Asylpolitik

Unerwünscht? Flüchtlinge in Hamburg und Köln

Unterstützer der "Lampedusa-Flüchtlinge" demonstrieren in Hamburg auf einer Kundgebung vor dem Rathaus.
Unterstützer der "Lampedusa-Flüchtlinge" demonstrieren in Hamburg auf einer Kundgebung vor dem Rathaus. © dpa picture alliance/ Axel Heimken
Von Axel Schröder und Thorsten Poppe · 08.07.2014
Die Hansestadt Hamburg präsentiert sich gern weltoffen. Doch bei der Flüchtlingspolitik ist es mit der Weltoffenheit des Stadtstaates vorbei. Köln dagegen geht neue Wege mit einem Mentorenprogramm für Neuankömmlinge.
HAMBURG
Dr. Moon Keong Choo ist aufgeregt. Im hellen Anzug, mit Fliege sitzt er in der ersten Reihe im prächtigsten Saal des Hamburger Rathauses. Die Stühle sind mit festem dunkelgrünem Leder bespannt, eingeprägt auf der Lehne das Hamburger Stadtwappen.
"Mir geht es gut! Aber ein bisschen Lampenfieber habe ich auch! Nachher kriege ich die Urkunde von dem Ersten Bürgermeister!"
Zusammen mit 15 anderen Menschen wird Dr. Choo dann nach vorn gehen. Drei Stufen hoch aufs Podium, um von Bürgermeister Olaf Scholz seine Einbürgerungsurkunde überreicht zu bekommen.
Die Gespräche verstummen, die Feier beginnt. Auf dem Podium steht aufgereiht ein Hamburger Kinderchor:
Scholz: "Sehr geehrter Herr Erster Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg begrüße ich sie sehr herzlich zu unserer dritten Einbürgerungsfeier in diesem Jahr und zur zwanzigsten insgesamt! Besonders heiße die vielen jungen und ganz jungen Hamburgerinnen und Hamburger hier im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses willkommen!"
Seit 2011 bekommen, nach und nach, die knapp 140.000 Hamburgerinnen und Hamburger ohne deutschen Pass, aber mit der Chance auf Einbürgerung, Post vom Bürgermeister. Eine Einladung zur Einbürgerung. Seit acht Jahren müssen sie sich - legal - in Deutschland aufhalten.
Ausreichende Deutschkenntnisse sind nötig und ein Beruf, der ein Leben ohne staatliche Unterstützung möglich macht. Ausnahmen von dieser Regel gibt es allerdings auch. Rund 7.000 Menschen wurden allein im letzten Jahr eingebürgert.
Flüchtlinge in Hamburg fordern ein Bleiberecht
Flüchtlinge in Hamburg fordern ein Bleiberecht© Axel Schröder
Die Lampedusa-Flüchtlinge fordern eine Arbeitserlaubnis
Auf solche Feierlichkeiten müssen die Flüchtlinge der Hamburger "Lampedusa-Gruppe" noch lange warten. Ihnen geht es erst einmal darum, in Hamburg bleiben. Darum, endlich arbeiten zu dürfen.
In einer kleinen Kneipe auf St. Pauli findet die Pressekonferenz der Lampedusa-Gruppe statt. Auf einem flachen Podest stehen aneinandergeschobene, abgewetzte Holztische. Daran sitzt - zusammen mit seinen Unterstützerinnen und Unterstützern Asuquo Udo, Sprecher der Lampedusa-Gruppe und stellt ihre neue Arbeitsgruppe vor: "Professions!" heißt sie und appelliert an den Hamburger Senat, ihre Fähigkeiten, ihre Berufserfahrung zu erkennen. Die Männer der Gruppe fordern eine Arbeitserlaubnis, sagt Asuquo Udo in das halbe Dutzend Mikrofone auf dem Tisch:
"Wir sind fähige Leute. Haben Talente in unterschiedlichen Bereichen. Ich persönlich war Lokaljournalist. Und hier in der Gruppe übernehme ich die Medienarbeit. Und ich kümmere mich um den politischen Kampf der Gruppe. Sie wissen ja alle, warum wir hier gelandet sind."
Gelandet ist die Gruppe im Winter 2012 in Hamburg. 200, 300 Männer - genaue Zahlen gibt es nicht - sind es, viele stammen aus Ghana und Nigeria. In Libyen hatten sie sich ein neues Leben aufgebaut, Arbeit gefunden. Als der Libyen-Krieg ausbricht, fliehen sie übers Mittelmeer nach Lampedusa. Landen in den überfüllten Lagern Italiens.
Als anerkannte Kriegsflüchtlinge schicken die Behörden sie weiter: Jeder bekommt 500 Euro und soll das Land verlassen. Ihr Ziel ist die Freie und Hansestadt Hamburg. Seit einem Jahr bereitet die Gruppe dem SPD-geführten Senat von Bürgermeister Olaf Scholz Kopfzerbrechen. Denn die Gruppe will bleiben, will arbeiten, fordert den Senat zu Verhandlungen auf:
Asuquo Udo: "Sie sollen zu uns kommen. Direkt. Sie sollen mit uns reden, mit uns diskutieren! Politisch! Wir wollen nicht abhängig sein von der Regierung. Die sagt: 'OK, wir geben Euch eine Unterkunft zum Schlafen. Zu essen und zu trinken.' Nein! Wir wollen unsere in Libyen zerbrochenen Leben wieder neu aufbauen. Das verlangen wir von der Regierung. Wir wollen kein Taschengeld. Das wollen wir nicht. - Arbeiten wollen wir!"
Direkte Gespräche mit dem Bürgermeister. Das fordert Asuquo Udo nun schon seit einem guten Jahr. Im Mai 2013, in Hamburg wurde gerade der Kirchentag gefeiert, trat die Gruppe der Lampedusa-Flüchtlinge in die Öffentlichkeit. Nach dem Ende des städtischen Winternotprogramms schliefen die Männer unter Brücken, in Obdachlosenunterkünften, Wohnungseingängen.
Senat lehnt Gruppen-Bleiberecht aus humanitären Gründen ab
Auf Druck der Evangelischen Nordkirche wurde der Hamburger Senat aktiv. Die Stadt bot den Männern ein altes Schulgebäude als Unterkunft an. Von dort aus könnten ihre Rückführungen organisiert werden. Die Senatsmeinung über die Forderungen der Gruppe war im letzten Sommer klar: Die Männer müssen zurück nach Italien, die Dublin II-Regelungen der EU ließen keinen Spielraum, die Männer müssten sich bei der Ausländerbehörde melden.
Vier Kinder, 2 größere Mädchen und 2 kleinere Jungs, gehen Hand in Hand auf einem Weg im Flüchtlingslager, im Hintergrund sind Zelte zu sehen
Kinder im Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien - so eine Situation wollen die Flüchtlinge hierzulande hinter sich lassen.© KHALIL MAZRAAWI / AFP
Ein Bleiberecht aus humanitären Gründen für die ganze Gruppe lehnt der Senat bis heute ab. Auch wenn der einschlägige Paragraf 23 des Ausländergesetzes genau diese Gruppenanerkennung möglich machen könnte. Nach Paragraf 23 Ausländergesetz könnte die ganze Gruppe ein Bleibrecht aus humanitären Gründen bekommen. Der Hamburger Senat könnte das verfügen, Bundesinnenminister Thomas de Maiziere müsste zustimmen. Einen offiziellen Antrag hat der Senat aber erst gar nicht gestellt. Der Bundesinnenminister würde, so Frank Reschreiter, Sprecher der Hamburger Innenbehörde, eine Gruppenlösung sowieso ablehnen:
"Das gibt es nicht, dieses Einvernehmen. Das ist nicht zu erzielen. Auf der anderen Seite gibt es hier auch keine Gruppe, die man als solche definieren kann. Man sieht hier, dass es keine homogene Gruppe ist. Es gibt hier ganz unterschiedliche Geschichten, auch Fluchtgeschichten. Und insofern ist der Ansatz aus Sicht der Innenbehörde und aus Sicht des Senats der einzig richtige: hier immer die Einzelfallprüfung anzustreben."
