Arterie im Organismus Europa

Von Winfried Dolderer · 14.05.2013
Den Weg in Europas Norden erleichtern – das war das Ziel der "Vogelfluglinie". Immer wieder aber hatten Kriege das Projekt verhindert. So konnte erst in den 50er Jahren mit dem Bau von Schienen- und Straßenverbindungen begonnen werden. Noch immer wird an der Verbindung zwischen Deutschland und Dänemark gearbeitet.
Es gab Aalplatte, Hummercocktail, Täubchenbrust auf Artischocken, dänischen Käse, zum Nachtisch Erdbeeren. Gestecke aus blauen und gelben Rosen, Lilien und Nelken schmückten den Salon der dänischen Fähre "Kong Frederik". Zur ersten feierlichen Überfahrt über den Fehmarnbelt vom dänischen Rödby ins deutsche Puttgarden hatten sich am 14. Mai 1963 bei strahlendem Sonnenschein ein König, Frederik IX., ein Bundespräsident, Heinrich Lübke, 500 Ehrengäste und 100 Presseleute versammelt. Dem historischen Ereignis angemessen, war viel vom europäischen Geist die Rede.

"Die Zusammenarbeit der europäischen Nationen ist eine der wesentlichen Tatsachen, welche unsere Epoche formen. Die Vogelfluglinie, die wir heute einweihen, wird die Entwicklung guter menschlicher, kultureller, wirtschaftlicher und auch politischer Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern wieder fördern. Sie ist eine Brücke, deren Pfeiler Deutschland und Dänemark sind, und die ganz Skandinavien mit den übrigen Ländern des freien Europa verbindet."

So sprach der damalige Bundespräsident. Und in ähnlichem Feierton schrieb der Autor eines Bildbandes über die "Brücke zum Norden", den die Bundesbahn der neuen Schienen- Straßen- und Fährverbindung wenige Monate nach deren Einweihung widmete:

"Dieser Verkehrsweg ist im Kreislauf eines lebendigen Organismus Europa eine der wichtigsten Arterien. Dass sie jetzt schon funktioniert, hilft sicher mit, den blutvollen Gedanken an ein Vereinigtes Europa schneller kreisen zu lassen."

Zwischen Hamburg und Kopenhagen liegen 289 Kilometer Luftlinie. Bis zum Mai 1963 freilich war dieser direkte Weg über Sund und Belt, die deutsche Insel Fehmarn und die benachbarte dänische Insel Lolland, Gänsen und Kranichen vorbehalten. Wer ohne Flügel nach Dänemark wollte, musste sich eine dreistündige Überfahrt über die Ostsee zumuten. Oder die 160 Kilometer längere Landstrecke über Flensburg nehmen.
Als Erster sann der damals in dänischen Diensten stehende Ingenieur Gustav Kröhnke auf Abhilfe. Er schlug 1863 vor, das holsteinische Festland mit der Insel Fehmarn durch einen Eisenbahndamm zu verbinden. Daraus wurde nichts, weil im Jahr darauf der deutsch-dänische Krieg dazwischen kam. Ein weiteres Brückenprojekt von 1912 scheiterte, als zwei Jahre später der Erste Weltkrieg begann. 1941 wurden die Bauarbeiten für die Fehmarnsundbrücke schon begonnen, aber 1943 ebenfalls kriegsbedingt wieder eingestellt.

Erst der vierte Anlauf führte zum Erfolg. Im Juni 1958 unterzeichneten Deutsche und Dänen in Bonn das Abkommen über den Ausbau der künftigen Direktverbindung. Für - nach heutiger Währung - 148 Millionen Euro wurden neue Straßen und Schienenwege durch die Landschaft gezogen, die knapp einen Kilometer lange Brücke über den Fehmarnsund gebaut, in Puttgarden und Rödby neue Fährhäfen errichtet. Dass bei alledem weder Zeitplan noch Kostenrahmen überschritten wurden, galt schon damals als erwähnenswert. Und bei der Brückeneinweihung am 30. April 1963 geriet Bundesverkehrsminister Hans Christoph Seebohm regelrecht ins Schwärmen:

"Das lang gestreckte Balkentragwerk der Fehmarnsundbrücke von einem Ufer des Meeresarmes zum anderen ist von einer, ich möchte Winckelmanns klassischen Ausdruck benutzen, schlichten Einfalt, und der Brückenbogen, der die weite Schifffahrtsöffnung trägt, von einem Schwung und von einer Eleganz, die ihresgleichen suchen."

Fehmarn bescherte die Anbindung ans Festland den Strukturwandel vom Landwirtschafts- zum Tourismusstandort. Und nicht zuletzt erstmals eine Trinkwasserleitung.
Vermutlich 2014 werden die Bauarbeiten für einen Tunnel zwischen den Inseln Fehmarn und Lolland beginnen. Bis 2021 soll er fertig sein. Sehr zum Unmut der Anwohner. Sie fürchten den Lärm der Güterzüge und den Verlust von rund 1000 Arbeitsplätzen, die am Fährbetrieb hängen. Diese Sorge könnte sich als unbegründet erweisen: Auch künftig wird es Reisende geben, die lieber geruhsam über den Belt schippern als 20 Kilometer durch einen Tunnel rasen.


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