Aschenputtel-Geschichte wird zum Welterfolg

Von Georg Friedrich Kühn · 15.03.2006
Nachdem mehrere Komponisten den Stoff der Komödie "Pygmalion" von George Bernhard Shaw als "für ein Musical unverwendbar" eingestuft hatten, schrieben der Komponist Frederick Loewe und sein Librettist Alan Jay Lerner im zweiten Anlauf eines der erfolgreichsten Musicals aller Zeiten. Heute vor 50 Jahren hatte "My Fair Lady" am Broadway Premiere. Auch in Berlin wurde das Stück bald darauf gespielt. Der Komponist Loewe war von der Aufführung in seiner Heimatstadt "bejeistert".
Eigentlich ist es ja eine Aschenputtel-Geschichte: die von Eliza Doolittle, die aus kleinsten Verhältnissen als Cockneykind zur Dame von Welt aufsteigt. Im Land, wo aus Tellerwäschern Millionäre werden, schien es die ideale Musical-Story. Doch weit gefehlt.

Da war erst einmal George Bernhard Shaw, der Autor der aus der griechischen Mythologie in die Moderne transportierten Vorlage. Zwar gestattete er die Verfilmung seines Stoffes von "Pygmalion", dem Bildhauer – bei ihm ist es der Phonetik-Professor Higgins. Der glaubt, dass man den sozialen Aufstieg schafft durch eine gewählte Sprache; im Blumenmädchen Eliza findet er die gelehrige Schülerin.

Indes: Dass man aus dem Film auch noch ein Musical machen wollte, verbat sich Shaw. Seine Erben waren da weniger zimperlich. Doch nun kapitulierten die Musical-Schreiber. Sogar Koryphäen wie Rodgers und Hammerstein, Cole Porter und auch die beiden späteren Autoren, der Komponist Frederick Loewe und sein Librettist Alan Jay Lerner – sie alle hielten das Sujet für unverwandelbar in ein "Musical Play".

Erst im zweiten Anlauf fanden Loewe und Lerner in monatelangen Diskussionen einen Weg zu ihrer "Fair Lady". Parallel wurde dann auch schon gecastet: Rex Harrison als Sprachprofessor Higgins, Stanley Holloway als Vater Doolittle und Julie Andrews als seine Tochter Eliza.

Für das so genannte Try Out, die Testaufführung in der Provinz, wählte man New Haven/Connecticut. Der Erfolg war so groß, dass Regisseur Moss Hart für die Broadway-"First Night" wenige Wochen später kaum mehr etwas ändern musste. Am 15.März 1956 fand die Uraufführung statt.

"Ein legendärer Abend" beschrieb die Kritik den überwältigenden Erfolg. Und allein in New York spielte man "My Fair Lady" sechs Jahre lang en suite. Weltweit wurde es nachgespielt von London bis Melbourne. Aber war es überhaupt ein genuin amerikanisches Musical?

Frederick Loewe war der Sohn eines österreichischen Operettentenors. In Berlin war er 1904 geboren; hier hatte er studiert, ein pianistisches Wunderkind. 1924 ging er mit dem Vater ins Lehár-selige Amerika.

Franz Allers: "Ich kenne ihn erst von drüben, aber er ist ein Absolvent des Sternschen Konservatoriums, hat mit Busoni und mit d’Albert gearbeitet und ist einer der wenigen Komponisten im New Yorker Theater, ein wirklicher Komponist, der auch orchestriert und ein vollkommen geschulter Kontrapunktiker ist","

so Franz Allers, der Dirigent. Er musste> auswandern, 1938. Gewiss gehört "My Fair Lady" in die mehr "europäische" Linie des Musicals. Es hat nicht die revueartige Struktur mit lose eingesetzten Songs wie das aus dem Varieté gewachsene "amerikanische" Musical. Wie die Wiener Operette setzt es auf eine in sich stringente Geschichte, zugkräftige Melodien.

Vielleicht ließ es sich auch deswegen so gut nach Europa umtopfen. Der Komponist Loewe, der 1962 eine Aufführung der Berliner Produktion im eigens dafür umgebauten Theater des Westens besuchte, war jedenfalls "bejeistert" vom "es jrient so jrien".

Loewe: ""Janz jenau so. Wenn nicht noch schöner. Und die Darstellung ist einfach fabelhaft, und ich war restlos begeistert. Es ist unglaublich, dass es sich so fabelhaft hat übersetzen lassen. Mit jeder Nuance. Und den Empfang, den ich im Theater hatte, das kann man nie vergessen."

Einen auch nur annähernd vergleichbaren Erfolg konnten Loewe und Lerner nie mehr landen. Aber die Einnahmen, die ihnen diese Lady bescherte, sprossen so immens, dass sie den gar nicht mehr brauchten. "My Fair Lady", längst auch verfilmt als Musical, war zum Klassiker geworden.