Auf den Spuren von Jan Hus in Prag

War Jan Hus der erste kommunistische Führer?

dahinter die Teyn-Kirche
Jan-Hus-Denkmal auf dem Altstädter Ring in Prag, dahinter die Teyn-Kirche. © Imago / epd
Von Marie Wildermann · 05.07.2015
Jan Hus war ein populärer Prediger im Prag des 15. Jahrhunderts - seine Predigten in der Bethlehemskappelle in Prag waren beliebt. Hus predigt gegen die Missstände in der Kirche und mißbilligte die Unterdrückung der Armen - in Prag glauben viele, er sei ein Vorkämpfer des Sozialismus gewesen.
Kalinova: "Er war der dritte Prediger, also nicht der erste Prediger, aber der populärste."
Stadtführerin Gabriela Kalinova hält vor der Bethlehemskapelle, einem schlichten Gebäude in der Prager Altstadt.
"So, wir sind jetzt an der Wiege der europäischen Reformation."
Zehn Jahre lang hat Jan Hus hier gewirkt, von 1402 – 1412. Ein reicher Prager Kaufmann hatte die Kapelle erst einige Jahre zuvor bauen lassen, mitten in einem Arme-Leute-Viertel mit Prostituierten und Trinkern, die - so die damalige Überlegung - moralische Ermahnungen gut gebrauchen könnten.
"Und man sagt, dass bei diesen Predigten von Jan Hus 2.000 oder 3.000 bußfreudige Leute anwesend waren. Aber das waren nicht nur die Armen aus der Umgebung. Zum Beispiel die Gemahlin von Wenzel dem IV., sie war eine Wittelsbacherin, die Königin Sophia, pflegte auch regelmäßig zu diesen Predigten von Jan Hus zu kommen und sie wurde von einem Mann begleitet, Jan Zizka, der berühmte Hussitenführer, er war Höfling der Königin und kam mit ihr in die Bethlehemskapelle. Und so lernte er die Lehre von Magister Jan Hus kennen."
Die Bethlehemskapelle ist kein kleines Kirchlein, sondern ein großes Gebäude, aber es hat nichts Sakrales, keine Kreuze, nur die gotischen Fenster lassen eine Kirche vermuten. Doch das Gebäude ist nicht der Original-Bau aus dem 14./15. Jahrhundert. In der Zeit der Gegenreformation war die Bethlehemskapelle abgerissen worden, an ihrer Stelle stand lange ein Wohnhaus. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wurde das historische Erbe wiederentdeckt. Für den Wiederaufbau sorgte - ausgerechnet ein tschechischer Kommunist. Historisch getreu wurde die Bethlehemskapelle nach alten Kupferstichvorlagen wiedererrichtet – innen mit einigen Relikten aus der Zeit von Jan Hus
Der hohe Saal hat die Größe einer Turnhalle, zwei Säulen in der Mitte, durch die gotischen Fenster fällt gedämpftes Licht. Neben einer winzig wirkenden Kanzel zwei kleine Fenster auf der Treppenhaus-Seite.
"In dieser Wand sehen Sie die kleinen Fensterchen, Sie sehen den Zugang zur Predigtkanzel, da predigte der Magister Jan Hus wirklich. Durch diese Tür ist er gekommen, diese zwei kleinen Fensterchen, das ist auch noch original.
Da pflegte die Königin Sophia dem Prediger Jan Hus zuzuhören. Das Holz ist nicht original, aber diese Teile aus Stein, die sind original."
Öffentlicher Brunnen mitten in der Kirche
Weit außen, rechts von der Kanzeltür: ein riesiger Brunnen. Zwangsläufig denkt der Besucher an ein Taufbecken. Doch Gabriela Kalinova überrascht mit einer unerwarteten Information.
"Das war ein öffentlicher Brunnen. Und es gab eine extra Tür hier, einen extra Zugang, damit die Leute, die nur Wasser holen wollten und nicht der Predigt zuhören, sie nicht stören."
Überhaupt, sagt die Touristenführerin, müsse man sich die Versammlungen damals nicht besonders andächtig vorstellen. Während der gesamten Predigt habe reges Treiben geherrscht. Bewohner aus der Umgebung kamen mit Eimern, um aus dem acht Meter tiefen Brunnen Wasser zu schöpfen, und es war ein ständiges Kommen und Gehen unter den zwei- bis dreitausend Zuhörern. Die Predigten waren ein gesellschaftliches Ereignis.
"In der mittelalterlichen Kirche da stand man, da konnte man sich nicht setzen, mit Ausnahme der Königin Sophia, die hat einen Stuhl gekriegt. Aber sonst die Leute, die standen, dicht aneinander gedrückt."
Und hörten begeistert, was Jan Hus über das Evangelium zu sagen hatte und über den Ablasshandel und andere Missstände.
"Aber der Jan Hus predigt nicht nur gegen die Missstände in der Kirche, er hat auch die sozialen Seiten: Die Reichen unterdrücken die Armen."
Heute wird der große Saal als Veranstaltungsraum für offizielle Termine genutzt. Bilder und Wandschmuck gibt es kaum, nur zwei Inschriften und ein Wandgemälde. Das Bild zeigt Jan Hus auf dem Scheiterhaufen in Konstanz.
"Manche Hussiten waren ganz für das Bilderverbot, die haben zum Beispiel die Plastiken abgeschlagen, sie haben das vernichtet, und sie haben Bilder abgeschabt von den Wänden. Und manche waren wieder dafür – das war wie bei der deutschen Reformation, da war man sich am Anfang auch nicht ganz im Klaren, ob es Bilder geben soll oder nicht geben soll."
Jan Hus als Vorkämpfer des Sozialismus
Zurück im Treppenhaus. Jetzt geht es in den zweiten Stock, in die Privaträume von Jan Hus. Auch sie sind Rekonstruktionen. Zwei schlichte Zimmer, dicke Mauern, niedrige, kleine Fenster. Schlaf- und Arbeitsstube. Obwohl Jan Hus zugleich Rektor der Universität war, musste er in diesem Predigerhaus wohnen. Eine Büste in der Ecke zeigt ihn als stattlichen großen, gut aussehenden Mann. Doch Gabriela Kalinova glaubt, dass sein Äußeres idealisiert wurde. Als Südböhme, so vermutet sie, sei Hus wahrscheinlich eher klein und dicklich gewesen.
"Jede Epoche unserer Geschichte hat in ihnen, hat in den Hussiten etwas Anderes gesehen. Die Aufklärer haben im Magister Jan Hus Joseph II. gesehen, die Deutschen vom Anfang des 19. Jahrhunderts haben in Jan Hus den Vorgänger von Luther und einen Aufklärer gesehen."
Und die Kommunisten wiederum sahen in Jan Hus den Vorkämpfer des Sozialismus, der das Privateigentum abschaffen wollte und die tschechische Sprache reformierte.
So wurde es bis 1989 auch in den Schulen gelehrt. Der heute 44-jährige Unternehmer Marek Blaha erinnert sich.
Marek: "In der Schule haben wir gelernt, dass Jan Hus der erste kommunistische Führer war. Eine religiöse Bedeutung hat er für mich nicht."
Auch Daniela, eine junge Lehrerin aus Prag, verbindet mit Jan Hus keine religiöse Botschaft
Daniela: "Er ist für die Tschechen sehr wichtig, weil er sich für eine gute Sache geopfert hat. Für etwas, an das er glaubte. Ich denke, das ist etwas, was wir heute von ihm lernen können."
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