Aus den Feuilletons

ARD zeigt TV-Experiment "Terror - Ihr Urteil"

Nico Holonics (l.) als Bundeswehrsoldat Lars Koch und Max Mayer als sein Verteidiger Biegler während einer Probe am Schauspiel Frankfurt für das Stück "Terror" von Ferdinand von Schirach.
Der Film "Terror – Ihr Urteil" basiert auf dem Theaterstück "Terror" von Ferdinand von Schirach, das am Schauspiel Frankfurt gezeigt wurde. © picture alliance / dpa / Schauspiel Frankfurt / Birgit Hupfeld
Von Arno Orzessek · 16.10.2016
Im ARD-Film "Terror- Ihr Urteil" steht ein Bundeswehrpilot vor Gericht, weil er eine entführtes Flugzeug mit 164 Menschen abgeschossen hat, das wohl in ein besetztes Fußballstadion fliegen sollte. Die Zuschauer sollen anschließend auf "schuldig" oder "unschuldig" plädieren.
Es kommt selten vor, dass die Feuilletons zum Fernseh-Konsum raten. Aber an diesem Montag ist es so weit: Wir müssen wohl alle auf die Couch. Denn im Ersten läuft "Terror – Ihr Urteil", die TV-Fassung des gleichnamigen Theaterstücks von Ferdinand von Schirach.
Inhalt in Kürze: Ein Pilot hat ein entführtes Flugzeug mit 164 Menschen abgeschossen; es schien so, als sollte der Flieger auf die 70.000 Fans in der Münchener Allianz-Arena gelenkt werden. Nun steht der Pilot vor Gericht. "Terror" zeigt die Verhandlung. Und wir, die Zuschauer, sollen nachher via Telefon oder Twitter auf "schuldig" oder "unschuldig" plädieren.
Unabhängig von der Umfrage-Folklore zeigt sich Jürgen Kaube in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG angetan.
"Kaum ein Aspekt des Dilemmas bleibt unerwähnt, keine beteiligte Figur argumentiert aus einem Guss (…). (…) Die Staatsanwältin fragt, ob der Pilot auch geschossen hätte, wäre seine Familie an Bord gewesen. Der Verteidiger fragt nicht zurück, wie sie zum Abschuss stünde, wäre ihre im Stadion gewesen. Zuschauer, die nicht hin und her gerissen sind, dürften in der Minderheit bleiben."
Zu dieser Minderheit gehört Elmar Krekeler. Er behauptet in der Tageszeitung DIE WELT steif und fest, der Pilot sei "des Mordes in 164 Fällen schuldig".
"Alles andere (so Krekeler) wäre Willkür. Alles andere verschaffte letztlich dem Stammtisch, dem Bauchgefühl, den Trollen die Oberhoheit über unser Rechtssystem. Und wir würden selbst leisten, wozu Terroristen nicht in der Lage sind, die Abschaffung unserer freiheitlichen und demokratischen Grundordnung."
Auf uns wirkt die apodiktische Wucht des WELT-Autors verdächtig. So, als wolle er die eigenen Restzweifel mit ganz dicker Forke ausmisten.
Aber schauen wir mal – um Viertel nach acht im Ersten.
Übrigens: Wer sich vorab über den "Terror"-Regisseur Lars Krumme informieren will, lese in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die Würdigung von David Denk.
Sie trägt den, nun ja, denkwürdigen Titel: "Der Richter und sein Denker."

Energiekonzern Vattenfall verklagt die Bundesrepublik

Nun zu einer nicht-fiktionalen Schiedsgerichtsverhandlung in Washington. Wegen des Atomausstiegs hat der schwedische Energiekonzern Vattenfall die Bundesrepublik vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten verklagt.
Svenja Bergt berichtet in der TAGESZEITUNG von den mündlichen Verhandlungen, die zeitversetzt per Stream übertragen werden – nicht zuletzt, um dem Vorwurf der Intransparenz entgegenzutreten, der solche Schiedsgerichte oft trifft.
Doch trotz Stream ist Bergt unzufrieden. Sie beklagt den Informations-Overkill und lästert unter dem krimimäßigen Titel "Kreuzverhör um Mitternach":
"Die Verhandlung ist so transparent wie eine Behörde, die einem auf Anfrage nach der Veränderung des Radverkehrsanteils die Strichlisten der Verkehrszählungen vorlegt – und viel Spaß wünscht."

Goethes "Iphigenie" am Deutschen Theater

Viel Spaß erwarten viele auch beim Sex. Aber viele erwarten auch, dass der Partner oder die Partnerin den Spaß nicht irgendwo da draußen, sondern zuhause realisiert. Man nennt das Treue.
In der FAZ rät Simon Strauß zwar nicht offen zur Promiskuität, er gibt allerdings zu bedenken:
"Manchmal kann Treue tödlich sein. Kann wie eine schwere, staubige Wolldecke auf einer Liebe liegen und ihr alle Luft zum Atmen nehmen. Wenn die Treue keine weiteren Folgen hat, nicht auf etwas hinausläuft, sondern sich allein schon wichtig genug findet, kann sie eine narkotische Wirkung entfalten. Je apodiktischer sie dann auftritt, desto weniger Leidenschaft wird sie entfachen. Am Ende ist man einander treu geblieben, aber hat nie mehr das Bett geteilt."
Strauß macht diese kluge Bemerkung innerhalb seiner Kritik der Inszenierung von Goethes "Iphigenie" am Deutschen Theater in Berlin, verantwortet von Ivan Panteleev.
Und schon allein die FAZ-Überschrift macht so richtig Unlust auf einen Besuch. Sie lautet: "Da gähnt am Ende sogar der König." –
Weder gähnen wir, noch sind wir König – wohl aber: am Ende.
Mehr zum Thema