Architektur und Utopien

Kann Architektur zu einer besseren Gesellschaft beitragen?

Die Architektin Renée Gailhoustet entwarf im Großraum Paris einen pyramidenartigen Sozialbau.
Die Architektin Renée Gailhoustet entwarf im Großraum Paris einen pyramidenartigen Sozialbau. © Johanna Diehl
Niklas Maak im Gespräch mit Katja Bigalke · 11.11.2017
In den 1960ern und 1970ern haben Architekten neue Formen des Sozialbaus ausprobiert. Das Ziel: Mehr Gemeinschaft schaffen. Der Journalist Niklas Maak hat einige der Architekten für sein Buch "Eurotopians" besucht. Und meint, wir könnten heute mehr von ihren Ideen gebrauchen.
Der Journalist und Architekturkritiker Niklas Maak hat zusammen mit der Fotografin Johanna Diehl Architekten besucht, die in den 1960er und -70er-Jahren radikal neue Formen des Sozialbaus entwickelt haben. "Eurotopians - Fragmente einer anderen Zukunft" heißt das daraus entstandene Buch.
Die Architekten seien inzwischen mehr als 80 Jahre alt und lebten zum größten Teil noch in den Häusern, die sie in den 60ern entworfen hätten, erzählt Maak. So, als ob sie beweisen wollten, dass es möglich sei, in einer Utopie zu leben. Beispielsweise habe Renée Gailhoustet in Paris eine Art Pyramide entwickelt mit dem Ziel, den Gemeinschaftsraum wie eine Kita oder einen Supermarkt mit Wohnungen zu überbauen, die jeweils eine riesige Dachterasse haben.
"Es gab in den 60er-Jahren eine ungeheure Experimentierfreude, auch auf Seiten des Staates", erklärt Maak das Zustandekommen dieser Bauten. Der Staat habe erkannt, dass er mit seinem bisherigen sozialen Wohnungsbau nicht weitermachen könne, weil er durch diese Architektur gesellschaftliche Probleme fördere.

"Architektur von heute kleinbürgerlich und ängstlich"

Leider habe sich diese Experimentierfreude nicht gehalten. "Wenn wir heute sagen, die Städte sehen auf eine wirklich bedrückende Weise kalt, herzlos, wie begehbare Anlagedepots aus, dann ist das natürlich auch eine Folge dieser neoliberalen Wende in der Baupolitik", sagt Maak. Der Staat habe entschieden, nur noch Geld zu geben und es Generalübernehmern zu überlassen, aus diesen Mitteln Wohnraum zu schaffen.
Die heutige Architektur sei "viel konventioneller, viel kleinbürgerlicher, viel ängstlicher als das, was damals ausprobiert wurde". Im Prinzip werde heute für die traditionelle Kleinfamilie gebaut, in der der Vater arbeiten gehe und die Mutter am Herd stehe. Architektonische Impulse, die Menschen anrege, unkonventionelle Lebensmodelle zu wagen, fehlten - etwa für eine Wohngemeinschaft von Senioren oder von Alleinerziehenden mit Kindern. Eine Architektur, die das vorführe, sei auch eine Form der Verführung. "Ein ganz anders Leben mit weniger Stress, weniger ökonomischem Druck, mehr sozialen Freiheiten, mehr Formen von Gesellschaft ist möglich" - das strahlten die von ihm und Diehl gezeigten Gebäude heute noch aus.
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