Auf die Leinwand getröpfelt

Von Oliver Seppelfricke · 27.01.2008
Die Bilder der Action Painter erwecken den Eindruck, in einer spontanen Geste, aus dem Bauch heraus entstanden zu sein. Dass die Werke von Jackson Pollock und Co aber sehr wohl komponiert waren, zeigt die Ausstellung "Action Painting" der Fondation Beyeler.
"Der Begriff Action Painting kommt von einem Aufsatz, den Harold Rosenberg, ein berühmter amerikanischer Kunstkritiker, Freund von Jackson Pollock, Freund dieser ganzen amerikanischen Künstlergeneration, 1952 geschrieben hat. Der heißt 'The American Action Painters'. In diesem Aufsatz formuliert Rosenberg diese Idee, es gebe Action Painters, es gebe dieses unmittelbare, dieses tranceartige Malen, diesen direkten Zugang, diese direkte Geste, die Kunst macht. Die Ausstellung arbeitet auch mit diesem Begriff, und sie arbeitet auch mit der Vorstellung, dass es ein Bemühen darum gibt, Bewusstsein und Intuition in einen Einklang zu bringen. So wie das Ernst Wilhelm Nay formuliert hat."

Die neuen Action Painter sollten ihre Bilder in spontanen Gesten überwiegend direkt "aus dem Bauch heraus" schaffen. So etwas hatte es in der Kunstgeschichte ja schon einmal gegeben. Bei der écriture automatique der Surrealisten.

"Die Surrealisten waren natürlich außerordentlich wichtig für diese Künstlergeneration. Die sind emigriert nach New York, die meisten. Ein Name muss hier unbedingt genannt werden: Max Ernst, der von großem Einfluss gewesen ist, nicht nur als Ehemann von Peggy Guggenheim, sondern als Inspirator, Schachspieler. Er hat ja mit diesen Künstlern allen Schach gespielt, und er hat auch mit neuen Kunstformen wie mit dem Dripping experimentiert, wie wir wissen. Ob er das erfunden hat, ist die große Frage. Es lag in der Luft. Es gibt auch noch andere. Hans Hoffmann wäre da auch noch zu nennen. Der aus Bayern stammende große Mallehrer, der in der Ausstellung auch zu sehen ist, hat ganz früh mit dieser Methode des Auf-die-Leinwand-Tröpfelns von Farbe experimentiert. Also es ist ganz klar, dass die Surrealisten ganz wichtig gewesen sind."

"Jack the Dripper" hatte also Vorfahren. Warum auch nicht? Ob es Max Ernst war, der, wie er selber einmal sagte, einem jungen talentierten Maler namens Jackson Pollock in der Wüste gezeigt hatte, wie man Farbe aus einer Dose tröpfeln lasse, in die man unten ein Loch schlägt, oder ob es Jackson Pollock selbst war, der auf diese Technik kam - entscheidend ist, was dabei herauskam. Und "Jack the Dripper" war, was diese Form des Malens anging, der Beste. Er umkreiste, umsprang und umturnte seine Leinwand, die am Boden lag, ließ aus Dosen Farbe tropfen, ließ sie mal in schmalen Spuren, mal in wilden Wiederholungen zu dicken Spinnweben geronnen, das alles war eine expressive Farb- und Linienorgie, ein genialischer künstlerischer Tanz. So, wie ihn die beiden berühmten Filme von Heinz Namuth aus dem Jahr 1950 zeigen (die in der Ausstellung zu sehen sind), und so, wie er in Wirklichkeit nie stattgefunden hat. Denn auch die Filme von Namuth lassen das aus, was auch der berühmte Clouzot-Film über Picasso wegließ, die Pausen nämlich. Die vielen, vielen kreativen Pausen, in denen der Künstler nicht mehr weiterweiß. Ulf Küster, Kurator der Schau in der Fondation Beyeler:

"Was man immer wieder vergisst, wenn man diese Filme betrachtet und auch die Resultate, diese Bilder, ist, dass Pollock wichtige Phasen der Reflexion zwischen seinen Malakten benötigte und auch sehr, sehr viel zerstört hat. Diese Meditation, da geht es da nicht darum, sich in Trance zu bringen, sondern da geht es darum, sich in die richtige Konzentration zu bringen, die die Choreografie dann möglich macht. Dieses Überlegen, das kann man natürlich in einem Film nicht zeigen. Das ging fünf- bis zehnmal so lange wie die einzelnen Malbewegungen."

