Auf der Suche nach dem kalifornischen Traum

Von Tom Noga · 21.05.2009
"Hotel California" war der größte Hit der amerikanischen Erfolgsband Eagles. Unklar aber ist, ob die Eagles in ihrem verklausulierten Text einen Drogentrip oder einen realen Ort besingen. Letzteres behaupten die Menschen in Todos Santos, einem Künstlerdorf auf der mexikanischen Halbinsel Baja California. Das älteste Hotel am Platz, das Hotel California, soll jenes sein, das die Eagles besingen.
Unterwegs in Baja California, auf der mexikanischen Halbinsel, die wie ein ausgestreckter Finger in den Pazifik ragt. Im Autoradio läuft "Hotel California" von den Eagles. ."Ich nahm eine zwölfsaitige Akustikgitarre zur Hand und begann gedankenverloren darauf herumzuzupfen", beschreibt Eagles-Gitarrist Don Felder in seiner Autobiografie, wie der Song entstanden ist. Ein Blick aufs Meer, eine Prise Salzluft in der Nase – das ist ihm Inspiration genug für eine lässig swingende Reggaemelodie. Glenn Frey, der andere Gitarrist der amerikanischen Erfolgsband, murmelt, dass dieses Lied vom kalifornischen Traum handeln könnte. Und Schlagzeuger Don Henley hat sofort eine Textzeile parat: "what a lovely place" – was für ein schöner Ort". So ist er entstanden, der größte Hit der Eagles, jedenfalls in Don Felders Erinnerung.

Seit Stunden das gleiche Bild: eine schnurgerade Landstraße, die durch ein Meer aus Kakteen führt. Links schroffe Bergspitzen, kahl und abweisend, rechts der Pazifik, wild und ungezähmt. Impressionen, wie sie auch die Eagles für "Hotel California" vor Augen gehabt haben müssen, für dieses Lied über einen "müden, vermutlich unter Drogeneinfluss stehenden Reisenden", wie Don Felder es in seinem Buch im völlig unpassenden Duktus eines Polizeiberichts formuliert. "Warm smell of colitas..." – der warme, süßliche Marihuanageruch.

Knapp 1800 Kilometer sind es von Tijuana oben an der Grenze zu den USA bis nach Todos Santos, Allerheiligen, fast ganz unten in Baja California. Laut Reiseführer ist Todos Santos eine Mischung aus Künstlerdorf und Hippie-Oase. Und das ältestes Hotel am, Platz, das Hotel California, soll jenes sein, das die Eagles besingen.

Debbie Stewart: "So here we are in the lobby of the Hotel California, welcome to the Hotel California.”"

"There she stood in the doorway, I heard the mission bell ring" – sie steht da im Eingang, während das Glockenspiel der Missionskirche erklingt. Eine Szene wie im Lied, und doch irgendwie unpassend. Debbie Stewart, die Eigentümerin des Hotels, trägt Business-Look: Bluse, engen, knapp überm Knie endenden Rock, spitze, hochhackige Schuhe – alles in beige. Ein bisschen zu schlank ist sie, und ein harter Zug spielt um ihren Mund, wie bei jemandem, der zu viel arbeitet und sich zu viele Sorgen macht. Nicht eben die Hippiefrau, die man erwartet hätte.

Debbie Stewart: ""Ich? Ein Hippie? War ich nie! Ich habe früh geheiratet, sehr früh Kinder bekommen. Ich war immer eine normale verheiratete Frau. Ich wusste nichts über Musik, die Eagles, das Album 'Hotel California' und all das."

Die zweite Überraschung: Dieses Hotel California sieht ganz anders aus als auf der Plattenhülle. Ein nüchterner, karmesinroter Adobe-Bau mit überdachten Balkonen. Keine Türmchen, keine Palmen drumherum – aber auf dem Cover ist, wie Rock-Fans wissen, ja auch das noble Beverly Wilshire in Los Angeles abgebildet.

Unter der Decke der Lobby hängt ein riesiger Kandelaber, an den Wänden Kunst. Ein Landschaftsbild, Berge, Wüste und ein paar Cowboys, der Kalifornierin Jill Logan und ein Schwarz-Weiß-Bild des Mexikaners Gabo. Abstrakte Kunst, die an einen Rohrschach-Test erinnert: Ist das eine sich brechende Welle oder ein Wolf, der sich über seine Beute hermacht?

Ein schmiedeeisernes Tor führt in den Patio mit Pool und Springbrunnen, ein anderes auf die Terrasse des Restaurants. Dort scheppert – na was wohl? – " aus den Boxen.

Auf der Terrasse ist es voll. Kaum ein spanisches Wort, hier wird Englisch gesprochen. Von Leuten in Shorts, Turnschuhen und T-Shirts, deren Aufdrucke vom letzten oder vorletzten Urlaub erzählen: Bahamas, Dominikanische Republik, Costa Rica. Auf dem Dach vier Figuren aus Eisen, eine stilisierte Mariachi-Kapelle, wie man sie in jedem zweiten Andenkenladen an der Landstraße findet: Geiger, Gitarrist, Trompeter, Akkordeonspieler. Debbie Stewart zitiert das Lied: "How they dance in the courtyard, sweet summer sweat" – wie sie im Innenhof tanzen, süßer, sommerlicher Schweiß.

Mit ihrem verstorbenen Mann John Stewart hat sie das Hotel vor sieben Jahren übernommen und aufwändig restauriert. Als Wette auf die Zukunft: Warum sollte nicht etwas vom Tourismus-Boom in Los Cabos, ganz unten in Baja California, auf Todos Santos abstrahlen?

Debbie Stewart: "So viele Beschreibungen im Lied passen zu diesem Ort: die Wüstenstraße, die Kirche und eben die Geister, die im Patio tanzen. Die Welt glaubt, die Eagles seien einmal hier gewesen. Und wer weiß, vielleicht trifft das ja auf einen von ihnen zu. Alle fragen mich nach ihnen, jeden Tag. Sie kommen rein: Wo sind die Eagles? Warum gibt’s keine CDs zu kaufen? Ich sage dann immer, dass es darum doch gar nicht geht."

Auch vor dem Hotel California schieben sich Touristen vorbei. Zu Fuß oder im vollklimatisierten Mietwagen. Man kann die Uhr nach ihnen stellen, sagt Howard Ekman. Zwischen sieben und acht Uhr morgens gehen die Kreuzfahrtschiffe in Los Cabos ganz unten in Baja California vor Anker. Ein, anderthalb Stunden, um von Bord zu gehen, noch einmal so lange für die Fahrt – ab zehn wird es voll in Todos Santos. Manchmal setzt Howard sich dann wie heute auf die Bank vor dem Hotel Califiornia und sieht dem Treiben zu. Das fällt für ihn in die Kategorie: Überprüfen, ob die Lebensqualität noch stimmt.

Howard Ekman: "Als ich her kam, war der Ort einfach klasse: Die Läden auf der anderen Straßenseite existierten noch nicht. Es war ganz anders, langsamer, ruhiger. Es gab nur 499 Telefonanschlüsse, und die Verbindung zum Festland lief über Funk."

Howard Ekman rückt die Sonnenbrille auf seinem kahlen Kopf zurecht. Die Straße vor ihm ist asphaltiert, als einzige in Todos Santos, der Mittelstreifen seit kurzem bepflanzt. In der Ladenzeile gegenüber hat sich ein halbes Dutzend Souvenir-Shops niedergelassen. Nach rechts, den Hang hinunter schließen sich Galerien an, bergauf ebenso. In den Schaufenstern hängen Landschaften und Sonnenuntergänge in allen erdenklichen Formen und Formaten – es ist keine große Kunst, die hier verkauft wird.

Howard Ekman: "Das Leben ist einfacher geworden, man muss nicht mehr auf so viele Dinge verzichten. Aber für viele Leute ist es auch einfacher, her zu kommen, für Leute, die man hier sonst nicht gesehen hätte. Die Fremden, die heute kommen, sind anders, keine Abenteurer oder Pioniere mehr, sie wollen gut leben."

Nichts dagegen einzuwenden, fährt Howard fort. Er ist ja selbst ein Fremder gewesen, damals als in Todos Santos drei, vier tausend Menschen gelebt haben, plus 50, 60 Gringos, Leute aus dem Nachbarland im Norden, zumeist versprengte Hippies. Auch dass die Touristen wegen den Eagles kommen, will er ihnen nicht vorwerfen. Bei ihm hat "Hotel California" ebenfallseine Rolle gespielt. Oder besser das, worum es in dem Lied geht: die Suche nach dem Geist der 60er-Jahre, nach dieser naiven Aufbruchstimmung, die tausende aus Kalifornien die Küste hinunter trieb, zu neuen, unentdeckten Orten.

Howard Ekman: "Das Wetter, die Lage, in der Wüste, zwischen den Bergen und dem Meer. Die Menschen, die meisten Mexikaner hier sind warmherzig und freundlich. Viel offener Raum, es war nicht so überfüllt – ein perfekter Ort für mich."

In Todos Santos gibt Howard Ekman ein Anzeigenblatt heraus. Es läuft gut, sagt er, es wartet nur auf jemanden, der bereit ist, mehr zu arbeiten. Ein spitzbübisches Lachen – kein Zweifel, er wird das nicht sein. Er zieht ein paar Fotos aus seiner Tasche. Das Hotel California vor 20, 25 Jahren. Ohne die Innenhöfe, ohne Restaurant und Bar, die Fassade nur notdürftig verputzt. Und die Zimmer: Glühbirne, Pritsche, Schrank – sonst nichts. "Wir tranken Champagner wie Wasser und schnupften Kokain, dass es beinahe gereicht hätte, ein kleines Land in der Dritten Welt zu finanzieren", erinnert sich Eagles-Gitarrist Don Felder in seiner Autobiografie. "Wir übertrafen uns gegenseitig darin, welchen Luxus wir uns in unseren Hotelzimmern gönnten, nur um die anderen zu ärgern." Kaum vorstellbar, dass von Ehrgeiz und Missgunst zerfressene Neureiche wie die Eagles damals im Hotel California in Todos Santos abgestiegen sind.

Sind sie auch nicht, antwortetet Howard Ekman und kramt die Kopie eines Faxes aus der Tasche. Darin versichert Schlagzeuger Don Henley, nie hier gewesen zu sein. Und überhaupt: Mit dem Lied soll dieses Hotel California nichts zu tun haben.

Howard Ekman: "Ich glaube, ich weiß, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, das war ein Makler in den 80er-Jahren. Es kamen nicht genug Besucher her, also sagte er sich: Unser Hotel California muss jenes aus dem Lied der Eagles sein – das lockt Leute an. So hat es angefangen. Der frühere Betreiber des Hotels hat die Legende dann weiter gesponnen. Er hat mir gesagt, dass sie wahr sei, dass er persönlich die Eagles beherbergt und seine Frau sie bekocht habe. Hat eine Weile gedauert, bis ich raus hatte, was ich hier glauben durfte und was nicht. Hier ist es nämlich wie im Wilden Westen: Du kannst so lange machen, was du willst, bis es einem Stärkeren missfällt."

Howard Ekman grinst. Der Vergleich gefällt ihm. Er deutet auf die andere Straßenseite. Wieder dieses spitzbübische Lächeln: Es muss doch einen Grund geben, dass der Laden gegenüber – er gehört übrigens Manuel Valdez, dem ehemaligen Betreiber des Hotels - warum dieser Laden also Andenken mit dem Schriftzug "Hotel California" verkauft und das Hotel selbst nicht.

Im Laden gegenüber ist es proppenvoll, und selbstverständlich plätschern auch hier die Eagles aus den Lautsprechern. Es gibt Shirts, Tassen, Becher, Kugelschreiber und allerlei Souvenirs mehr. Auf der Hälfte der Artikel prangt das Logo "Hotel California", auf der anderen steht "Tequila Sunrise" - auch das ist ein Song der Eagles. Und mittendrin Manuel Valdez, knapp 1,80 groß, nicht gerade ein Leichtgewicht, mit schwarzen kurzen Haaren und grauem Zehn-Tage-Bart. Er trägt weiße Turnschuhe, Blue Jeans und ein grünes Hemd, alles von einem amerikanischen Hersteller, der sein Markenzeichen immer zu groß auf die Kleidung druckt, um wirklich cool zu sein.

Manuel Valdez: "Wir verkaufen hier nur Produkte der Marken Hotel California und Tequila Sunrise. Diese Marken haben wir auf uns registrieren lassen, um uns im Hinblick auf die Zukunft von der Immobilie abzugrenzen und um unsere Marketinganstrengungen vor möglichen Verwertungsversuchen seitens der Betreiber des Hotels zu schützen."

Wie profan: Unter der Oberfläche dieses Dorfes schlummert also ein Streit um Markenrechte.

Vier Mädchen schlendern herein, Amerikanerinnen. Ob er Manuel ist, man sagt, dass er die besten Bloody Marys in ganz Todos Santos mixt. "Kommt drauf an, wie scharf ihr seid", antwortet Manuel und komplimentiert sie nach nebenan in die Bar Tequila Sunrise.