Und bei diesen Einzelfallprüfungen, erklärt Frank Reschreiter, gelten bei den Lampedusa-Flüchtlingen besondere Regeln, denen der Senat nach harten Verhandlungen mit Vertretern der Nordkirche zugestimmt hat. Wer nachweisen konnte, zur Gruppe zu gehören, wer den gleichen Fluchtweg hatte und im gleichen Zeitraum eingereist ist, wird für die nächsten Jahre in Hamburg bleiben dürfen, so Behördensprecher Frank Reschreiter:
"Es ist ein Weg, der den Betroffenen einen Aufenthaltsstatus zusichert. Und zwar für die Gänze des Verfahrens. Und tatsächlich auch ein Verfahren hier in Hamburg zusichert. Was nicht unbedingt sonst garantiert gewesen wäre. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland auch die Möglichkeit, Flüchtlinge unter den Bundesländern zu verteilen. Insofern ist das maximal rechtlich Mögliche ausgeschöpft worden, was hier auch für die Beteiligten getan werden konnte."
Insa Grafe, Rechtsanwältin bei "Fluchtpunkt", einem Hilfsprojekt der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche, begrüßt diesen Schritt des Senats. Auch wenn er nur auf Druck der Kirche und etlicher Demonstrationen der Lampedusa-Gruppe und ihrer Unterstützer zustande kam. Auch wenn nur die Flüchtlinge mit diesem Prüfungsprozedere rechnen können, die sich bis zum 30. Juni 2014 bei der Hamburger Ausländerbehörde gemeldet haben:
"Ich will das gar nicht kleinreden. Denn man muss sehen: Diese Menschen haben dann gar kein Verfahren in Deutschland. Wer aus Italien kommt und dort etwas erhalten hat, wird einfach nach Italien zurückgeschickt. Das heißt: Da wird gar nichts geprüft normalerweise. Insofern ist es etwas. Ich finde, dieses Verfahren ist nicht Nichts. Weil es auch diese Möglichkeit bietet, aus dieser völlig existenziell bedrohenden Situation - jeden Tag nicht zu wissen, wo man schläft, was man isst - einfach einen Ausweg bietet und ich habe den Eindruck, dass viele, die das gemacht haben, einfach es schaffen, ganz bisschen Fuß zu fassen nach all dem, was sie erlebt haben."
Hamburger Senat verweist auf Schulbesuch von Kindern und Gesundheitsangebote
Siebzig Männer der Lampedusa-Gruppe erfüllen diese Kriterien. Sie haben von der Ausländerbehörde eine Duldung bekommen, dürfen - bis zu einer abschließenden Entscheidung - in Hamburg bleiben. Kein Verständnis hat die Anwältin für die Weigerung des Senats, sich auf ein Gruppen-Bleiberecht nach Paragraph 23 einzulassen. Einen entsprechenden Vorstoß beim Bundesinnenminister zu machen:
"Dieser Wille, dort anzufragen, hat nie bestanden. Uns würde in jedem Gespräch, in jeder Verhandlung gesagt, dass die Hamburger Seite nicht sieht, warum sie für diese Gruppe eine Ausnahme machen sollte. Das erstaunt eben sehr vor dem Hintergrund, dass für ähnliche Gruppen und vielleicht für Gruppen dieser Weg immer wieder gegangen wurde bundesweit. Das finde ich manchmal etwas schwierig an der Diskussion. Wer nicht fragt, kriegt ja auch keine Antwort."
Aber der Hamburger Senat bleibt bei seinem Kurs. Trotz der monatlichen Lampedusa-Demonstrationen, die regelmäßig die Innenstadt lahmlegen, trotz der Unterstützung durch zahlreiche Kulturschaffende, Gewerkschafter, Politiker und Intellektuelle der Stadt. Sie kritisieren die harte Haltung des Senats.
