Aus den Feuilletons

"Adieu, Weltbürger"

Luc Bondy im November 2013 in Wien bei der Entgegennahme des Nestroy-Preises, den er für sein Lebenswerk erhielt.
Luc Bondy im November 2013 in Wien bei der Entgegennahme des Nestroy-Preises, den er für sein Lebenswerk erhielt. © dpa / picture alliance / Herbert Neubauer
Von Paul Stänner · 29.11.2015
Mehrere Zeitungen würdigen den verstorbenen Theater- und Opernregisseur Luc Bondy. Die Proben seiner letzten großen Inszenierung im Pariser Odéon habe er bettlägerig in seiner Wohnung aufgenommen, schreibt die "NZZ".
Die erste Weihnachtswoche beginnt und also eröffnen wir die Jahreszeit der Besinnlichkeit. Der TAGESSPIEGEL wählt dafür ein Thema, das in Berlin im Sommer wie im Winter zieht: Maulen über die Stadt. Christian Schröder verweist auf die Wiederveröffentlichung eines Buches von Karl Scheffler aus dem Jahr 1910.

"Berlin ist eine laute Stadt, aber eine Stadt ohne Heiterkeit", schrieb Scheffler zu Kaisers Zeiten. Schröder nimmt das Verdikt flugs auf und führt es weiter: Ob es dabei nicht geblieben sei in der Club- und Technohauptstadt, der autogerechten Stadt mit sechsspurig ausgebauten Tangenten?

"Wo wäre die Heiterkeit, wo das Unbeschwerte, der Raum für Tagträume?"
fragt er dramatisch-verzweifelt. Man könnte vorschlagen, er solle das Unbeschwerte in den Clubs suchen, deren Existenz ihm immerhin aufgefallen ist, und die Tagträume bei den Start-ups, die in Berlin aus dem Boden schießen wie Pilze nach dem Regen.
Traumrendite mit dem Haus des Lametta-Trägers
Andererseits: es ist nicht unsere Aufgabe, Griesgrame zu belehren. Wir ziehen eine weitere Berliner Stadtgeschichte hinzu: Willi Winkler verweist in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG auf ein Buch über ein besonderes Berliner Haus: In der Fregestraße 19 wuchs, ungefähr zu der Zeit, als der schimpfende Scheffler sein Buch schrieb, Hermann Göring auf, der spätere Reichsmarschall und oberste Lamettaträger des 3. Reichs. Nach dessen Untergang kaufte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger für wenig Geld das Haus. Hier versammelten oder versteckten sich die linksradikalen Ausgründungen der Studentenbewegung, woraufhin ein Überwachungs-VW-Käfer des Staatsschutzes vor dem Haus postiert wurde. Göring als ehemaliger preußischer Innenminister hätte das geschätzt. Noch später wurde das Haus von dem immer cleveren Lyriker für eine "Traumrendite", wie es heißt, verkauft – wie kann TAGESSPIEGEL-Schröder behaupten, diese Stadt hätte keinen Humor.
"Adieu, Weltbürger" titelt in der Tageszeitung TAZ Uwe Matthiess zum Tod von Luc Bondy. Matthiess erwähnt die europäische Familiengeschichte des Theaterregisseurs und Autors, die konsequent in einer Wanderschaft durch die europäischen Theater mündete. Seinen Kampf gegen den Krebs, der ihn zum ersten Mal im Alter von 25 Jahren angriff, würdigt Barbara Villiger Heilig in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Die Proben seiner letzten großen Inszenierung im Pariser Odéon habe er bettlägerig in seiner Wohnung aufgenommen. "Die Theater tragen Trauerflor" lässt sie ihre Grabrede enden, während in der WELT Kai Luehrs-Kaiser schreibt:

"Soweit überhaupt eine Erinnerung an Theaterkünstler möglich ist, scheint die Zeit reif für die Loblieder auf einen raren Traumtänzer aus Prinzip, einen letzten Hochseil-Zitterer und Zauberkönig."

Was immer ein Hochseil-Zitterer sein mag – vermutlich will Luehrs-Kaiser das als Ehrung verstanden wissen.
Vorschläge zum Friedensfest
Die SÜDDEUTSCHE meldet heftige Proteste, weil in dem neuen amerikanischen Film "Gods of Egypt" alle göttlichen Hauptdarsteller - Weiße sind; was von den Kritikern nicht als typisch ägyptisch angesehen wird. Aber vielleicht ist diese Dominanz der weißen Sichtweise schon ein Teil des Problems, dessen sich Georg Mascolo auf der nächsten Seite dieser Zeitung annimmt: "Lektionen des Terrors" nennt er seinen Überblick über die Fehler im Umgang mit der terroristischen Bedrohung, die in der Bundesrepublik existiert, seit vor 15 Jahren zum ersten Mal ein Weihnachtsmarkt ins Visier damaliger Bin-Laden-Anhänger geraten war.
Zwölf Vorschläge reicht er ein, der letzte passt gar nicht zum Friedensfest: Man solle nicht auf ein schnelles Ende hoffen und:
"Es wird keinen Sieger und keinen Verlierer geben, nur noch weit mehr unschuldige Opfer."
Zum Ausgleich kann uns Mascolo ein aufmunterndes Zitat des früheren Innenministers Wolfgang Schäuble anbieten, der seinerzeit, am 6. Jahrestag der Anschläge von New York, die Parole ausgab: "Es hat keinen Zweck, dass wir uns die verbleibende Zeit auch noch verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen."
Das ist doch ein schönes Wort zum Beginn der besinnlichen Tage.
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