Architektonische Schnittstellen

Von Christian Gampert · 28.03.2013
Was verraten Bauwerke sowie Landschafts- und Städteplanung über die Beziehung benachbarter Staaten? Das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Strasbourg und das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt versuchen, diese Frage mit einem neuen Projekt zu beantworten.
Sie fuhren alle nach Paris. Der deutsche Architekt Friedrich Gilly war so begeistert von der Französischen Revolution, daß er 1797 eine Freiheits-Statue für die heutige Place de la Concorde entwarf. Leo von Klenze schulte sich 1803 - in den Kursen der École Polytechnique - an den "rationalen" Entwurfs-Methodiken des Klassizisten Jean-Nicolas-Louis Durand. Der Gilly-Schüler Karl Friedrich Schinkel studierte die Pariser Gebäude – und sein "Altes Museum" in Berlin greift einen Entwurf von Charles Percier auf, der immerhin Napoleons Lieblings-Architekt war.

Die Frankreich-Begeisterung ebbte dann etwas ab – spätestens, als die Hoffnung auf ein freiheitliches Europa zerstob und die Grande Armée gen Moskau marschierte. Aber die gegenseitige Beeinflussung, Feindschaft und dann doch wieder Attraktion von Deutschland und Frankreich, die blieb bestehen, und sie spiegelt sich auch in Gebäuden und Stadtplanungen. "Interferenzen", "Interférences" nennt sich die Straßburger Ausstellung – der Ausdruck bezieht sich auf elekromagnetische Felder, die sich wechselseitig minimieren oder verstärken.

"Es gibt direkte Beziehungen, es gibt Spiegelungen, es gibt Konkurrenz, es gibt Negation, es gibt Doppelagenten – das ist ein große Spektrum von Interferenzen, die sich da auftun",

sagt der Ko-Kurator Volker Ziegler. Rund dreißig Jahre haben die beiden Architekturhistoriker Hartmut Frank und Jean-Louis Cohen an dem Projekt gearbeitet. Es ist ein Lebenswerk, eine unglaublich materialreiche, von der Skizze bis zum Video mit vielen Medien arbeitende Schau.

Von Victor Hugo, der sich in den 1830er-Jahren am Rhein in düsteren Zeichnungen an mittelalterlichen deutschen Burgen berauschte, bis zu Goethes Begeisterung für das Straßburger Münster. Von Gottfried Semper, der 1850 eine Synagoge für Paris entwarf, bis zum Phalanstère, dem von Charles Fourier und Victor Considérant ausgedachten, utopischen, leicht gigantomanen Genossenschaftsbau für die aufkommende Arbeiterklasse.

Arbeiterstädte wurden 1848 auch von dem Berliner Architektur-Professor Wilhelm Stier entworfen (und übrigens von Friedrich Engels heftig abgelehnt). Wichtiger noch war die Stadtplanung – der Baron Haussmann schlug ab 1853 schnurgerade Schneisen durch Paris und modernisierte die Großstadt. Das Berliner Modell, ersonnen von James Hobrecht, geht da viel vorsichtiger vor, sagt Volker Ziegler.

"Das moderne Berlin ist aber um das Bestehende herum entstanden, das ist wie so eine Zwiebelschale, die sich nochmal an eine bestehende Stadt anheftet, das ist der ganz große Unterschied. Und dann gibt es da die Tatsache, dass die Berliner auf die Erfahrung der Pariser zurückgegriffen haben bei der Planung beispielsweise der Kanalisation."

Nach der französischen Niederlage im Krieg von 1870/1871 wetteiferte man mit nationalen Symbolen – in Paris wurde Sacré Coeur gebaut, in Berlin die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Politisch fast brisanter ist aber die Anlage der Straßburger Neustadt: nach der Annexion durch Deutschland wurde Straßburg systematisch vergrößert – die deutschen Beamten und Militärs brauchten Unterkunft. Ganze Stadtteile entstanden in herrschaftlichem Stil, die Universität ist von Deutschen gebaut.

Die Ausstellung erzählt zeitweise aber auch ganz Architektur-immanent: der Eiffelturm ist nur das Signet für die neue Konstruktions-Methodik, die große Räume mit Eisenverstrebungen überbrückt. Zum anderen setzt sich auch in Deutschland der Betonbau durch – mit französischen Patenten; ein hübsches Beispiel für die Migration von Ideen.

"Der Stahl-Glas-Bau ist eines der großen Themen ab Mitte des 19.Jahrhunderts, und es ist ja auch in Berlin so, dass das gerade bei der Passagen-Architektur massiv eingesetzt wird, bei den großen Bahnhöfen sowieso, bei Gewächshäusern und so weiter. Es ist natürlich klar, dass der Eiffelturm mit seinen über 300 Metern da nochmal 'nen Punkt draufsetzt."

Der beginnende Massenwohnungs-bzw. Mietskasernen-Bau und die aus England importierten Gartenstädte sind beidseits des Rheins verbreitet. Mit der Gründerzeit bekommt Deutschland dann einen gewissen Vorsprung, weil es industriell einfach rasant wächst. Und das Bauhaus läuft der Pariser École des Beaux Arts in den 1920iger Jahren den Rang ab.

Die Ausstellung spart Albert Speer und Konsorten nicht aus, konzentriert sich nach dem Zweiten Weltkrieg aber dann eher auf französische Planungen etwa im annektierten Saarland: man wollte die Moderne auch in die Provinz bringen. Seit den 1960er-Jahren gibt es weniger Konkurrenz denn parallele Entwicklungen in den beiden Ländern – und viel Austausch, vor allem im Massen-Wohnungsbau. Jean Prouvé baute in Berlin die Freie Universität, Pierre Vago die Universitätsbibliothek Bonn, der Deutsche Martin Schulz van Treeck die Pariser Wohntürme der "Orgues de Flandre". Und mit der Globalisierung verschwinden nun endgültig die nationalen Architekturen – was der Ausstellungs-Kurator Jean-Louis Cohen schon etwas länger beobachtet…

"Es gab im 19. Jahrhundert keine rein deutschen und keine rein französischen Architekturprobleme. Viele Fragen waren gemeinsame Fragen, die manchmal auch gemeinsam betrachtet worden sind."

Dies ist eine intellektuell anspruchsvolle und nebenbei auch sehr übersichtlich inszenierte Ausstellung. Wer sich für die Politik des Bauens interessiert, der sollte nach Straßburg fahren, ins "Musée d’Art Moderne et Contemporain".