Auf dem Weg zum unverwechselbaren Stil

Der österreichische Roman- und Theaterautor Thomas Bernhard, aufgenommen im Juni 1976.
Der österreichische Roman- und Theaterautor Thomas Bernhard, aufgenommen im Juni 1976. © picture alliance / dpa
27.05.2013
Vor 50 Jahren erschien Thomas Bernhards Roman "Frost". Es war die erste große und dann auch viel beachtete Prosaveröffentlichung des Autors. Suhrkamp legt nun zwei Texte des österreichischen Autors vor, die unmittelbar zuvor entstanden und den literarischen Umbruch Bernhards anzeigen.
Das Erscheinen von Thomas Bernhards Romandebut "Frost" 1963 im Insel Verlag glich einem Paukenschlag. Nach Lyrikbänden, die kaum Beachtung fanden, gelang Bernhard mit seinem Romanerstling der Durchbruch. Die Geschichte über den Maler Strauch, der in einem "Wenig" genannten Ort Besuch von einem Famulanten erhält, scheint von einem Wahnsinnigen zu handeln. Sicher ist dies allerdings nicht. Vielmehr deutet das Handlungsgeschehen darauf hin, dass es die Welt ist, die dem Wahnsinn verfallen ist.

Aus Anlass des Erscheinens von "Frost" vor fünfzig Jahren legt der Suhrkamp Verlag nun zwei Textfragmente vor, die als Vorstufen des Romans gelten dürfen. Erstmals veröffentlicht werden "Leichtlebig", entstanden im Januar/Februar 1962, und "Argumente eines Winterspaziergängers", datiert vom Mai/Juni 1962. Beide Texte, die als Zeugnisse eines Umbruchs anzusehen sind, vermitteln einen Einblick in die Dichterwerkstatt des 1931 in Heerlen (Holland) geborenen Autors.

Bernhard, der sich einen Namen als "Geschichtenzerstörer" gemacht hat, der Geschichten abschoss, wenn sie sich am Horizont zeigten, hat mit "Leichtlebig" eine Geschichte geschrieben. Ein in einem Stellwerk arbeitender Arbeiter macht Urlaub in einem Gasthof, wo er mit einem namenlos bleibenden Doktor zusammentrifft. Der Text besitzt noch nicht den sprachlichen Furor, durch den sich "Frost" auszeichnet, aber in der Beschreibung eines Mittagstisches, der vom Doktor als "Vorgeschmack der Hölle" empfunden wird, lässt sich eine Stimmung ausmachen, die dann in "Frost" tonangebend wird.

Nur zwei Monate liegen zwischen dem "Leichtlebig"-Fragment und dem im Nachlass von Gerhard Fritsch gefundenen Text "Argumente eines Winterspaziergängers". Offensichtlich handelt es sich um ein Kondensat von "Frost", denn alle Äußerungen, so ist von den Herausgebern im Nachwort zu erfahren, finden sich in dem später veröffentlichten, mehr als dreihundert Seiten umfassenden Roman. Im "Argumente"-Text hat Bernhard seinen unverwechselbaren Stil gefunden, eine Mischung aus Verachtung und Anklage, die stets auf den herrschenden Stumpfsinn eingeht.

Im Roman "Frost" ist Strauchs schmerzender Kopf eines der zentralen Motive, der Kopf des Malers ist so schwer, "dass ihn ein Dutzend kräftiger Männer gar nicht hochheben können". Und in "Argumente eines Winterspaziergängers" sind es "zehn normale Menschen", die nicht in der Lage sind, "diesen Kopf aufzuheben".

Unverkennbar sind die Querverbindungen zwischen diesem frühen Text und "Frost". Aber eine motivische Linie ließe sich auch weiter bis zu der 1982 veröffentlichten Erzählung "Wittgensteins Neffe" ziehen. Von Paul Wittgenstein heißt es, er würde fortwährend sein Denkvermögen aus dem Fenster werfen, doch zugleich vergrößert sich sein Denkvermögen unaufhaltsam und er kommt mit dem Hinauswerfen nicht nach, sodass sein Kopf schließlich explodieren muss.

Was auch immer sich zwischen Februar und Mai 1962 in Bernhards Kopf ereignet hat, es war für sein Schreiben von fundamentaler Bedeutung. Ein Vergleich der beiden nun vorliegenden Texte macht dies unmissverständlich deutlich. Diese Neuerscheinung aus Bernhards Nachlass ist für das Verständnis des Prosaautors von enormer Bedeutung.
Besprochen von Michael Opitz

Thomas Bernhard, Argumente eines Winterspaziergängers, Zwei Fragmente zu 'Frost'
Herausgegeben von Raimund Fellinger und Martin Huber
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, 146 Seiten, 18,95 Euro.


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