Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers

Vorgestellt von Maike Albath · 07.06.2005
Das Leben war für Paul Morand ein Strandbesuch, ein einziger langer Badetag vor wechselnder Kulisse. 1888 in Paris geboren und im Umfeld der Surrealisten bekannt geworden, kultivierte der reiselustige Dandy, Schriftsteller und Diplomat mit amphibischen Neigungen einen urbanen Erzählstil. Die kosmopolitische Daseinsform floss in seine mit Novellen ein, was ihm den Respekt Marcel Prousts einbrachte. Der stets tadellos gekleidete Morand beherrschte die Kunst der beiläufigen Eleganz - literarisch und im Alltag.
Verheiratet mit der rumänischen Prinzessin Hélène Soutzo und aufgewachsen in einem wohlhabenden Elternhaus, hatte er sich nie mit ärgerlichen Belanglosigkeiten wie Broterwerb herumschlagen müssen. Seine europaweit gefeierten Novellensammlungen Ouvert la nuit (1921), Fermé la nuit (1923) und L’Europe galante (1925) setzten den goldenen Zwanzigern von Berlin, Budapest, Prag, Paris, Barcelona und Rom mit ihren Partylöwen, Radrennfahrern, Parias und abgehalfterten Adligen ein Denkmal.

Blenden ließ sich der "bekennende Hedonist", wie er sich selbst beschrieb, dennoch nicht: die Vorboten des Krieges sind in seinen Texten bereits spürbar. Politisch kurzsichtiger verhielt sich Morand während des Zweiten Weltkrieges: 1940 stellte er sich General Pétain zur Verfügung und vertrat das Vichy-Regime im Ausland, weshalb er nach dem Krieg als Kollaborateur verfemt war. 1953 kam es zu seiner Rehabilitation, literarisch fasste Morand nie wieder richtig Fuß. Zwar berief man ihn 1968 in die Académie francaise, aber zu einer Wiederentdeckung und Neubewertung seines Werkes kam es erst nach seinem Tod 1976.

Eine Mischung aus stilvollem Understatement und Snobismus schlägt uns auch in seinem Büchlein "Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers" entgegen. Ob mondäne Badeorte an der französischen Atlantikküste oder exklusive Buchten in Italien, Morand frequentiert das feuchte Element seit seiner Kindheit und ist mit den großbürgerlichen Gepflogenheiten der Sommerfrische von Geburt an vertraut.

Überraschend ist die literarische Vielgestaltigkeit der Küstenlandschaften, die er immer wieder mit Vergleichen einzufangen weiß. Da leckt das Meer mit einer "schlaffen, rauen Zunge wie ein Panther" an den Kreidefelsen von Dieppe, "nagt an den Inseln, zermalmt knurrend die Knochen, die Landengen". Grotten sind "kariöse Backenzähne", und die Sonne blitzt auf, "wie die Kupferwanne des Bordkompasses". Was gibt es Besseres, als in den altmodischen Hotels von San Sebastian aufzuwachen, die "aus etwas zu weichem Baiserteig gebaut schienen"?

Den Schilderungen der Strände und Reiserouten quer durch Europa steht ein kleiner Ausflug in die Kulturgeschichte des Badens mit allerlei kuriosen Details voran. Wer wusste zum Beispiel, dass es bis 1900 den Beruf des Badegehilfen gab? Voller Ehrerbietung halfen sie den Damen ins Wasser und hielten sie während des Bades fest. Oder wer hatte eine Ahnung davon, dass es unter Oxford-Absolventen zum guten Ton gehörte, sich in den venezianischen Canal Grande zu stürzen? Oder dass die französischen Küsten zu Sommersalons mit festen Kleiderordnungen avancierten? Dass Lord Byron manchmal im Meer zu Abend aß?

Mit sommerlicher Leichtfüßigkeit präsentiert uns der schwimmsüchtige Schriftsteller die Stationen seiner Bade-Biographie. Ob die weitläufigen Sandflächen Portugals mit der ungezähmten Brandung, das Belle-Epoque-Pappmaché in Portofino, sardische Grotten, die einsamen Felsküsten Dalmatiens, die mythologisch aufgeladenen Strände Griechenlands oder die fürchtenswerten Vergnügungsparks in englischen Seebädern, Paul Morand hat alles ausprobiert.

Dann und wann ergreift ihn tiefe Trauer um verlorene Landschaften: Viele der Orte, die er als junger Mann kennen lernte, haben 1960 ihr ursprüngliches Gesicht bereits verloren und sind Stätten des modernen Massentourismus geworden. Der Anhänger der Kraulstils, den er weltläufig crawl nannte, geißelt die Busladungen voller Badewütiger - dass er selbst ein Pionier dieser Freizeitgestaltung war, kommt ihm nicht in den Sinn.

Nur selten, wenn er sich in Auflistungen berühmter Bekanntschaften verliert und den Niedergang der Strandkultur beklagt, legt der lässige Morand einen wichtigtuerischen, etwas weinerlichen Zug an den Tag. Dem Vergnügen an der Lektüre tut das keinen Abbruch. Seine "Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers" sind ein Leitfaden für Liebhaber des Wassers und eine unverzichtbare Beigabe für jede Badetasche.

Paul Morand: Aufzeichnungen eines notorischen Schwimmers
Mit einem Nachwort von Marcel Proust
Aus dem Französischen übersetzt von Jürgen Ritte
Marebuchverlag Hamburg 2005

192 Seiten. 18,00 Euro