Auf Tour mit dem Bikerpfarrer

Von wegen Moralapostel

Motorradpfarrer Pfarrer Bernd Schade lehnt am 01.03.2017 in Berlin an seinem Motorrad Triumph Tiger 800.
Der Motorradpfarrer Bernd Schade ist von der Evangelischen Kirche für die Arbeit mit Motorradfahrern beauftragt © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Michael Frantzen · 20.09.2017
Motorradfahrer gelten als harte Jungs - ein Klischee, wie sich bei Bernd Schade zeigt: Seit 25 Jahren ist der Berliner offizieller Motorrad-Pfarrer. Aber dass in seiner Gruppe "Christ und Motorrad" nur fromme Leute sind, "das ist ein Vorurteil", sagt etwa Bärbel.
Marianne trägt schwarz. Ihre Begleitung auch.
"Das ist eben die Dicke. Die gehört zu mir."
Die "Dicke" – das ist Mariannes Motorrad. Die "Victory Vision" hat nicht nur einen heulenden Motor, sondern auch genug Platz für Mariannes Kluft.
"Das is bei meiner Dicken alles eingepackt. Das ist die Weste."
Die tragen alle von Mariannes Motorradtruppe.
"Christ und Motorradfahrer in Berlin. Da ist dann Berlin abgebildet, in der Mitte das Brandenburger Tor. Die Siegessäule. Funkturm."
Marianne schaut auf ihre Armbanduhr: kurz nach eins. Sie ist früh dran. Der Biker-Gottesdienst in der Autobahnkirche von Zeestow – einem Brandenburger Dorf mit schnurgeraden Straßen und Störchen am Wegesrand - beginnt erst in einer Stunde. Die Frau mit dem pechschwarzen Haar grinst. Ist sie mal wieder etwas zügiger unterwegs gewesen – mit Gottes Segen.
"Ja, ich bin gläubig. Ich hab' aber nix so offiziell mit der Kirche zu tun. Sondern ich hab' meinen Gott, wo ich Rechenschaft ablegen muss. Ich weiß, wenn ich mal nach oben komm, krieg ich bestimmt 'nen Arsch versohlt. Aber... Man ist Mensch. Man macht die Fehler."
Mit 40 hat Marianne ihren Motorradführerschein gemacht. Wenn sie mit 150 Stundenkilometern über die Autobahn rast, vergisst sie alles: den üblichen Stress; Alltagssorgen; ihren Job als Hausmeisterin eines Tennisclubs, der ihr manchmal ganz schön auf die Nerven geht – allein schon wegen des Plopp-Plopp der Tennisbälle. Marianne zieht an ihrer Zigarette. Natürlich ist das mit dem Motorradfahren nicht ohne, doch bislang ist sie glimpflich davon gekommen. Zwei Unfälle in 25 Jahren. Einmal hat sie sich das Sprunggelenk gebrochen, das andere Mal den Fuß verstaucht.
Marianne von der Gruppe "Christ und Motorrad" des Bikerpfarrers Bernd Schade steht neben ihrer Maschine.
Marianne von der Gruppe "Christ und Motorrad" des Bikerpfarrers Bernd Schade© Michael Frantzen
"Man versucht dann zwar immer diese Schwachteile – das sind die Füße – irgendwo schnell hoch zu bekommen. Aber manchmal lässt sich das einfach nicht richtig einschätzen. Ja, da kann man eben nur beten und sagen: Hoffentlich ist es nicht ganz so schlimm."

"Wir haben Agnostiker, wir haben Atheisten"

Bernd Schade: "Na, hat er dich schon löchern wollen?"
Um einen flapsigen Spruch ist er nie verlegen: Bernd Schade – der Biker-Pfarrer.
"Ja, natürlich bin ich 'nen Kuriosum. Oder Christen, die Motorrad fahren und das auch kennzeichnen, sind was Besonderes. Denn sie sind Teil beider Welten. Einmal der Kirchen oder der religiösen Welt. Und auf der anderen Seite Teil der motorradfahrenden Welt."
Seit 25 Jahren ist Bernd, wie ihn alle nennen, offiziell Biker-Pfarrer der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg. Der Anfang 60-Jährige fährt bei Wind und Wetter Motorrad – egal ob zur Arbeit als Krankenhauspfarrer oder zu den Biker-Gottesdiensten. Eine dreiviertel Stunde hat er gebraucht – für die etwas mehr als 30 Kilometer von Berlin-Reinickendorf nach Zeestow. Immer schön Landstraße, ganz entspannt.
"Wenn ich mich doch besinne beim Motorradfahren und ich der Meinung bin, ich möchte selber zum Segen werden, auf der Landstraße oder im Straßenverkehr in der Stadt - dann verhalte ich mich auch entsprechend. Und das hat auch schon was mit Religion und letztlich auch mit Glauben zu tun. Mit Rücksicht, mit Respekt und mit Voraussicht."
Nicht alle Motorradfahrer halten sich daran – das muss man Bernd nicht zwei Mal sagen. Allen voran die Hells Angels. Die machen sich gerne lustig über ihn, nach dem Motto: Ein echter Biker ist Outlaw – und kein bibelfester Moralapostel. Bernd winkt ab. Wenn er und seine 140-köpfige Gruppe eines nicht sind, dann Moralapostel.
"Wir sind nicht evangelisch oder katholisch. Sondern es befinden sich Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen oder auch unterschiedlicher Weltanschauen bei uns. Wir haben Agnostiker, wir haben Atheisten. Das alles geschieht auf der Basis eines gemeinsamen Interesses – nämlich dem Motorradfahren."