An den Wänden hängen Bilder von Jazz-Musikern und Plakate eines Underground-Filmfestivals, das einmal im Jahr in Todos Santos stattfindet. Hinter der Theke lässt Manuel sich die Zutaten von der Barfrau reichen. Mit großer Geste gibt er Wodka, Eis und Tomatensaft aus dem Tetrapack in den Mixer, fügt Pfeffer, Salz, Zitrone, Tabasco hinzu und in Abwandlung der Rezeptur ein paar Schuss Damiana, einen südkalifornischen Malvenlikör. "Con personalidad", raunt Manuel beim Servieren, ein Drink mit Persönlichkeit.

Die Mädchen sind entzückt. Manuel Valdez pustert sich noch ein bisschen mehr auf. Todos Santos ist seine Heimat, seit 26 Jahren.

Manuel Valdez: "Als ich herkam, war ich wie viele junge Leute, ich hatte eine ganze Welt vor mir und Schwierigkeiten, mich anzupassen. Aber die Atmosphäre hier, das Licht, das Klima, die Leute und das Ökosystem überzeugen einen. Heute verspürte ich Dankbarkeit, dass dieser ehrwürdige Ort mich akzeptiert hat."

Manuel schlägt die Augen nieder – eine gekünstelte Geste. Seine Geschäfte gehen offensichtlich gut, im Tequila Sunrise sind alle Tische gefüllt. Ja, sinniert er, das Hotel California und seine ursprünglichen Besucher haben ihm Glück gebracht.

Manuel Valdez: "Die Besucher in jener Zeit waren aus gesellschaftlichen Kreisen, die noch die späten 60er und frühen 70er repräsentierten. Ja, man kann sagen, dass sie der Philosophie von love and peace anhingen, von Liebe und Frieden. Von ihrem philosophischen Konzept her - ein interessantes Konzept übrigens – waren es Hippies und Surfer und, heute würde man sagen Abenteuerreisende. Auf eine gewisse Art haben sie dafür gesorgt, dass Todos Santos zu einem größeren Punkt auf der Landkarte wurde und Besucher aus anderen sozialen Schichten den Ort entdeckten."

Vielleicht hat Todos Santos aber auch nur auf einen wie Manuel Valdez gewartet. Ein Ort ohne nennenswerte Vergangenheit, ohne Geschichte, nah genug an der aufstrebenden Urlaubsregion um Los Cabos, aber zu weit entfernt um direkt davon zu profitieren. Wie das leere Blatt für den Schriftsteller oder die weiße Leinwand für den Maler. Der kalifornische Traum eben. Bleibt die Frage nach dem Besuch der Eagles. Immerhin soll Manuel Valdez diese Legende verbreitet haben. Er windet sich.

Manuel Valdez: "Heutzutage wissen wir doch gar nicht mehr, was wahr ist und was nicht – leider. Wir müssen lernen, die Beantwortung solcher Fragen jedem einzelnen und seinen Gefühlen überlassen. Unsere Gefühle bestimmen, was wahr ist und was nicht. Mit Vorschriften erreicht man gar nichts, jede Wahrheit ist in gewisser Hinsicht Interpretationssache. Und was meine Meinung angeht: Vor dem Hintergrund, dass es hier Personen gibt, die in unser Leben eingebunden sind, möchte ich mich lieber nicht dazu äußern."

Die Amerikanerinnen bestellen noch eine Runde Bloody Marys. Die Arbeit ruft - Manuel zuckt bedauernd mit den Schultern.

Abends in der Bar des Hotel California. Die Läden in Todos Santos sind geschlossen, die meisten Touristen längst wieder nach Los Cabos verschwunden. Nur ein mit Einkaufstüten beladenes Paar an einem Tisch in der Ecke ist übrig geblieben, beide in T-Shits aus Manuel Valdez’ Laden. Und drei Jungs an der Theke, Amerikaner, nicht gerade nüchtern. Sie haben ein Mädchen im Schlepptau, um dessen Gunst sie lärmend balzen. Howard Ekman kommt auf ein Bier vorbei. Zufrieden blickt er sich um.

Howard Ekman: "In Todos Santos gibt’s kein Kino, wir haben zwei oder drei Bars, die um zehn schließen. Am Wochenende ist vielleicht irgendwo Tanz, oder auch nicht. Das ist ein ruhiges Städtchen, wo um zehn, spätestens elf alles schließt."