Hamburgs Innensenator Michael Neumann stellte sich quer, als kurz vor dem Wintereinbruch die Kirchen Container für die Lampedusa-Flüchtlinge vor den Gotteshäusern aufstellen wollten. Der Senator schickte - mit Rückendeckung des Bürgermeisters - die Hamburger Polizei auf die Straßen, um dunkelhäutige Männer zu kontrollieren, mitzunehmen, der Ausländerbehörde vorzustellen. Mitte Juni veröffentlichten die Unterstützer der Flüchtlingsgruppe ihr "Manifest: für Lampedusa in Hamburg - Hier eine Zukunft!":
"Was uns eint, ist die Überzeugung, dass diese Menschen eine Zukunft haben müssen - und zwar hier, in dieser Stadt. Wir meinen, dass sie alle Gründe haben, sich gegen die EU-Flüchtlingspolitik zu stellen, die der Senat an ihnen zu exekutieren versucht. Wir sind froh, dass sie den Mut und die Ausdauer haben, sich dagegen zu stellen."
Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele bleibt angesichts der Kritik gelassen. Den Vorwurf, einen allzu harten Kurs in der Flüchtlingspolitik zu fahren, kann er nicht nachvollziehen:
"Wer so etwas sagt, hat keine Ahnung. Beschäftigt sich nicht damit, sondern guckt auf einen millimetergroßen Ausschnitt und sieht nicht das große Ganze! Wir haben hier nicht 70 Flüchtlinge! Wir haben gut 11.000. Die Kinder gehen sofort zur Schule, wir haben Kindertagesangebote für Illegale, haben Gesundheitsangebote für Illegale.
Wir kümmern uns um die Ausbildung, wir kümmern uns um die Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts: Wer eine Schule abschließt, soll hierbleiben können. Wer einen Ausbildungsabschluss macht, soll hierblieben können. Wir wollen qualifizieren und die Flüchtlinge schneller in Arbeit bringen. Damit es in den Unterkünften schöner wird. Aber es gibt den einen oder anderen, der nur eine ganz kleine Gruppe sieht, die davon übrigens sofort partizipieren könnte, wenn sie Namen und Fluchtgeschichte preisgibt."
7.000 Flüchtlinge lebten 2013 in den Hamburger Unterkünften. In diesem Jahr rechnet Detlef Scheele mit rund 11.000 Menschen, die Schutz in der Hansestadt suchen. Weil immer noch 1.600 Plätze für die Neuankömmlinge fehlen, denkt der Senat darüber nach, Wohnschiffe auf der Elbe einzusetzen. Die Bedenken der Bevölkerung werden auf Informationsveranstaltungen in den Bezirken diskutiert.
Scheele: "Erstmal muss man sagen: Hamburg ist eine weltoffene Stadt. Die Bürgerinnen und Bürger engagieren sich sehr für Flüchtlinge. Übrigens für alle Flüchtlinge gleichermaßen. Fast an jedem Standort haben wir eine Initiative aus Kirche oder Parteien, die sich darum kümmern, für die Kinder etwas zu tun, die Spielzeug spenden und so weiter.
Wir rechnen zurzeit pro eingerichteten Platz im Durchschnitt mit 20.000 Euro Investitionskosten. Wir geben in diesem Jahr 298 Millionen Euro für die Unterbringung und die Fortbildung und die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen aus. Das ist mehr, als die gesamte Kulturbehörde an Etat pro Jahr hat."
Nur eine Beschwerde über neue Unterkunft und die klingt übertrieben
Die Flüchtlingsunterkunft "Rahlstedter Straße 8" ist vor zwei Wochen eröffnet worden. In den fünf Häusern - aufgebaut aus Containermodulen, mit flachen Giebeldächern aus Blech - leben Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Mazedonien, der Türkei und Serbien. Die Leiterin der Unterkunft Oehmichen steht im Innenhof unter den hohen Birken:
"Die Menschen leben in fünf sonnenblumengelben Häusern. Die Kinder spielen, fahren Fahrrad, schaukeln. Der Spielplatz ist bereits fertig. Und wir haben jetzt insgesamt 17 Familien, große Familien, sechs bis acht Personen untergebracht. In jedem Haus wohnen vier Familien ..."
