Attentat auf Rudi Dutschke

1968 ist auch heute möglich

Studentenführer Rudi Dutsche steht während eines Vortrags in der Aula der Halenpaghenschule in Buxtehude am 06.03.1968 an einem Rednerpult und spricht
Rudi Dutschke 1968 in Buxtehude © dpa / Rolf Kruse
Hajo Funke im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 11.04.2018
Hajo Funke kannte Rudi Dutschke gut: Der war in der Erinnerung des Politologen ein warmherziger und klarer Mensch. Dass 1968 nur Geschichte ist, glaubt Funke nicht - er sieht genug Potenzial für eine neue gesellschaftliche Bewegung.
Hajo Funke, emeritierter Professor für Politikwissenschaft, hält eine neue 68er-Bewegung für möglich. "Die Potenziale sind da", sagte der Politologe im Deutschlandfunk Kultur. Wie beispielsweise die Shell-Jugendstudie zeige, gebe es eine "riesige" Mehrheit unter jungen Menschen, die für Menschenrechte und Frieden eintrete und die Klimakatastrophe verhindern wolle.
Passanten schauen auf die Schuhe von Rudi Dutschke, die noch am Tatort liegen. Dutschke wurde am 11. April 1968 vor der Geschäftsstelle des SDS am Kurfürstendamm niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt.
Der Tatort des Attentats: Die Schuhe von Rudi Dutschke liegen noch auf der Straße.© picture-alliance / dpa / Chris Hoffmann
Funke äußerte sich anlässlich des Attentats auf Rudi Dutschke, das sich heute zum 50. Mal jährt. Der Politikwissenschaftler war damals Student am politikwissenschaftlichen Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Er engagierte sich im Sozialistischen Deutschen Studentenbund, dem auch Dutschke angehörte, und kannte den Studentenführer gut.

"Kein Theorektiker des bewaffneten Aufstands"

Dutschke sei eine "klare, überzeugende und warmherzige Person" gewesen, sagte Funke. Dutschke habe zugespitzt, zugleich gelernt und sich korrigiert. "Er war kein Theorektiker des bewaffneten Aufstands", so Funke. Es sei Dutschke immer um die Sache gegangen.
Feuerwehrleute löschen die Wartungshalle für Kraftfahrzeuge des Springer-Verlages. Eine Welle von Protestdemonstrationen hat das Attentat auf den Berliner SDS-Ideologen Rudi Dutschke ausgelöst.
Das Attentat auf Dutschke löste eine Welle von Protesten aus. Besonders ins Visier geriet der Springer-Verlag. Das Foto stammt vom Tag des Attentats.© picture alliance / Konrad Giehr
Funke kann sich noch genau an das Attentat erinnern. "Die Schüsse auf Rudi Dutschke sind mir so im Kopf, als wäre es gestern passiert", sagte er.
Der Politologe Hajo Funke
Der Politologe Hajo Funke© dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Die Geschehnisse lassen Funke, wie er erzählt, auch 50 Jahre danach nicht los. Unter den Studenten verbreitete sich damals die Nachricht über den Angriff schnell. Wenige Stunden später trafen sich viele im Audimax der Technischen Universität. Von dort ging es dann vor das Springer-Hochhaus - um gegen die "Hetze" von "Bild" und "B.Z." zu demonstrieren. (ahe)

Hajo Funke hat über die Studentenbewegung ein Buch geschrieben:
Antiautoritär: 50 Jahre Studentenbewegung - die politisch-kulturellen Umbrüche
VSA Verlag, Hamburg 2017
96 Seiten, 8,00 Euro


Das Interview im Wortlaut:

