Atombombe als politisches Druckmittel

Michael Brzoska im Gespräch mit Gabi Wuttke · 26.05.2009
Nach Einschätzung des wissenschaftlichen Direktors des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Michael Brzoska, verfolgt Nordkorea mit seinem Atomprogramm in erster Linie politische und wirtschaftliche Ziele. Es gehe dem Regime vor allem darum, als Machtfaktor anerkannt zu werden und mit den westlichen Staaten ins Gespräch zu kommen, sagte Brzoska.
Gabi Wuttke: Der zweite Atombombentest von Nordkorea ist vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einhellig verurteilt worden – eine seltene Einmütigkeit. Gleichzeitig wurde gemeldet, Diktator Kim Jong Il wolle vielleicht schon morgen weitere Kurzstreckenraketen testen. Professor Michael Brzoska ist jetzt am Telefon, er ist der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Gemeinsam mit vier weiteren Forschungsinstituten hat er am Friedensgutachten gearbeitet, das seit über 20 Jahren herausgegeben und dessen neueste Fassung heute vorgestellt wird. Guten Morgen, Herr Brzoska!

Michael Brzoska: Guten Morgen!

Wuttke: Im Friedensgutachten 2009 steht: "Die Betonung militärischer Machtmittel überspielt häufig nur die politische Konzeptionslosigkeit". Trifft das auch auf Nordkorea zu?

Brzoska: Ich denke mal, bei Nordkorea liegt die Sache etwas komplizierter, denn ich denke mal, in Nordkorea geht es den Herrschenden nicht darum, jetzt wirklich militärische Machtmittel für militärische Ziele auszuspielen, sondern man will damit vor allen Dingen politische Ziele erreichen. Nordkorea benutzt die Atombombe, um vor allen Dingen mit den westlichen Staaten ins Gespräch zu kommen, dort akzeptiert zu werden als gleichberechtigter Partner und letztlich aber auch dann wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, das heißt, mehr Hilfe zu bekommen. Nordkorea ist ein besonders komplizierter Fall, deswegen ist es auch so besonders schwer, mit Nordkorea vernünftig umzugehen.

Wuttke: Ja, US-Präsident Obama hat ja auch gewütet – eine erste Reaktion auf diesen unterirdischen Atombombentest. Die Bombe soll eine Kraft gehabt haben wie die amerikanischen Bomben auf Hiroshima und Nagasaki. Gleichzeitig hat er betont, er wolle die diplomatischen Bemühungen, mit Nordkorea ins Gespräch zu kommen, verdoppeln. Aber liest man heute Kommentare, dann heißt es ganz oft: Viel wichtiger als mit Nordkorea ins Gespräch zu kommen, sei es mit China. Was meinen Sie?

Brzoska: Ich denke, dass es richtig ist, dass Nordkorea selber das Hauptproblem ist, vor allen Dingen die Führung natürlich, denn die nordkoreanische Führung hat ja schon in der Vergangenheit gezeigt, dass sie bereit ist, sogar die eigene Bevölkerung verhungern zu lassen, um ihr politisches Programm – einschließlich auch dieses Nuklearprogramms – weiterführen zu können. Deswegen ist es für die Chinesen nicht so einfach, dass sie nur etwa die Beziehungen zu Nordkorea kappen müssten, die Wirtschaftsbeziehungen einschränken, die politischen Beziehungen verändern, um zu erreichen, dass die Führung Nordkoreas von ihrem Tun ablässt. Natürlich: Die Chinesen haben Druckmöglichkeiten, aber die nordkoreanische Führung tickt anders als man es vielleicht erwarten dürfte. Ich glaube nicht, dass die nordkoreanische Regierung – und das zeigt ja auch die Vergangenheit – sich von den Chinesen etwas vorschreiben lässt. Auch die Chinesen müssen den Nordkoreanern etwas anbieten und auch die Chinesen wissen ja inzwischen, dass sie mit Nordkorea nicht so umgehen können wie mit einem Verbündeten, deswegen haben sie auch im Sicherheitsrat jetzt der Verurteilung Nordkoreas zugestimmt. Auch gegenüber China spielt Nordkorea dieses Spiel, das die Führung gegenüber dem Westen spielt.

Wuttke: Wie tickt denn Nordkorea?

Brzoska: Es ist sehr schwer zu durchschauen und vielleicht ist es auch nicht mit den üblichen Kategorien von Rationalität zu fassen. Die Führung will offensichtlich anerkannt werden als eine Weltmacht, man will als Staat anerkannt werden, der in der Region führend ist, man will vor allen Dingen gegenüber Südkorea nicht als ein Staat angesehen werden, der keine große Zukunft hat, und man will aber gleichzeitig auch Wirtschaftsbeziehungen haben, die für Nordkorea vorteilhaft sind bis hin zu Wirtschaftshilfe. Aber es sind noch andere Dinge, die offensichtlich eine große Rolle spielen, vor allen Dingen im Moment die Nachfolge von Kim Il Sung, der ja sehr krank ist, es ist auch ein Machtspiel zwischen Militärs, der politischen Führung und der Familie Kim. Das sind sehr schwer zu durchschauende, möglicherweise auch gar nicht mehr rationale Prozesse, die da in Nordkorea ablaufen.

Wuttke: In einem Kommentar habe ich heute gelesen, es hätte durch diesen zweiten Atombombentest in Nordkorea eine nukleare Anarchie begonnen. Teilen Sie diese Meinung?

Brzoska: Jetzt in Bezug auf Nordkorea glaube ich das nicht. Ich denke schon, dass die Führung und auch das Militär weiterhin die Kontrolle über das Land haben. Aber es ist natürlich schon so, dass für das Land und für die Menschen dort möglicherweise die Situation schlechter wird, schlimmer wird, und sie nicht mehr jetzt sich darauf verlassen können, wie die Regierung in Nordkorea, ihre eigene Regierung, sich verhält.

Wuttke: Im Friedensgutachten 2008 hieß es noch, die deutsche Regierung solle die künftige amerikanische Regierung zu nuklearer Rüstungskontrolle drängen, Barack Obama ist die neue amerikanische Regierung und er hat eine große Vision. Wie sollte Ihrer Meinung nach Deutschland – auch vor dem Hintergrund dessen, was jetzt in den letzten Tagen in Nordkorea passiert ist – dieses Vorhaben praktisch flankieren?

Brzoska: Deutschland hat ja selber keine Atomwaffen, aber es gibt auf deutschem Boden immer noch amerikanische Atomwaffen und ich denke, es wäre für die Bundesregierung ein richtiges Signal, im Einvernehmen mit den Amerikanern den Abzug dieser Atomwaffen aus Deutschland zu fordern und entsprechend dann auch umzusetzen. Gleichzeitig kann Deutschland auch dabei helfen, dass die Vision von Obama einer atomwaffenfreien Welt wirklich umsetzbar wird, das betrifft zum Beispiel die Frage, wie man denn jetzt für die zivile Nutzung der Atomenergie das Material, was ja auch für die militärische Nutzung da ist – nämlich angereichertes Uran und Plutonium –, wie man dieses zivile Material am besten schützen kann. Da hat die Bundesregierung in der Vergangenheit schon einige Vorschläge gemacht, aber sich nicht wirklich dann so eingesetzt, wie man sich hätte einsetzen können. Hier könnte die Bundesregierung mehr tun, und schließlich auch in Europa, wo ja auch andere Staaten – Frankreich und Großbritannien – Atomwaffen haben, eine einheitlichere Politik durchsetzen, die vor allen Dingen auch eben den amerikanischen Präsidenten unterstützt.

Wuttke: Noch eine kurze letzte Frage: Deutschland ist Rüstungsexporteur Nummer drei in der Welt und in den letzten Jahren sind die Militärausgaben weltweit immens gestiegen. Ist hier der Krise auch etwas Gutes abzugewinnen? Werden die Militärausgaben sinken?

Brzoska: Ich bin mit Prognosen vorsichtig, auch angesichts der aktuellen Entwicklung, aber der Druck der Finanzminister auf die Verteidigungsminister, weniger Geld auszugeben, wird deutlich wachsen und wir werden es, glaube ich, zuerst in den Vereinigten Staaten sehen, wo die Verschuldung des Staates ja enorm gewachsen ist, dass zumindest die Diskussion über die Höhe der Militärausgaben deutlich intensiver und härter geführt werden wird.

Wuttke: Vielen Dank, Einschätzungen von Professor Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Heute legt es zusammen mit vier weiteren Instituten das Friedensgutachten 2009 vor. Herr Brzoska, vielen Dank und schönen Tag!

Brzoska: Auf Wiederhören!