Touren nach St. Petersburg oder Wittenberg

"Jeder kann so bleiben, wie er ist. Es ist 'ne freie Gruppe", ergänzt Nicole, ihres Zeichens stolze Besitzerin einer BMW F6 50 – und nicht gerade die Allerpünktlichste.
Schade: "Ganz dringend! Du musst deine Texte haben. Ganz dringend. Nimmste deinen Helm noch mit?"
In zehn Minuten fängt die Biker-Andacht an – und Nicole hat immer noch nicht den Text einstudiert, den sie gleich vortragen soll: über einen der Propheten aus dem Alten Testament. Doch die 49-Jährige hat die Ruhe weg. Unter Druck setzen lässt sie sich schon lange nicht mehr.
"Ich hab meinen Führerschein erst mit 40 gemacht. Ich wollte schon immer, aber wie das so ist: Dann haben die Eltern damit ein Problem, dann hat der Freund damit ein Problem. Und irgendwann dachte ich mir: Wenn du es jetzt nicht machst, dann machste's gar nicht mehr. Dann hab ich's halt gemacht."
Nicole und die anderen unternehmen einiges zusammen. Allein die Motorradtouren: In Sankt Petersburg waren sie schon; in Rom; und neulich erst: auf Luthers Spuren in Wittenberg, der Wiege der Reformation. Nicole grinst. Anfangs sei sie noch mit ihrem Freund unterwegs gewesen – bis die Beziehung in die Brüche ging und sie sich schwor: lange Reisen nur noch ohne Partner."
"Viele Paare nutzen ja den Urlaub... um sich zu streiten. Das is' ja ganz normal im Leben. Und das haben wir auf so Touren miteinander auch mal. Aber ich muss sagen: Im Großen und Ganzen is' es eigentlich tatsächlich immer sehr, sehr harmonisch. Weil: Es ist auch 'ne Rücksichtnahme. Das ist ja auch was ganz Christliches. Und man steckt dann eben auch mal zurück. Und man verkneift sich mal 'ne Meinung."

Staunen über Christians Maschine - und Glauben

Verantwortungsvoll miteinander umzugehen – das ist der Gruppe wichtig. Ihr Glaube auch. "Wir versuchen, das Gemeinschaftsgefühl von Motorradfahrern mit dem des Glaubens zu verbinden", heißt es auf ihrer Website. Gerade in schwierigen Situationen gibt der Glaube Nicole und Co. Kraft, spendet Trost. Fast jeder aus der Truppe kennt jemanden, der beim Motorradfahren ums Leben gekommen ist.
"Fahre nie schneller, als dein Schutzengel fliegen kann": Diesen Spruch beherzigt auch Christian. Der Typ im 50er-Jahre-Look hat ein ganz besonderes Motorrad: Eine Savat.
"Boshaft könnte man sagen: 'Ne halbe Harley, sozusagen, ja?!"
Christian hat nicht nur Sinn für Humor, sondern auch eine abgewetzte, braune Lederjacke an - mit lauter Sprüchen drauf. Sein liebster ist: "Loud Pipes save lifes." Laute Rohre retten Leben.
"Das is' vielleicht die Erklärung dafür, warum man 'nen Auspuff ohne Schalldämpfer fährt."
In seinem Leben hat der Betreuer von Jugendlichen schon einiges ausprobiert. Krankenpfleger war er, Fahrlehrer und Kfz-Mechaniker. Das ist nicht ohne Folgen geblieben – für Mensch und Maschine.
Christian von der Gruppe "Christ und Motorrad" des Bikerpfarrers Bernd Schade steht neben seiner Maschine.
Christian gehört auch zu Bernd Schades Gruppe "Christ und Motorrad"© Michael Frantzen
"Rücklicht?! Das war hier ganz klobig oben. Das kommt denn dort unten rein. Sitzbank?! Der Sitz wurde praktisch abgespeckt. Das heißt, dass man tiefer drinne sitzt. Bis hin: Lampe, Spiegel: Das ist alles nicht original."
Sondern extra angefertigt - staunen die Motor-Experten immer. Über seinen Glauben auch.
"Ich bin Christ. Und hab mich noch gar nicht so lange her dieser christlichen Gruppe in Berlin mitangeschlossen. Wohn 60 Kilometer nördlich von Berlin und bin jetzt so dazu gestoßen. Und find diese Verbindung total gut. Sonst hat Biker-Fahren ja so... is ne bestimmte Schublade. Und die bedienen das auch noch so, wie sie auftreten. So'n bisschen dieses harte Auftreten. In Motorradgruppen sich so hocharbeiten. Diese Hierarchie, diese Rang- und Hackordnung, die da so drinne sind: Das is' schon so... für die harten Männer was. Das liegt mir nicht so."
Über die Alleen Brandenburgs zu fahren, umso mehr.
"Das Sehen. Die Straßenverhältnisse. Durch Dörfer fahren. An Wiesen vorbei. Wo man Störche sieht, Pferde sieht."