... und teilen sich eine Waschküche. Gleich neben Maren Oehmichens Büro. Zusammen mit seinen Eltern, Brüdern und Schwestern lebt der 18-jährige Mohab Dschallabi in der Rahlstedter Straße 8. Im weißen Trainingsanzug sitzt er auf einer der Bänke im Innenhof, schaut rüber zum kleinen Spielplatz auf dem erdigen, noch kahlen Boden. Die hellen Rasensamen müssen erst noch keimen. Mohab Dschallabi erzählt von seinem Leben in Damaskus:
"Du siehst die Bomben. Die Hubschrauber. Du siehst die Menschen in den Straßen. Die Kalaschnikows. Das alles. Terroristen. Und die Armee, die gegen dich kämpft. Aber egal, was passiert ist: Es kann nur besser werden. Hier fühlen wir uns sicher. Schauen sie sich die Menschen hier an. Viel besser ist es hier und es fühlt sich gut an!"
Über den Libanon ist er geflüchtet, weiter nach Ägypten, über Saudi-Arabien nach Ungarn. Von dort kam er mit seiner Familie nach Deutschland. Nach Hamburg:
"Ich will hier meinen Abitur zu Ende machen. Deutsch lernen. Und dann will ich Pilot werden. Ich hoffe, dass ich das schaffe und ein besseres Leben leben kann. Zusammen mit meiner Familie."
Bisher, so Maren Oehmichen, funktioniert das Zusammenleben von Flüchtlingen und den Menschen in der Nachbarschaft gut. Es gibt regelmäßige Treffen, auf denen sie sich mit den Nachbarn, mit Bezirkspolitikern und der Polizei austauscht:
"Inzwischen habe ich nur von einer Beschwerde gehört. Die Dame sagte, dass unsere Kinder wohl zu laut seien. Noch nach 22 Uhr. Und dass die Moslems zu laut beten würden. Das fand ich dann schon etwas übertrieben. Ich kann jetzt nicht sagen, wie laut es tatsächlich für die Nachbarn ist. Das einzige, was dann möglich ist, ist mein Hinwirken, den Familien, die hier leben auch zu sagen, dass die Nachbarn auch arbeiten müssen und dass sie etwas Rücksicht nehmen sollten."
Heftigen Streit über die Senatspläne für eine neue Unterkunft gab es vor sechs Wochen im feinen Stadtteil Harvestehude. Dort sollen im Sommer 2015 Flüchtlinge in ein ehemaliges Bürogebäude der Bundeswehr, in die Sophienterassen einziehen. Weißgetünchte Villen säumen die Straße, davor parken Porsche- und Mercedesfahrer ihre Wagen.
Wo sollen die denn einkaufen?, fragte ein aufgebrachter Harvesterhuder auf der ersten Informationsveranstaltung. Doch nicht in den Feinkostläden, im hochpreisigen Supermarkt, der stets gekühlten Champagner und Delikatessen bereithält ... Die schrillen Töne spiegeln aber nicht die Stimmung im Viertel wider, erzählt die Rechtsanwältin Hendrijke Blandow-Schlegel. Sie hat die "Flüchtlingshilfe Harvestehude" gegründet. Steht auf den breiten Eingangsstufen der zukünftigen Flüchtlingsunterkunft. Die blonden Haare zum Pferdeschwanz gebunden, weiße Bluse, abgeschnittene weiße Hose:
"Wir sind jetzt 61 Mitglieder und 80 Unterstützerinnen und Unterstützer. Wir haben ausdrücklich gesagt, dass wir das so niederschwellig wie möglich machen, jeder darf mithelfen. Man muss also nicht Vereinsmitglied sein."
Und sie wollen die Flüchtlinge an die Hand nehmen, ihnen zeigen, wo sie günstig einkaufen können. Den Kindern soll bei den Hausaufgaben, den Erwachsenen bei Behördengängen geholfen werden. Traumatisierte Menschen sollen beraten, Deutschkurse angeboten werden. Hendrijke Blandow-Schlegel will die Ängste der Nachbarn - vor mehr Lärm oder mehr Kriminalität - ernst nehmen. Ihnen anhand von Untersuchungen zeigen, dass es eben keinen Anstieg von Diebstählen rings um die Flüchtlingsheime gibt:
"Gerade unser Stadtteil ist so gut ausgestattet mit gut verdienenden Leuten, gebildeten Menschen, weltoffenen Menschen ... Ich hätte mich geschämt, wenn man aus solchen Argumenten heraus Flüchtlingen, die in tiefer Not sind, vieles verloren haben - Familie, Haus, Hof, Heimat - , aus Kriegssituationen kommend, wenn man denen hier nicht eine Zuflucht bietet."
Eine Zuflucht finden Flüchtlinge auch bei "Brot und Rosen", in einer großen WG an der vierspurigen Fabricciusstraße. Dort leben acht Männer und Frauen, die von der Abschiebung bedroht sind, deren Verfahren noch laufen und bei denen noch Hoffnung besteht, dass sie doch bleiben dürfen.
Sie leben zusammen mit den zehn deutschen Bewohnern der so genannten "Diakonischen Basisgemeinde Brot und Rosen". Einer von ihnen ist Dietrich Gerstner, Dreitagebart, blaues Sweatshirt. Zusammen mit der Flüchtlingsbeauftragten der evangelischen Kirche Fanny Dethloff sitzt er am Gartentisch. Dass der Senat in diesem Jahr rund 11.000 Flüchtlinge in der Stadt unterbringen will, findet er nicht besonders großzügig:
"Ja, das tut Hamburg. Das tut Hamburg aber nicht aus Großzügigkeit, sondern, weil es das muss! Weil es Bundesrecht ist. Hamburg hat 2,55 Prozent der bundesweiten Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist gar keine Diskussion. Das ist kein Zeichen von Großzügigkeit, es ist eher ein Zeichen von Hilflosigkeit, dass man es nur mit Containern und Zelten lösen kann. Wo ich dann denke: 'Hey Leute! Wir haben hier keine Flüchtlingskrise wie im Libanon oder wie in Jordanien oder in der Türkei.'"
... und auf den Anstieg der Flüchtlingszahlen hätten die Behörden der Stadt viel früher reagieren können, so Gerstner. Auf dem Rücken seines Sweatshirts prangt eine große weiße "23": ein Zeichen der Solidarität mit den Hamburger Lampedusa-Flüchtlingen. Auch Gerstner fordert vom Senat, sie nach Paragraf 23 Ausländergesetz als Gruppe anzuerkennen. Rechtlich sei das möglich:
"So deutlich wie diese Gruppe hat sich bis jetzt noch keine Flüchtlingsgruppe definiert. Und das hätte man einfach zum Anlass nehmen können, um zu sagen: 'OK. Wir geben Euch eine befristete Chance. Ein Jahr Aufenthaltserlaubnis, eine Jahr Arbeitserlaubnis! Ihr kriegt eine Chance, Euch hier zu probieren!' Und die hatten auch nie darum gebeten, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, also ein Bleiberecht für immer zu bekommen. Sondern nur eine Startchance."

Neben ihm nickt die Flüchtlingsbeauftragte der evangelischen Nordkirche Fanny Dethloff. Natürlich gehe es am Ende nicht nur um die Hamburger Politik, sondern um die Abschaffung der Dublin II-Regelungen der EU. Sie führten dazu, dass Flüchtlinge immer wieder von einem EU-Land ins nächste verschoben würden, dass die Länder an den EU-Grenze die größten Flüchtlingskontingente aufnehmen müssen und damit überfordert werden:
Auf einem Boot sind Flüchtlinge dicht gedrängt.
Ungeachtet zahlreicher Gefahren kommen immer mehr Menschen aus Afrika nach Europa.© picture alliance / dpa - Giuseppe Lami
"Wir werden an diesem Thema Dublin weiterhin herumkauen. Ob wir wollen oder nicht. Und es werden weiter Leute aus anderen EU-Staaten sich versuchen, hier anzusiedeln. Einfach aus ökonomischen Gründen. Das werden wir irgendwie mitbekommen. Ob uns das passt oder nicht. Und da nur mit Law and Order und das ist das Einzige, was uns dazu einfällt - das finde ich schade. Ich finde das schade für eine sozialdemokratische Regierung, die da eigentlich andere Akzente hätte setzen können."
Das sich in den kommenden Jahren noch mehr Flüchtlinge auf den Weg machen werden, ist dem SPD-Senat bewusst. Mitte März machte das Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz bei seiner Grundsatzrede zum Thema im Thalia-Theater klar:
"Die kenternden Boote sind der dramatische Ausdruck für den Versuch, hinter die Grenzwälle Europas zu kommen. Sei es in Unkenntnis oder unter Nichtachtung der drohenden Lebensgefahr. Sie gehen uns zu Herzen! Eins steht fest: die Versuche vieler Menschen, nach Europa zu kommen, werden noch zunehmen. Europa muss sich mit den daraus resultierenden Fragen auseinandersetzen, denn sie werden nicht verschwinden."
Die Europäische Union, so Scholz, trägt durch ihre Handelspolitik mit dazu bei, dass viele Länder Afrikas ökonomisch am Boden liegen, dass Menschen flüchten. Scholz schließt sich in seiner Rede den Moralvorstellungen des afrikanischen Schriftstellers Kwame Anthony Appiah an:
"Dass verpflichtet uns zu einer veränderten Zoll- und Handelspolitik, verbunden mit einer engagierten, gleichzeitig am Bedarf und am Sachverstand orientierten Entwicklungszusammenarbeit. Die Menschen in den reichen Ländern können mehr tun, sagt Kwame Anthony Appiah, und er nennt es eine Forderung schlichter Moral. Er hat Recht."
Für seine Grundsatzrede bekommt Olaf Scholz viel Applaus. An der Haltung des Hamburger Senats gegenüber den Lampedusa-Flüchtlingen wird sich nichts ändern.
Ein bürgernaher Beamter der Hamburger Polizei schiebt sein Fahrrad auf den Hof. Erkundigt sich bei Maren Oehmichen, ob in der der Flüchtlingsunterkunft Rahlstedter Straße alles in Ordnung ist, ob sich Nachbarn beschwert haben, ob es Probleme gibt. Und eine Frage hat er noch: Ob auch Lampedusa-Flüchtlinge in der Unterkunft wohnen, will der Beamte wissen. In allen Unterkünften werde danach gefragt, reine Routine.
KÖLN
In Köln geht man in Sachen "Flüchtlinge" ganz neue Wege. Hier bekommen einige Familien ehrenamtliche Wegbegleiter zur Seite gestellt. Ein halbes Jahr lang begleiten sie dann die Flüchtlinge bei allen Fragen rund um den Alltag und dem Leben in Deutschland. Denn die so genannten Mentoren sollen den Neuankömmlingen die Ankunft im für sie fremden und neuen Alltag erleichtern, und ihnen Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Eine solche Form der Willkommenskultur ist neu in Deutschland.
"Wir haben 2 Zimmer, zwei Balkone, ja, es ist gemütlich können wir sagen. Wir haben auch 3 Bilder, und haben diese Fotos im Zoo gemacht mit Herrn Kirschbaum."
Jasmina Bilali führt durch ihr neues Domizil, einem von der Stadt Köln für Flüchtlinge angemieteten Hotel. Hier lebt sie mit ihrem Mann und den drei Kindern auf wenigen sauberen Quadratmetern, nachdem sie in den ersten Wochen in vier verschiedenen Flüchtlingsheimen untergebracht war. Viel geholfen hat der albanischen Familie Klaus Kirschbaum - ihr Mentor.
"Das war wirklich ein Glück, Herr Kirschbaum bemüht sich die ganze Zeit, dass wir uns wohl fühlen, und hat es geschafft, ja. Wir gehen irgendwo zusammen, wo man also zum Beispiel beim Sozialamt beide, bei Bezirksämter, und am meisten, wo ich Probleme haben kann. Manche Sozialarbeiter nehmen die Ausländer und die Flüchtlinge nicht so wahr."
