Aufsatzsammlung

Warum schlafen wir?

Ein Junge schläft versteckt unter einer gestreiften Bettdecke, nur sein Haarschopf ist zu sehen.
Schlafender Junge, vergraben unter einer Bettdecke. © picture alliance / dpa / Lehtikuva Sari Gustafsson
Von Irene Binal · 28.07.2014
Die Historikerin Hannah Ahlheim hat Fachkollegen, Mediziner, Philosophen und Literaturwissenschaftler auf Spurensuche in Sachen Schlaf geschickt. In ihrem zunächst unscheinbaren Band, verstecken sich kostbare Erkenntnisse.
"Der Schlaf ist ein kurzer Tod, der Tod ein langer Schlaf“, stellte der griechische Philosoph Platon fest. Schon in der Antike beschäftigten sich die Menschen mit dem Schlaf, bis ins 18. Jahrhundert umgab ihn eine mystische Aura, erst mit der Aufklärung begann man, ihn zu entzaubern und genauer zu untersuchen. Hier setzt Hannah Ahlheim an, in jener Zeit, als sich nicht nur die Schlafgewohnheiten änderten, sondern auch die Wahrnehmung des Schlafs eine Wandlung erfuhr.
Zehn Aufsätze hat Ahlheim in ihrem Buch versammelt, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit verschiedenen Aspekten des Schlafs befassen. Der Soziologe und Philosoph Ingo Uhlig etwa stellt fest, dass die Aufklärung eine "ermüdete Welt“ mit "resignierten Schläfern“ hervorgebracht hat, der Germanist Hans-Walther Schmidt-Hannisa dringt in die Geheimnisse des Halbschlafs ein, der Literaturwissenschaftler Benjamin Reiss untersucht den Schlaf am Beispiel von Henry David Thoreau, der in einer Blockhütte in den Wäldern Fabrikglocken und vorgegebenen Lebensrhythmen zu entfliehen suchte und der Anthropologe Matthew Wolf-Meyer wirft einen Blick auf Schlafexperimente im frühen 20. Jahrhundert.
Aus all diesen Beiträgen ergibt sich ein ungewöhnlicher Streifzug durch Sandmännchens Wunderwelt, eine Reise in die Ecken und Winkel des Schlafs, die sich geschickt am Titelthema entlang arbeitet: Kontrollgewinn und Kontrollverlust.
Kampf gegen Federbetten
Das ist mitunter recht amüsant, wenn etwa die Historikerin Sonja Kinzler vom aufklärerischen Bestreben nach Kontrolle des Schlafs und dem damit einhergehenden Kampf gegen Federbetten berichtet (von denen man befürchtete, sie könnten zu unzüchtigem Verhalten reizen), wenn Schmidt-Hannisa eine Blick auf (vergeblichen) Versuche der Aufklärer wirft, Halbschlafphantasien sittliche Zügel anzulegen oder wenn Matthew Wolf-Meyer erzählt, wie das Nickerchen um die Jahrhundertwende plötzlich zum Feindbild mutierte.
Bei all dem bleiben die Beiträge freilich streng akademisch, sie wenden sich an wissenschaftlich interessierte Leser: Nicht um Unterhaltung geht es den Autoren, sondern darum, die eigenwillige Rolle des Schlafs darzustellen, zwischen dem notwendigen Kontrollverlust des Schläfers und den zunehmenden Bestrebungen, den Schlaf so weit wie möglich in gesellschaftliche Raster einzupassen.

Hannah Ahlheims Aufsatzsammlung entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Schatzkästlein, hinter dessen unscheinbarem Äußeren sich manche Kostbarkeit verbirgt. Erkenntnisse über die veränderliche Wahrnehmung des Schlafs etwa, als Phase zur Auffüllung der Lebenskraft oder als Zeit, in der die Psyche von der Leine gelassen wird, Überlegungen zur Konsolidierung und Funktionalisierung des Schlafs bis zur Aufforderung, neue Schlafkonzepte zu entwerfen. Bei all dem jedoch wahrt der Schlaf sein eigentliches Geheimnis, wie der Physiker Thomas Penzel klarstellt: "Die zentrale Frage der Schlafforschung ist und bleibt jedoch: Warum schlafen wir?“ Eine Frage, die auch kommende Generationen beschäftigen dürfte.

Hannah Ahlheim (Hg.): Kontrollgewinn - Kontrollverlust: Die Geschichte des Schlafs in der Moderne
Campus Verlag, Frankfurt/Main 2014
229 Seiten, 34,90 Euro

Mehr zum Thema