Stephan Karkowsky: Das Jahr 1968 steht eigentlich für Aufbruch und Jugend. Aber so ist das mit der Zeit: Jetzt wird auch 1968 schon 50 Jahre alt. Heute vor genau 50 Jahren schoss ein junger Nazi auf dem Berliner Kudamm auf Rudi Dutschke und traf ihn mit drei Schüssen. Josef Bachmann rief "Du dreckiges Kommunistenschwein!" Er hatte im Zimmer ein Bild von Adolf Hitler hängen. Wir sprechen darüber mit Hajo Funke. Guten Morgen, Herr Funke!
Hajo Funke: Guten Morgen!
Karkowsky: Damals waren Sie noch nicht Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität. Sie studierten noch und engagierten sich wie Dutschke im Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Wie erinnern Sie sich denn an diesen 11. April 1968?
Funke: Ich wohnte in der Gelfertstraße, so ein Studentenwohnheim mit einzelnen Zimmern in der Nähe der evangelischen Studentengemeinde in Dahlem. Und ich erfuhr das ein, zwei Stunden später von einem Nachbarn, und – ja, absolut entsetzt. Die Wiederholung vom 2. Juni und viel schlimmer. Bittere Reaktion, und dann los, mit anderen, zu einer Studentenveranstaltung im Audimax der Technischen Universität.
Karkowsky: Nun war der 11. April '68 Gründonnerstag, es gab Karfreitag keine Zeitung, kein Internet, kein Twitter. Wie haben denn die Menschen da vom Attentat erfahren? Vor allen Dingen aus dem Radio?

Das Attentat machte sofort die Runde

Funke: Aus dem Radio, von den Nachbarn – es machte sofort die Runde, und man traf sich zu ein-, zweitausend in der TU, schon um 20 Uhr vielleicht, und haben dann kurz gesprochen, und dann zog man, und ich war ganz einverstanden, zum Springer-Hochhaus.
Karkowsky: Sie kannten Dutschke gut. Wir hören ihn noch einmal, denn so klang er in seinen Reden.
O-Ton Rudi Dutschke: Wir sollen uns nicht einbilden, dass gesellschaftliche Entwicklung zu einem Ende kommen könnte, sei es ein negatives oder positives Ende. Darum kann es keinen Abschluss der Revolution geben, muss es ununterbrochenen Kampf um neue Formen, bessere, glücklichere Formen des Miteinanderlebens und -arbeitenkönnens von Menschen geben.
Karkowsky: Sehr artikuliert. Heute ist Dutschke eine Legende, als hätten die gesamten Studentenproteste allein auf seinem Rücken gelastet. Wie charismatisch war er denn wirklich und wie wichtig für die Bewegung?
Funke: Es war eine eigentlich sehr spannende Mischung. Er war absolut zugänglich. Man konnte mit ihm reden, er war interessiert, er kannte sich aus, was wir dann getrieben haben am Otto-Suhr-Institut an Konfliktverschärfung, gegen die Ordinarien, für Mitbestimmung.
Und zugleich hat er die Dinge auch radikalisiert, indem er sagte, wir haben in Sachen Vietnam einen verbrecherischen Krieg vor uns, und wir müssen ihn stoppen, so gut und so schlecht wir es können. Und das war der Hintergrund für den internationalen Vietnam-Kongress, der kurz zuvor stattgefunden hat. Und da ging es ihm sogar und uns damit auch darum, GIs davon abzuhalten, weiter in Vietnam tätig zu sein, also eine Desertionskampagne. Das heißt, es ging um sehr viel. Und vielleicht ein Moment zur Erinnerung: Das war die Zeit, in der My Lai stattfand …
Karkowsky: Das Massaker.

