Auf der Spur des Tigers im Grenzgebiet

Von Isabella Kolar · 10.06.2009
Ich steige aus dem Bus und schnuppere erfreut: frische Seeluft, eine leichte Brise, nur dass der See noch nicht sichtbar ist. Backsteingepflasterte schmale Gehwege, niedrige rote Backsteinhäuschen reihen sich schnurgerade wie eine Perlenkette die Hauptstrasse - die auch so heißt - entlang. Kein Mensch weit und breit, eine Frau kommt aus einer Drogerie und grüßt mich unerwartet. Etwa 4500 Einwohner hat Zarrentin am Schaalsee.
Durch diesen See verlief einst die deutsch-deutsche Grenze zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig Holstein, Zarrentin liegt etwa 50 Kilometer östlich von Hamburg in einem von der UNESCO anerkannten Naturschutzgebiet, ein sogenanntes Biosphärenreservat. Und ich suche hier den Tiger. Genauer: das Tiger Gesundheitszentrum. Von der Hauptstraße links ab führt die Möllnsche Straße, Haus Nummer 3 und schon sitze ich an der Rezeption. Eine freundliche junge Dame mit blauem Kittel und weißer Hose greift hinter meinen Rücken und drückt auf einen Knopf. Ich schrecke hoch, irgendetwas krabbelt da an meiner Bandscheibe, ein elektrisches Massagekissen in Aktion. Ich schlürfe derart durchgeknetet vorsichtig meinen Kaffee und betrachte die kleinen Pakete mit bunten Bändern, die neben mir in der großen Glasvitrine liegen: Geschenkgutscheine für Kurse und Massagen. Die einzelnen Behandlungszimmer hier haben Tiernamen wie Fuchs, Ente, Maus und Blaubär, was daran liegt, dass die Chefin im Tiger Gesundheitszentrum einmal Tierärztin werden wollte. Das war in der DDR vor der Wiedervereinigung und dann kam alles anders. Tabea Hempfling holt mich ab, ich verlasse voller Bedauern mein Massagekissen. Zarrentin mit seiner unberührten Natur und seiner schönen Landschaft versucht jetzt vermehrt Touristen hierher zu locken, aber es läuft noch recht zäh. Davon weiß auch Tabea Hempfling beim Latte Macchiato in der Küche ein Lied zu singen: Sind es doch immer noch wesentlich mehr Kranke als Wellness-Kunden, die zu ihren Physiotherapeutinnen zur Behandlung kommen, mehr Patienten auf Krankenschein als Kunden-Selbstzahler.

Trotzdem werden wir unsere Sendung der Wellness in Zarrentin widmen: im ersten Stock eine Hot-Stone-Massage, eine wiederentdeckte asiatische Massage-Methode, der Oberkörper wird mit warmen Basaltsteinen und Öl massiert und im Erdgeschoß beobachten wir die Kandidaten im Wundergerät "Vacu-Walk-Med", wo man auf einem Laufband unter einer Kunststoffvorrichtung "im Unterdruck gezielt ein bis drei Kleidergrößen abnehmen" kann. Wie schade, dass ich gerade eine joggingbedingte Unterschenkelzerrung habe und das Teil nicht ausprobieren kann. Aber eine Fußreflexzonenmassage leiste ich mir am Abend nach getaner Arbeit dann doch noch. Sehr angenehm. Und die Masseurin Ines Luttermann, die auch in unserer Sendung bei der Hot-Stone-Massage auftreten wird, erkennt dann anhand meiner Füße auch gleich, dass ich ein Problem mit dem Rücken habe. Ich erkläre ihr, wie wir die Sendung geplant haben, wie wir vom ersten Stock ins Erdgeschoß zum "Vacu-Walk" laufen werden, was wir dabei besprechen sollten. Ja, sagt sie ruhig, und drückt noch heftiger in meine zarten Flossen. Ich verstumme. Entspannung ist angesagt, ich schließe die Augen. Und träume vom Tiger am Schaalsee und von der guten reinen Luft an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze.