Aus den Feuilletons

Alle Welt würdigt Philip Roth

Der US-Schriftsteller Philip Roth auf einem Foto aus dem Jahr 2011.
Philip Roth (hier im Jahr 2011) sei den griechischen Denkern ebenbürtig, findet das Feuilleton der "Welt". © AFP / JIM WATSON
Von Arno Orzessek · 23.05.2018
Der Tod des US-amerikanischen Autors Philip Roth beschäftigt die Zeitungen. Dass der Literaturnobelpreis in Roths Todesjahr nicht vergeben wird, findet die "SZ" angemessen. Die "Welt" stellt ihn auf eine Stufe mit griechischen antiken Autoren.
"Ruhe in Frieden, süßer Prinz von Newark".
Mit diesen Worten, die wie ein letzter Flirt mit dem Verstorbenen klingen, verabschiedet sich die US-amerikanische Regisseurin und Autorin Lena Dunham von Philip Roth.
Und zwar auf einer Sonderseite der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mit Stimmen von Prominenten und Würdigungen wichtiger Roth-Bücher.

Anerkennung ohne Preis

Den Nobelpreis hat Roth bekanntlich nie erhalten. Umso listiger und lustiger die Bemerkung des Schriftstellers Peter Glaser:
"Dass in dem Jahr, in dem Philip Roth stirbt, der Literaturnobelpreis nicht vergeben wird, ist angemessen."
Wenige Autoren von Weltrang haben mehr über heterosexuellen Sex geschrieben als Roth.
Der SZ-Autor Jens Bisky indessen zitiert aus dem Meisterwerk "Der menschliche Makel" jene grotesk-grandiose Szene, in der zwei ältere Männer, die auf kein genitales Ereignis aus sind, miteinander Foxtrott tanzen.
Und wir geben diese Zeilen hier wieder, um uns unsererseits vor Roth zu verbeugen:
"‚Wir tanzten. Es war darin nichts offen Fleischliches, aber da Coleman noch immer nur Jeans-Shorts trug und meine Hand leicht auf seinem warmen Rücken lag, als wäre es der eines Hundes oder eines Pferdes, war es auch nicht bloß eine Parodie. In der Art, wie er mich über den Steinboden führte, lag eine halb ernsthafte Lauterkeit, ganz zu schweigen von dem gedankenlosen Entzücken darüber, einfach nur lebendig zu sein – dem Entzücken eines Kindes, das soeben gelernt hat, auf einem Kamm und einem Stück Klopapier eine Melodie zu spielen.‘"

Den Griechen als Denker ebenbürtig

Eben dieser Roman – "Der menschliche Makel" – ist es, der Hannes Stein in der Tageszeitung DIE WELT unter der Überschrift "Goodby, Gigant" zu der Bemerkung animiert:
"Philip Roth war zum griechischen Tragiker geworden, zu einem Kollegen von Sophokles, Aischylos, Euripides."
Nicht ganz so großartig, jedoch nicht weniger anerkennend, resümiert Paul Ingendaay in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Philip Roth war eines der nobelsten Wörtertiere im großen Zoo der internationalen Literatur – ernsthaft und arbeitsam, oft scharfsinnig, gelegentlich von allen guten Geistern verlassen, aber durchweg desinteressiert an Pomp und eitel nur insofern, als Eitelkeit vom Ehrgeiz, das Beste aus sich herauszuholen, nicht zu trennen ist."
Der sprödeste Nachruf steht in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Weshalb es aber nicht falsch ist, wenn Stefana Sabin schreibt:
"Wie kein anderer amerikanischer Autor hat Philip Roth fiktive Realität und reale Fiktion in immer neuen Mischverhältnissen zum erzählerischen Siedepunkt gebracht und, indem er die Spirale immer weiterdrehte, dem Realismus immer neue ironische Dimensionen abgerungen."

Anspruchsvolle Debatten mit hochwertigen Tweets

Ob Philip Roth je getwittert hat, ist uns nicht bekannt. Aber wir unterstellen, dass den Autor von dreißig Romanen der Artikel "Der Geist zwitschert, wo er will" in der Wochenzeitung DIE ZEIT provoziert hätte.
Immerhin behaupten Jörg Scheller und Wolfgang Ullrich: "Tausend Tweets sagen oft mehr als ein größerer Text."
Allerdings geht es Scheller und Ullrich nicht um die ermüdend banalen Durchschnitts-Tweets, die tagtäglich milliardenfach durchs Netz jagen, sondern um die Premium-Ware.
"Unter Philosophen, Soziologen und Politikwissenschaftlern hat sich längst eine aufregende Debattenkultur entfaltet. Mit Tweets wird gehegelt und gefichtet, gemarxt und geheideggert", freuen sich die zwei twitterseligen ZEIT-Autoren.
Ihr ultimativer Vorschlag: Bei universitären Berufungsverfahren seien künftig, bitte schön, die Aktivitäten der Kandidaten in den sozialen Netzwerken zu berücksichtigen.
Denn merke: "Twitter ist auch ein Ort für Bildungsreisende."
Allen Liebhabern der klassischen Buch-Bildung steht es natürlich frei, die Nobilitierung von Twitter zum relevanten akademischen Publikationsorgan so zu finden, wie es eine ZEIT-Überschrift ausdrückt:
"Im Zweifel zum Verzweifeln."
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