Auf der Suche nach immer neuen Formen

Von Anette Schneider · 24.06.2011
1888 in Palästina geboren, lebte und arbeitete der Bildhauer Joseph Hebroni in Berlin und Paris. Auf abenteuerlichem Weg kam sein Nachlass Ende der 80er nach Flensburg und Rendsburg. Jetzt gibt es eine erste Retrospektive des Künstlers.
Thomas Gaedecke: "Es gab ihn eigentlich gar nicht, niemand kannte ihn"."

erklärt Kurator Thomas Gaedecke. Und Bernd Philipsen, der für die Ausstellung die Biografie Joseph Hebronis erforschte, fügt hinzu:

""Wir fingen bei Null an. Der Glücksfall war, dass der schriftliche Nachlass in Flensburg lag. Das kam dadurch, dass er mit einer Flensburgerin verheiratet war. Und nach deren Tod blieb der Nachlass in Flensburg liegen. Und er war so, wie man sich das mit Nachlässen vorstellt. Also: in Schuhkartons. Ein großes Durcheinander."

Aus diesem Durcheinander ergab sich: Joseph Hebroni wurde 1888 in Palästina in ärmlichen Verhältnissen geboren. Er wuchs in Jerusalem bei dem berühmten hebräischen Sprachwissenschaftler Ben Jehuda auf, und ging 1908 nach Berlin, wo er an der Kunstakademie studierte. 1932 siedelte er nach Paris über. Todkrank reiste er 1964 zu seiner Frau nach Flensburg, wo er wenig später starb. Sein Werk blieb in Paris zurück. Erst als das Atelier Ende der 80er Jahre aufgelöst werden sollte, wandte sich Hebronis Witwe an Heinz Spielmann, den damaligen Leiter des Landesmuseums Schloss Gottorf, zu dem auch das Jüdische Museum gehört. Der, so Thomas Gaedecke, machte sich sofort auf nach Paris:

"Spielmann ist mit dem Auto hingefahren, und hat damals das Auto vollgeladen mit Figuren und mit Zeichnungen, und hierher gebracht und einen Grundstock für die Ausstellung hier gelegt."

Hebronis Thema war der Mensch. Er schuf Akte, Liebespaare, männliche und weibliche Torsi und zahlreiche Porträtbüsten, darunter eine des SPD-Politikers Eduard Bernstein.

Die Ausstellung zeigt all diese Arbeiten zusammen mit kleinen Entwurfszeichnungen, und verdeutlicht so Hebronis Suche nach immer neuen Formen für den menschlichen Körper im Raum. Und sie zeigt: Die großen gesellschaftlichen Umbrüche seiner Zeit interessierten ihn nicht. Novemberrevolution, Weimarer Republik, und die neuen Möglichkeiten für politisch-engagierte Kunst gingen spurlos an ihm vorbei.

Thomas Gaedecke: "Hebroni ist ein konservativ herkömmlich eingestellter Bildhauer, der immer figürlich gearbeitet hat. Immer figürlich arbeiten wollte. Der nach Paris gegangen ist, um Aristide Maillol, seinem Idol, nahe zu sein, der Rodin-Schule, wenn Sie so wollen. Er hat sich von den Modernen, die es ja um Picasso herum gab, Lippschitz, Laurant und Brancusi, ferngehalten. Das war nicht seine Welt."

Stattdessen widmete er sich erotischen Themen: Kleinformatige Skulpturen aus Ton, Terrakotta und Gips zeigen wollüstig zurückgebeugte weibliche Körper, und Liebespaare, die mal miteinander verschmelzen, mal gegeneinander kämpfen. Oder: Einen großen Torso, eingehüllt in ein Tuch, das die weiblichen Körperformen betont. Eine Reminiszenz an die Antike.

Thomas Gaedecke: "Er hat sich immer gewünscht, diesen seinen Erfindungsreichtum und seine formale Beherrschung dieser Szenen in das große Format übertragen zu können, hat aber leider dazu keine Aufträge bekommen und hat selber keine Mittel gehabt, das im Großen auszuführen, oder auch nur in Bronze gießen zu lassen. Es gibt ja kaum Bronzegüsse, die zu seinen Lebzeiten entstanden sind, weil er das nicht bezahlen konnte, und weil er sich auch reichlich ungeschickt angestellt hat, was Ausstellungen und Vermarktung betrifft."

So lehnte er ein Stipendium für die Villa Massimo ab. Mehrfach hielt er Zusagen zu Ausstellungsbeteiligungen nicht ein, aus Angst, seine Arbeiten seien nicht gut genug. Außenwirkung war dem weltfremden Künstler gleichgültig, Hauptsache, er konnte arbeiten. Und wenn die Not zu groß wurde, griff das weit gespannte Netzwerk der Familie Jehuda.

Als die Faschisten 1940 Paris besetzten, überlebten Hebroni und seine Frau versteckt in einer leer stehenden Wohnung. Nach der Befreiung beharrte der Bildhauer - trotz der Vorherrschaft des Abstrakten - weiterhin auf dem Menschenbild. 1955 entstand seine beeindruckendste Arbeit: "Leidende Menschheit" nannte er die überlebensgroße weibliche Bronzemaske, deren Gesichtszüge er nur andeutete, und deren aufgeraute Oberfläche wirkt, als würde sie umspannt werden von einem Netz albtraumhafter Erinnerungen. Vielleicht entstanden noch ähnlich anrührende Arbeiten. Doch, so erklärt Bernd Philipsen:

"Er hat natürlich sehr viel mehr geschaffen als bekannt ist. Leider sind viele Arbeiten, die irgendwo mal erwähnt worden sind, und die in seiner Biografie auch eine bestimmte Bedeutung haben, verschollen."

Von der Existenz dieser Arbeiten weiß man durch Briefe. Und durch Fotos: Eines zeigt den über-70-jährigen Künstler in seinem Pariser Atelier vor einer großen weiblichen Skulptur, die heute verschollen ist. Auf einem anderen sieht man ihn mit einer Büste von Ben Jehudas zweiter Frau, die 1952 in Paris entstand. Auch sie ist verschwunden. Mit etwas Glück könnten die engagierte Ausstellung und das Werkverzeichnis dazu führen, dass sich irgendwo irgendjemand an den Verbleib dieser Skulpturen erinnert.
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