"Sie: schnell - ich: nach Straßenverkehrsordnung"

"Kornfelder. Blumenfelder. Alle hundert Meter 'nen anderer Geruch. Is' Wahnsinn", frohlockt Bärbel. Bärbel hat ihren Platz gefunden – im Leben und auf dem Motorrad.
"Mit 75 setz ich mich nur noch hinten drauf."
Bärbel mag es gerne schnell.
"Also nich' so'n Gezuckel. Na, 220 schaffen wir. Nicht immer, nur mal kurz. Is' ne große BMW."
Die von Dieter – ihrem Freund.
"Der schwirrt hier irgendwo rum. Dieter?! Weiß ick nich. Der is' draußen. Ach ja: Da isser. Komm her, mein Kleiner! Der is' ja viele, viele Jahre jünger. Und meine Sportkollegen im Fechtverein: Du, das dauert 'nen halbes Jahr mit euch – dann is' ditt vorbei. Und jetzt gehen wir fast 25 Jahre."
Bärbel strahlt. Hätte sie sich auch nicht träumen lassen – damals, nach der Scheidung vor 30 Jahren: Dass sie noch mal so einen guten Fang machen würde. Zu Verdanken hat sie das ihrer Berliner Schnauze – und einem bayrischen Motorrad-Produzenten.
"Früher hat BMW Motorradfahrten in Berlin veranstaltet: BMW für Berliner Senioren. Und da haben wir uns kennengelernt. Ick war seine Seniorin. Ditt war... er is mit seinem Freund über'n Platz jegangen und haben se gesagt: Nimm die doch! Die sieht ja noch ganz gut aus. Ick hab jesagt: Ick hab 'nen eigenen Helm. Und - schwups - saß ich bei ihm drauf. Damit fing ditt an."
Der Rest ist Geschichte. Bärbel und Dieter sind ein Herz und eine Seele. Mit einer Ausnahme.
- "Ich hetze ihn immer. Er lacht schon."
- "Ja, ja. Sie: schnell. Und ich: nach Straßenverkehrsordnung."
- "Ick kann ja nichts machen hinten. Ich hab ja kein Gas."

Motorradfahrer als Propheten

Seit 15 Jahren sind Bärbel und Dieter bei der Truppe von Pfarrer Schade – der christlichen.
Bärbel: "Ick hab innen drin meinen Glauben. Nach außen trage ich's nich. Mein Freund und ich sind nicht in der Kirche. Datt war damals, da hatte ich so'n Job, da hab' ick so viel Kirchensteuer bezahlt... ick globe 180 Mark – da habe ick jesagt: Datt muss nich' sein."
Der da oben, meint Bärbel und zeigt an die Decke der Zeestower Kirche, wird schon beide Augen zudrücken. Schließlich tut sie ja auch einiges, um ihren Mitmenschen Gott schmackhaft zu machen – vorzugsweise denen auf zwei Rädern.
"Wir haben Zettel manchmal mit. Und die verteilen wir. Sagen: Wenn du Lust hast, komm doch mal dienstags zu uns. Können wir 'nen bisschen quatschen. Aber: Die kommen meistens nicht. Kirche is' wirklich: 'Nen großer Bogen. Das sind alles nur fromme Leute. Aber: Stimmt ja eigentlich gar nich'. Ditt is 'nen Vorurteil."
Gut gefüllt ist die Zeestower Autobahnkirche. Rund 50 Gläubige sitzen auf alten Holzbänken: Biker und Leute aus dem Dorf. Kein schlechter Schnitt: Da kann Bernd zufrieden sein – und sich zurücklehnen.
Bikerpfarrer Bernd Schade steht bei seiner Predigt in der Zeestower Autobahnkirche. Am Altar liegt ein Kreuz aus Motorradhelmen.
Bikerpfarrer Bernd Schade bei seiner Predigt in der Zeestower Autobahnkirche© Michael Frantzen
"Ich werde mich jetzt auf die Bank setzen und zuhören. Was die vier Mitglieder der Gruppe Christ und Motorrad alles von den Propheten uns mitzuteilen haben. Es beginnt dort drüben."
Mann: "Ich bin der Prophet Hosea …"
Motorradfahrer als Propheten – das ist ganz nach dem Geschmack von Bärbel. Sie schaut zu Dieter. Stimmt haargenau.
Mehr zum Thema