Das "Hotel California" der Eagles hat also nur begrenzte Anziehungskraft. Es reicht, um Besucher zum Gucken und Shoppen anzulocken, aber nur wenige bleiben über in Todos Santos. An Versuchen, das zu ändern, hat es nicht gefehlt, sagt Howard. Der Leuchtturm da oben, Howard zeigt auf einen Hügel direkt am Meer. In der Bucht dahinter will ein Konsortium die Cala de Ulloa hoch ziehen, ein Feriendorf aus der Retorte mit Golfplatz, Yachthafen und allem, was dazu gehört. Einer aus dem Salas-Clan steckt dahinter, Investoren aus Mexico City, die schon Los Cabos aufgebaut haben. Aber das Projekt stockt, wie so vieles in und um Todos Santos. Vier Jahre sind die Pläne alt, aber der erste Spatenstich ist noch nicht erfolgt.

Howard Ekman: "Das ist ein großes Projekt mit einer Menge Papierkrieg. Und es gibt so viele bürokratische Hindernisse, wenn man hier etwas aufziehen will, je größer das Projekt umso mehr. Das ist nicht wie in den USA: Du hast einen Plan, du heuerst einen Anwalt an, er sagt dir, welche Genehmigungen du braucht, du beantragst und bekommst sie – und dann kann’s los gehen. Wir sind in Mexiko, so läuft das nicht. Das heißt: Es fängt so an, aber es geht nicht so weiter, irgendwann brauchst du doch noch etwas ganz anderes. Ich finde das gut, weil es die Leute, die hier sein sollen, von denen trennt, die hier nichts verloren haben."

Je später der Abend, umso mehr Einheimische machen sich an der Theke breit – als hätten sie nur darauf gewartet, dass die Touristen verschwinden. Ein großer Mann, ganz in schwarz, mit Gaucho-Hut und Dreitagebart bestellt eine Damiana. Der Künstler Gabo, stellt Howard Ekman vor. In der Kunstszene von Todos Santos ist Gabo eine Ausnahme. Er ist Mexikaner und bedient mit seinen surrealen Gemälden nicht den Massengeschmack. Vermutlich deshalb strahlt sein Ruf weit über Todos Santos hinaus. Der Barmann schiebt eine CD in die Anlage. Wieder dieses Lied! Gabo nippt an seiner Damiana und holt Luft.

Gabo: "Weißt du, genau hier habe ich vor Jahren mit einem Freund gesessen, einem ausgeflippten Kerl, typisch Südkalifornien. Ich war dabei als er diese schöne Geschichte erfand und als er Manuel Valdez davon erzählte. So nahmen die Dinge ihren Lauf, und heute ist das bereits eine Legende."

So kann man das natürlich sehen: Die Geschichte von den Eagles und dem Hotel California als volkstümliche Überlieferung. Nur dass sie eben nicht stimmt. Gabo schüttelt den Kopf.

Gabo: "Ich habe mal mit der Direktorin des Prado in Madrid gesprochen. Sie hat über Goya referiert: Dieses Bild entstand eines nachts, aber nicht in seinem Haus. Jenes Bild stammt aus Goyas Werkstatt, es wurde an einem bewölkten Morgen gemalt, wahrscheinlich nicht von Goya selbst. Verstehst du? Legenden verändern sich mit der Zeit, und damit fangen die Lügen an. Wir alle wissen, dass unser Hotel California nicht das aus dem Lied ist. Aber insgeheim möchten wir lieber das Gegenteil glauben. Deshalb ist diese Lüge zur Wahrheit geworden."

Kurz nach neun ist es leer geworden in der Bar. Im Lied fliegt der Reisende vor den Erlebnissen im Hotel California, vor dem Spiegelzimmer und den Stimmen auf dem Flur. "You can check out any time you want but you can never leave", gibt ihm der Nachtportier mit auf den Weg: Sie können hier zwar auschecken, aber niemals gehen. Wegen dieser Zeile sehen Rockkritiker in "Hotel California" einen bitteren Abgesang auf die 60er-Jahre.

Zuletzt macht sich auch das Paar in den T-Shirts mit der Aufschrift Hotel California auf den Weg. Das dieses Hotel nichts mit dem Song zu tun hat, ist ihnen neu.

Texaner: "Wir sind aus Dallas, und Don Henley lebt in Dallas, und wir haben seine Musik immer sehr gemocht, und er hat sich nie so klar geäußert. Egal, ob dies das Hotel aus dem Song ist oder nicht – es ist einfach klasse hier."

Vielleicht kommen sie damit der Wahrheit am nächsten. Mehr jedenfalls als Rockkritiker, die den Song als Horror-Trip oder als wehmütigen Abgesang auf die 60er-Jahre interpretieren. Don Felder, der Gitarrist der Eagles, drückt es in seiner Autobiografie so aus: "Das Hotel California" ist immer das, was man darin sehen möchte".