Verbrecherisches Massaker an 504 Zivilisten

Funke: … das Massaker stattfand an 504 Zivilisten. Absolut verbrecherisch. Ein genozidales Massaker. Das wurde erst anderthalb Jahre später richtig bekannt in Amerika und hat dann tatsächlich die Wende in der Meinungsbildung in der amerikanischen Öffentlichkeit hergestellt.
Ende '67 ist McNamara, der wesentlich Verantwortliche für den Krieg, zurückgetreten: Ich kann es nicht mehr ertragen. Es ist politisch und moralisch verwerflich. Ich habe ihn selbst später in Berkeley erlebt.
Das heißt, es war eine Umschwungsituation auch in der Frage des Vietnam-Kriegs, und zugleich hat die Berliner Regierung und die Presse gesagt, ihr seid Feinde, ihr habt nichts zu sagen. Ihr dürft kein kritisches Wort zu den Vereinigten Staaten sagen. Das war die Konstellation, absolute Zuspitzung.
Karkowsky: Es ging also um politische Inhalte. Aber natürlich wird Geschichte im Rückblick Geschichte auch immer personalisiert. Rudi Dutschke ist dann erst mal ausgefallen für die Bewegung. Er kämpfte im Krankenhaus um sein Leben mit den drei Schüssen. Er hat das Attentat überlebt, aber was bedeutete das, dass diese Figur auf einmal nicht mehr dabei sein konnte in der außerparlamentarischen Opposition?
Funke: Er wurde dadurch, dass er so nach vorn geschoben wurde, auch durch die Medien, zu der Ikone, richtig. Und es gab eine Personalisierung auf ihn, die er selbst kritisiert hat. Und das Interessante ist und das Tragische, dass er aussteigen wollte, dass er die Dinge unterbrechen wollte.
Es kann nicht sein, dass das alles auf meinen Schultern lastet. Er wollte vermutlich in die Vereinigten Staaten – das ist nicht bekannt. Und insofern ist es tragisch, dass er diese Chance nicht mehr gehabt hat, sondern politisch ausgefallen ist seither de facto durch diesen Mordanschlag durch Josef Bachmann.
Karkowsky: Sie sind dann nach dem Attentat mit vielen anderen Studenten zum Springer-Hochhaus nach Berlin gezogen, also vor den Springer-Verlag. Auch aus dem Abstand der Zeit, den Sie heute haben, wie wichtig war die Rolle der Springer-Zeitungen, vor allem "Bild" und "BZ" in Berlin?

"Hetze" von "Bild" und "B.Z."

Funke: Seit dem 2. Juni war klar – wie auch seitens der Politik – dass wir zu Feinden erklärt wurden, obwohl in meinem Fall – ich war ein sehr junger Student – das meine allererste Demonstration war. Und mir wurde im Grunde das Recht zu demonstrieren verboten durch die Politik, durch die Öffentlichkeit und vor allem durch die Hetze, man muss es so sagen, von "BZ" und "Bild".
Karkowsky: Waren denn die Jugendrevolten '68 auch aus der Rückschau heute für Sie ein singuläres Ereignis, oder glauben Sie, auch die Generation Facebook wäre dazu fähig, wenn man ihnen etwas gäbe, wogegen es sich zu protestieren lohnte?
Funke: Das glaube ich sehr. Wie gesagt, wir haben eine völlig neue Situation. Das ist 50 Jahre her. Damals, 1968, war das Ende des Ersten Weltkriegs 50 Jahre her.
Deswegen, die Potenziale, denke ich, sind da, übrigens auch in der Jugend. Wenn man die jüngste Shell-Studie nimmt zu jugendlichen Interessen: Riesige Mehrheiten wollen für Menschenrechte eintreten, für Frieden und vor allem gegen die Klimakatastrophe.
Und natürlich ist es denkbar, und wir haben ja Ansätze dazu auch, wie Greenpeace, wie die Campact-Bewegung und anderes. Allerdings braucht es sehr viel kluge Vermittlung, solch einen Prozess einerseits zuzuspitzen und andererseits wieder zu moderieren.

Dutschke ging es immer um die Sache

Und übrigens, das gehört zu Rudi Dutschke auch. Er hat zugespitzt und zugleich gelernt und sich korrigiert. Er war kein Theoretiker des bewaffneten Aufstands. Im Gegenteil, später hat er sogar für die Grünen sich eingesetzt und für eine freiheitlich-sozialistische Gruppe, das Sozialistische Büro.
Das zeigt, dass es ihm um die Sache ging, aus tiefer Überzeugung. Eine sehr klare, überzeugende, persönlich warmherzige Person.
Karkowsky: Sie haben es selbst gesagt, Sie waren damals ein noch sehr junger Student. Heute sind Sie bereits emeritiert. Können Sie glauben, dass '68 schon 50 Jahre her ist?
Funke: Die Schüsse auf Rudi Dutschke sind mir so im Kopf, als wäre es gestern passiert. Zugleich ist es 50 Jahre her. Aber es lässt einen nicht wirklich los. Es war ein politisch sehr erfolgreicher Schuss. Er war tragisch. Er hat im Grunde das Ende von Rudi Dutschke eingeleitet.
Karkowsky: Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke. Ihnen herzlichen Dank! Danke für das Gespräch, schön, dass Sie Ihre Erinnerungen mit uns geteilt haben, und noch einen schönen Tag.
Funke: Gern, Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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