"Aus dem Totenreich" an der Bayerischen Staatsoper

Verwirrung nach "musikalisch grandiosem" Castorf-Debüt

Die Bayerische Staatsoper in München
Castorf meets Dostojewski: die Bayrische Staatsoper zeigte erstmals eine Insznierung des Regisseurs. © imago / Westend61
Jürgen Liebing im Gespräch mit Timo Grampes · 21.05.2018
Regisseur Frank Castorf hat mit "Aus dem Totenrich" sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper gegeben. "Fazit"-Kritiker Jürgen Liebing erklärt, warum er von der Musik begeistert war - und warum sich der Regisseur besser ein wenig zurückgenommen hätte.
Das Totenhaus - so nennen die Insassen das Strafgefangenenlager in Sibirien, in das auch einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller deportiert wird: Fjodor Dostojewski, im Jahr 1850. Er überlebte das Lager und schrieb seine Erfahrungen im Roman "Aus einem Totenhaus" nieder. Der tschechische Komponist Leoš Janáčeks hat sie dann im Libretto vertont.

Musikalische Umsetzung war "kongenial"

Die Oper "Aus dem Totenhaus" feierte nun mit zwei großen künstlerischen Namen an der Bayrischen Staatsoper Premiere - mit Regisseur Frank Castorf und Simone Young. "Fazit"-Kritiker Jürgen Liebling zeigte sich begeistert von ihr, die verantwortlich für die musikalische Leitung ist: "Die musikalische Seite dieses Abends mit Simone Young und dem Orchester des Bayrischen Staatsoper - das war ganz grandios. Also, diese Musik, die ja Janáček kurz vor seinem Tod geschrieben hat - er wusste, es wird seine allerletzte Oper sein - brachte das kongenial zum Ausdruck."
Young habe es geschafft, alle Facetten der Musik zu transportieren - nicht nur das Martialische und Brutale. Auch kammermusikalische Töne seien zum Ausdruck gekommen, wenn die Gefangenen in der Oper sich erinnern.
Die Oper an sich erzählt keine einzelne Handlung, sondern die Schicksale vieler Einzelner. Die Einzigartigkeit dieses Werks - auch im 20. Jahrhundert - bestehe darin, dass "da wirklich Geschichten erzählt werden", erklärt Liebing. "Es gibt keine Hauptfigur im klassischen Sinn, sondern immer tritt mal einer in den Vordergrund, erzählt, warum er im Straflager nun ist."
 Der Theaterregisseur Frank Castorf.
"Aus dem Totenreich" war Frank Castorfs Debüt an der Bayerischen Staatsoper. © imago/Lichtgut
An Castorfs Seite in dieser Produktion ist mit dem Bühnenbilder Aleksandar Denić ein enger Vertrauter. Die erneute Zusammenarbeit erinnert an ihre Produktion vom letzten Ring der Nibelungen in Bayreuth: "Was wir sehen ist eine Art Kreuz, ein Gebäude mit mehreren Ebenen. Es sind 20 Tonnen Holz verarbeitet worden, mehrere Tonnen an Stahl. Es gibt auch ein Gitter oder einen Zaun, der erinnert an Auschwitz. Und natürlich, wie das bei Denić immer so ist, ist es eine Drehbühne. Und sie lässt Raum auch für Intimeres, aber auch für die Auftritte des Chores."

"Ohne Schnickschnack" wäre besser gewesen

Auch die bei Castorf beliebte Video-Einspielung gibt es. Zum Teil seien sie sinnvoll zur Verdeutlichung. Aber sie lenkte auch sehr ab, meint Liebing:
"Es wäre schön gewesen, wenn Castorf sich ein wenig zurückgenommen hätte. Wenn er der Musik mehr vertraut hätte. Es ist sein Problem - erlebe ich des Öfteren - dass er quasi Leestellen meint füllen zu müssen, dass er nicht einfach jemanden erzählen lässt. Nein, es müssen noch Bilder dazu." Angesicht der Bilderüberflutung, in der wir leben, sei die reduziertere Inszenierung der gleichen Oper des französischen Regisseurs Patrice Chéreau an der Berliner Staatsoper "ohne Schnickschnack" die bessere. Castorfs Produktion mit Assoziationen und Bilder zu überladen. Das sorgte bei einigen Premierenbesuchern für "eine gewisse Verwirrung".
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