Klaus Kirschbaum sieht jünger aus als 65, er steckt voller Energie und Einsatzwillen. Seit er nicht mehr als Lehrer arbeitet, hat er sich eine neue Aufgabe gesucht. Als Mentor begleitet er freiwillig und ehrenamtlich in Köln lebende Flüchtlinge - ein halbes Jahr lang. Er soll den Bilalis das Ankommen in Deutschland erleichtern, ihnen sozusagen das deutsche Leben erklären, Kultur und Gepflogenheiten - neben der Hilfe bei drängenden Fragen rund um Behördengänge oder Papierkram:
"Also wenn eine Flüchtlingsfamilie zur Sparkasse kommt, und möchte ein Konto, kriegt sie das wahrscheinlich nicht ohne weiteres. Und ich habe da gemerkt, als ich mitgegangen bin, da fehlt nur noch dieses oder jenes Papier, das müssen sie da holen, und dann machen wir das. Wenn ich also mitkomme, muss ich sagen bei normalen Behördengängen, funktioniert das einwandfrei."
Die Bilalis erzählen davon, wie korrupt Albanien ist. Die dort regierende Partei hat den Wählern Geld dafür gezahlt, wenn sie sie wählen. Jeder, der von seinem Wahlzettel in der Kabine ein Foto mit dem richtig gemachten Kreuz machte, und es als Beweis dann den Parteimitgliedern vorlegte, bekam Bares in die Hand.
Wer diese Praktiken wie die Bilalis bei der Polizei anzeigte, bekam unmissverständlich klar gemacht, dass dies ein großer Fehler ist. In Angst um ihr Leben flohen sie, und ließen alles zurück. Mit diesen Erlebnissen von heute auf morgen in Deutschland ankommen oder sich zu Recht finden? Unmöglich. Meint Klaus Kirschbaum:
"Man kann keinen Flüchtling alleine hier lassen. Er hat es sehr schwer, überhaupt hier Fuß zu fassen. Allein schon was zu finden mit irgendeinem Zettel in der Hand mit einer Adresse, und sich durchfragen, ist für einen Ausländer gar nicht so einfach. Und dann sein Anliegen vortragen erst Recht nicht. Wenn man aus einer anderen Kultur kommt, müssen wir sehr viel mehr zeigen, einführen, und Verständnis wecken."
Neue Willkommenskultur durch Mentoren
Die Idee zu so einem Mentoren-Programm kam von der Kölner Freiwilligenagentur. Sie bringt ehrenamtlich engagierte Bürger und Einrichtungen zusammen, die ihre Dienste durch den Einsatz von Freiwilligen ergänzen und weiterentwickeln wollen. Mit dem neu geschaffenen Angebot für Flüchtlinge soll eine Willkommenskultur in der Stadt etabliert werden.
Bisher kümmern sich 20 Mentoren, die dafür im Vorfeld auch extra geschult wurden. 150 weitere Freiwillige haben sich bereit erklärt mitzumachen, und werden jetzt von der Agentur Schritt für Schritt vorbereitet:
Klein: "Meine erste Reaktion als Kölnerin ist einfach gewesen, dass ich überwältigt war, und total glücklich darüber war, dass es eine so hohe Engagementbereitschaft gibt. Also das haben wir noch nie gehabt, dass wir ein Projekt, bevor es überhaupt gestartet ist, dass es schon Anfragen gab von Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollten. Die gesagt haben, ich kann diese Bilder nicht mehr sehen, und ich will etwas machen, ich nicht nur mein Geld spenden, ich will selber Hand anlegen."
Gabi Klein und Klaus Kirschbaum hoffen auf noch mehr finanzielle Unterstützung für das Projekt. Auch damit alle noch nicht geschulten Freiwilligen schnell in der Praxis eingesetzt werden können, und damit Familien wie den Bilalis das Einleben in Deutschland erleichtert werden kann:
"Wir sind dankbar dafür."