Aufeinander zugehen

Nobert Lammert im Gespräch mit Ute Welty · 12.03.2011
In Minden wird am 13. März die christlich-jüdische Woche der Brüderlichkeit eröffnet. In liberalen Zeiten sei es wichtig, aufeinander zuzugehen, meint auch Norbert Lammert. Positiv sei hier auch der geplante Papst-Besuch beim Vorstand der Evengelischen Kirche in Deutschland im September zu bewerten.
Ute Welty: "Aufeinander hören – miteinander leben", das ist das Motto der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit, die das Verständnis von Christen und Juden füreinander fördern möchte, eine Herzensangelegenheit auch für Bundestagspräsident Norbert Lammert. Guten Morgen im Deutschlandradio Kultur, Herr Lammert!

Norbert Lammert: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Was bedeutet Ihnen das Motto, denn Sie selbst haben es sich ja auch als Thema gesetzt für einen Ihrer Vorträge, zum Beispiel in Hamm.

Lammert: Eigentlich möchte man meinen, versteht sich von selbst, was dieses Motto formuliert, aber es gibt Gründe, das sich und anderen immer wieder ins Bewusstsein zu heben, schon gar in einer Gesellschaft, die nicht nur in Deutschland zunehmend geprägt ist durch das Zusammenleben von Menschen mit ganz unterschiedlichen Herkünften, mit unterschiedlichen kulturellen Traditionen und nicht zuletzt auch unterschiedlichen religiösen Überzeugungen.

Welty: Aufeinander hören, miteinander leben, manchmal hat man allerdings den Eindruck, dass das noch nicht mal gilt für das Spitzenpersonal von Schwesterparteien. Bundespräsident Wulff und Bundesinnenminister Friedrich scheinen sich zum Beispiel nicht gegenseitig zugehört zu haben, was die Rolle des Islam in Deutschland angeht. Können Sie für uns und für sich diesen Widerspruch auflösen?

Lammert: Ich will jetzt nicht als Interpret auftreten, aber mein Eindruck ist schon, dass gelegentlich unnötig zugespitzt wird und damit der Eindruck von Alternativen entsteht, wo es sich doch eigentlich eher um miteinander verbundene Sachverhalte handelt. Und deswegen habe ich diese Kontroverse auch nicht so richtig verstanden.

Welty: Die Wahrheit liegt in der Mitte?

Lammert: Ja, jedenfalls kann man doch bei vernünftiger, ruhiger Betrachtung nicht bestreiten, dass in Deutschland viele Menschen islamischer Glaubensüberzeugung leben und dass insofern der Islam in Deutschland angekommen ist. Und umgekehrt wird auch der Bundespräsident nicht ernsthaft darüber streiten wollen, dass dieses Land in seiner langen Geschichte in einer ungleich stärkeren Weise viel längerfristiger, viel nachhaltiger und insofern vor allen Dingen auch viel tiefer durch die christliche Tradition geprägt ist als durch manche anderen Einflüsse, die es mal mehr und mal weniger stark jeweils zu unterschiedlichen Zeitpunkten gegeben hat. So was lässt sich leicht in zugespitzten Überschriften gegeneinander ausspielen, aber bei nüchternerer Betrachtung gehört es eben zusammen.

Welty: Die Woche der Brüderlichkeit setzt ja auch diesbezüglich ein Zeichen: Die Buber-Rosenzweig-Medaille wird in diesem Jahr verliehen an den deutsch-iranischen Schriftsteller Navid Kermani, der selbst muslimischen Glaubens ist. Ein mutiges Zeichen oder vielleicht doch ein Symbol, das durch die Dreifaltigkeit dieser Entscheidung Gefahr läuft, überfrachtet zu werden?

Lammert: Nein, ich halte das für eine ganz vorzügliche Entscheidung. Es gibt nur wenige deutsche Staatsbürger mit dem berühmt-berüchtigten Migrationshintergrund, die in einer so herausragenden Weise wie Navid Kermani zur Vermittlung zwischen unterschiedlichen kulturellen Traditionen und religiösen Überzeugungen beigetragen haben, die vor allen Dingen auch einen so brillanten Beitrag zur Aufklärung in die eine wie die andere Richtung geleistet haben. Und deswegen kann ich zu dieser Preisverleihung nur herzlich gratulieren, verbunden mit dem ausdrücklichen Wunsch, dass sich viele intensiver mit den eindrucksvollen Büchern und Aufsätzen von Navid Kermani beschäftigen, die genau dieses Zusammenleben und das Aufeinander-Zuhören zum Gegenstand haben.

Welty: Zusammen leben, wie soll das zwischen den großen Weltreligionen gelingen, wenn es im Kleinen noch zum Teil so schwerfällt, so schwierig ist wie in Fragen der Ökumene zwischen Katholiken und Protestanten? Könnte der Papstbesuch da eine Wende bringen, auch wenn man jetzt den Brief sieht, den Benedikt XVI. an den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland geschrieben hat?

Lammert: Ich hoffe das sehr, und ich bin außerordentlich froh und auch beeindruckt, dass der Papst selber nun offenkundig die Initiative ergriffen hat, einen Deutschlandbesuch, der ja nicht jedes Jahr stattfinden kann und der möglicherweise in diesem Jahr auch zum letzten Jahr vor dem 500. Jahrestag der Reformation stattfinden wird, zum Anlass zu nehmen, einen starken ökumenischen Akzent zu setzen, denn das ist die Überzeugung, die viele engagierte Katholiken und Protestanten miteinander verbindet. Kein anderes Land der Welt hat einen stärkeren Anlass, über Möglichkeiten der Überwindung der Kirchenspaltung nachzudenken als das Land, in dem diese Kirchenspaltung stattgefunden hat.

Welty: Papst Benedikt wird auch in Ihrem Haus zu Gast sein, im Deutschen Bundestag sprechen. Darüber ist schon viel gesprochen worden, und Sie gehören sicherlich nicht zu den Kritikern dieses Programmpunktes der Papstreise. Trotzdem sei die Frage gestattet, wie viel öffentliches Bekenntnis zu einer bestimmten Konfession mit den religiösen Gefühlen anderer zu vereinbaren ist.

Lammert: Dieser Einwand ist mir gegenüber jedenfalls bislang nicht vorgetragen worden. Dass wie immer im Übrigen bei den gelegentlichen Einladungen des Deutschen Bundestages an Gäste, meistens an Staatsoberhäupter, vor dem Deutschen Bundestag zu reden, es außer viel Zustimmung auch kritische Einwände gibt, das gehört zu den selbstverständlichen Begleiterscheinungen einer liberalen Gesellschaft. Und dass dies auch in diesem Fall so ist, finde ich nicht besonders bemerkenswert, aber es gibt einen ganz breiten Konsens, auch quer durch die Fraktionen des Deutschen Bundestages, dass die seltene und zu unserer aller Lebzeiten vermutlich auch nicht wiederholbare Gelegenheit, einen deutschen Papst in der deutschen Hauptstadt begrüßen zu können, auch durch eine Einladung, vor dem Deutschen Bundestag zu sprechen, begleitet werden sollte.

Welty: Bundestagspräsident Norbert Lammert im Deutschlandradio Kultur über Toleranz, Bekenntnis und Glaube vor der Woche der Brüderlichkeit. Ich danke für dieses Gespräch!

Lammert: Ich danke Ihnen, Frau Welty!
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