weiß, die Jakob Augstein 2009 öffentlich gemacht hat, dürfte ein privates Gespräch erwarten, eines mit gleichen Gesprächsanteilen, womöglich Reflexionen über komplexe Beziehungsgemengelagen, Schuld, späte Traumata, Schuldabtragungen."
Doch der Blick ins familiäre Nähkästchen der Walser-Augsteins bleibt uns weitestgehend verwehrt, denn
"Walser bleibt diskret, antwortet ausweichend, gibt zu verstehen, dass es hier bevorzugt um seine Person, sein Lebenswerk gehen wird – und Augstein geht seinem Beruf nach, stellt die Fragen."
Warum Vater und Sohn dieses Gespräch in Buchform führen, bleibt Bartels ein Rätsel.

Castorfen als eigenes Wort

Warum sich Frank Castorf plötzlich einem Pressegespräch stellt, verwundert und freut Ulrich Seidel von der BERLINER ZEITUNG. In einer Woche hat der frischgebackene Gastregisseur Premiere am Berliner Ensemble: Mit Victor Hugos "Die Elenden". Natürlich verrät Castdorf nichts Inhaltliches, aber eine entschiedene Frage konnte immerhin geklärt werden:
" 'Mehr als sechseinhalb Stunden hat mir Oliver Reese nicht erlaubt, das gehe gewerkschaftlich nicht', sagt er und legt seinen gesamten gegenwartskritischen Widerwillen in die Stimme, auch wieder ironisch gebrochen natürlich. Er wisse noch nicht, ob er sich botmäßig zeigen werde."
Vielleicht könnte man ja castorfen als Wort dafür einführen, ein Theaterstück nicht unter sechs Stunden aufzuführen. Edo Reents hat andere Beispiele für die Verknüpfung zwischen Familienname und einer Tätigkeit für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG herausgesucht:
"Gerd Müller beispielsweise existiert zum einen als Person, zum anderen ist mit seinem Namen etwas bezeichnet, was er zwar besonders gut konnte, aber auch von anderen beherrscht wird: Tore schießen. Man nennt das, jeder weiß es, 'müllern'."

Wer fühlt sich denn da gesteinmeiert?

Nun vermutet Reents listig, fast schon in böhmermannscher Manier, dass das Wort "lindnern" in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist. Für jemanden, der sich aus einer "gemeinsam geplanten Gruppenaktivität zum spätestmöglichen Zeitpunkt" zurückzieht. Aber das ist noch nicht alles:
"Es schwingt bei 'lindnern' auch mit: etwas lieber gar nicht tun (regieren) als falsch tun. Wie die Dinge liegen, so wird es wohl bald noch einen neuen Ausdruck geben, und zwar für 'umstimmen', 'zur Räson bringen'."
Wer sich da nun gesteinmeiert fühlt, ist sicher nicht völlig verböhmermannt!
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