Jedes der gut 100 spontan entstandenen "Action"-Bilder, die die Fondation Beyeler nun zu einem fulminanten Tanz zusammenführt, entstammt also genau kalkulierten Bewegungen. Egal ob Wols, der in seinem angeblichen Wahn ohne Unterlass auf Papier und Malgrund zeichnete und dem allein ein großartiger Raum gewidmet ist, oder ob der Meister Jackson Pollock selbst - sie alle umkreisten ihre Bilder in großer Unruhe, wussten dann aber ganz genau, wohin der Strich zu setzen sei. Ulf Küster:

"Die Ausstellung zeigt natürlich auch, dass Action Painting ein Ideal ist, nach dem man streben kann, aber das natürlich nicht erreicht wird und auch nicht erreicht werden soll. Denn die Bilder sind, und da ist Pollock ein gutes Beispiel, durchaus komponiert. Die sind gestaltet. Pollocks Drippingbilder sind gestaltete Bildkompositionen und Wols´ Bilder sind komponiert. Es ist da nichts dem Zufall überlassen. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass nichts schwieriger ist, als einen Pollock zu fälschen. Weil sie nämlich dieses Formgefühl, das der Mann hatte, nicht einfach nachmachen können."

Die Ausstellung, die gut dreißig Künstler, darunter Pollocks Zeitgenossen Willem de Kooning, Franz Kline und Sam Francis, aber auch eine spätere Generation von "Action Paintern" wie Eva Hesse und Cy Twombly zeigt die gemeinsamen Wurzeln des abstrakten amerikanischen Expressionismus und der europäischen Nachkriegsmalerei wie Informel und Cobra. Eine besondere Sensation der äußerst sehenswerten Schau sind jedoch die bis zu fünf Mal sieben Meter großen Bilder von Morris Louis und Sam Francis. Louis ließ Farbe aus einem Eimer über die Leinwand laufen und gab ihr, indem er am Rahmen schüttelte, einen gelenkten Lauf. Bilder, die in ihrer Schlichtheit und Eleganz auch heute noch erstaunen.

Und es erstaunt auch zu hören, dass es nicht der Transport dieser Riesenbilder waren, der dem Kurator die meisten Schwierigkeiten gemacht hatte:

"Es gab die normalen Schwierigkeiten, die man immer hat, wenn man eine Ausstellung macht. Man fragt Sammlungen, man fragt Museen nach Bildern. Man bittet um Bilder als Leihgaben. Und das ist immer schwierig und erfordert immer viel Nerven und viel Reisen und viel Briefeschreiben usw. Das war schwierig. Dann das andere, was auch immer schwierig ist, sind die Versicherungswerte, die einfach sehr hoch sind. Die Versicherungsprämien, die wir zahlen, werden immer höher und darunter ächtzen wir sehr. Das ist einfach so. Was aber eigentlich sehr einfach gewesen ist, ist dann schlussendlich viele Leihgeber davon zu überzeugen, dass es ein gutes Projekt ist. Denn ich glaube, dass dieses Thema irgendwie auf der Straße liegt und ich bin doch auf sehr, sehr viel Unterstützung für diese Ausstellungsidee gestoßen. In Amerika wie in Europa hat man doch eigentlich den Gedanken, dass man so etwas mal wieder zusammen sehen müsse."

Action Painting
Fondation Beyeler
Vom 21.1. bis 12.5.2008