Archäologie

"Ich laufe die falsche Via Dolorosa mit Inbrunst"

Dieter Vieweger im Porträt
Prof. Dieter Vieweger © Deutschlandradio / Philipp Gessler
Dieter Vieweger im Gespräch mit Philipp Gessler · 12.04.2014
Der christliche Archäologe Dieter Vieweger hat nachgewiesen, dass der als Via Dolorosa bekannte Kreuzweg nicht dem tatsächlichen Verlauf des letzten Gangs Jesu entspricht. Im Gespräch erklärt er die Grenzen der Archäologie.
Philipp Gessler: Sie kennen die Bilder: Tausende christliche Pilger werden in den kommenden Tagen durch Jerusalem laufen, manche mit einem geschulterten Kreuz, fast alle im Gebet auf der Via Dolorosa, dem Kreuzweg Jesu kurz vor seiner qualvollen Hinrichtung vor der Stadtmauer Jerusalems. Prof. Dieter Vieweger lehrt christliche Archäologie in Wuppertal und Jerusalem – er ist einer der besten Kenner der Geschichte der heiligen Stadt. Prof. Vieweger hat nachgewiesen, dass der offiziell als Via Dolorosa bekannte Weg nicht dem tatsächlichen Verlauf des letzten Gangs Jesu entspricht. So hat Prof. Vieweger schon einige lieb gewordene Legenden zerstört – aber er tut dies als Archäologe und Theologe im Dienst der Wissenschaft und eines aufgeklärten Glaubens.
In Jerusalem hatte ich die Chance, mit Prof. Vieweger, der übrigens eine Geschichte des Widerstandes in der DDR hat und der Pfarrer des Thomanerchors in Leipzig war, zu sprechen. Meine erste Frage an ihn war, warum die Evangelische Kirche in Deutschland, zusammen mit dem Deutschen Archäologischen Institut, ein archäologisches Forschungsinstitut in Jerusalem unterhalte. Könne denn die Archäologie die Wahrhaftigkeit oder Historizität der Bibel beweisen?
Dieter Vieweger: Vor 50 Jahren hat man das tatsächlich gedacht. Früher hieß es in den Statuten des amerikanischen Biblisch-Archäologischen Institutes: Jeder Spatenstich ist ein Argument gegen den Unglauben. Und so war die Richtung klargelegt: Wir kommen in das Heilige Land, wir graben aus, wir bestätigen die Wahrheit der Bibel. Nun, so ist es nicht gekommen und so ist es auch gar nicht möglich, weil die Archäologie etwas anderes ergräbt als das, was die Bibel eigentlich aussagen möchte.
Die Archäologie kann ausgraben das allgemeine Leben, wie sah es hier aus, wie baute man Häuser, wie kochte man, was aß man, wie sah die Wirtschaft aus und vieles andere mehr, also den Alltag können wir ausgraben – wir können aber nicht das Spezielle ausgraben, also wie speziell sah es aus, als man den oder jenen heilte oder als Jesus einem Menschen irgendetwas zusprach?
Alle diese Ereignisse, die sind ja außerhalb biblisch-archäologischer Reichweite. Das kann man nicht ausgraben, und das sind natürlich auch erst mal literarische Mitteilungen, über die man so oder so denken kann. Wir können die Zeit sehen, nicht die Ereignisse.
"Jerusalem ist eine große Erinnerungslandschaft"
Gessler: Man sieht ja hier in Jerusalem beispielsweise die Kirche, wo Jesus geweint haben soll, bevor er in Jerusalem eingezogen ist. Man sieht das angebliche Gefängnis, in dem er gewesen sein soll. Man sieht den Garten Getsemani, man sieht Golgata, wo er hingerichtet worden ist. Welche von diesen Stätten - und da gibt es ja in Jerusalem sehr viele - halten Sie denn für authentisch, für historisch?
Vieweger: Zunächst erst mal: Jerusalem ist eine große Erinnerungslandschaft, so muss man das bezeichnen. Es gibt viele Stellen, an denen sich kirchliche oder biblische Traditionen anknüpfen. Das ist sowohl für die jüdische Religion so wie für die christliche Religion und nicht weniger für den Islam. Nun ist es natürlich so: Dass da Traditionen an einem Ort sind, heißt noch lange nicht, dass der Ort damit echt sein muss, sondern es ist erst mal wichtig, dass man sagt, an diesem Ort erinnern wir uns daran.
Und dann muss man sich einfach noch mal vor Augen halten: Als wir Christen Ende des 3. Jahrhunderts nach Christus nicht mehr verfolgt wurden, als wir zurückkamen nach Jerusalem, als unsere Vorfahren dann diese Stadt wieder in Besitz nahmen, dann haben sie natürlich nachgefragt: Wo ist welches Ereignis gewesen? Die Bibel, also das Neue Testament berichtet uns dies und jenes. Wo könnte denn der Garten Getsemani gewesen sein? Wo könnte denn der letzte Gang stattgefunden haben, das heißt, die Via Dolorosa entlang gewesen sein? Wo könnte die Kreuzigung stattgefunden haben und die Grablegung? Und das herauszufinden ist relativ schwer, weil vieles wusste man ja im 4. Jahrhundert auch nicht, und dann hat man die Bibel in die Hand genommen und hat mögliche Stellen markiert, die so gewesen sein könnten.
Warnung vor überzogenen Forderungen und Wünschen
Also man darf nicht zu überzogene Forderungen oder Wünsche haben, Authentizität von Orten herstellen zu können. Es gibt nur ganz wenige, die sich herausfinden lassen. Also ein Punkt, der ganz sicher ist: Der Tempelplatz ist der Tempelplatz auch von heute, das heißt, der Haram al-Sharif, auf dem der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee stehen. Und der Felsen, der gezeigt wird, wird mit ganz großer Wahrscheinlichkeit der Brandopferaltar des israelitischen Tempels gewesen sein, also hat der Tempel im Westen davon gestanden. So etwas wird man sagen können.
Und es gibt einen weiteren Fixpunkt für unsere christliche Tradition: Der Berg Golgota, dieser Felsen Golgota, den kann man durchaus mit Sicherheit unter der Grabeskirche annehmen, und dafür sprechen nicht nur archäologische Zeugnisse, sondern auch literarische. Aber darüber hinaus gibt es nicht sehr viele andere Orte.
Gessler: Warum ist es denn so schwer, zumindest die wichtigsten Stätten - Sie hatten Golgota genannt, was man ja einigermaßen verorten kann -, aber warum ist es so schwer, das zu lokalisieren?
Vieweger: Nun, das hängt einfach damit zusammen, dass Jerusalem sich verändert hat. Jerusalem ist ja nicht gleich geblieben. Wir laufen eben nicht durch das Jerusalem eines David, auch nicht durch das Jerusalem eines Jesus, sondern wir haben von dieser Zeit 2000 oder 3000 Jahre Abstand. Und Jerusalem ist gewachsen. Wenn wir in der Grabeskirche sind, laufen wir über dem Niveau, auf dem Jesus gelaufen ist, 14 Meter oben drüber, das heißt, die Stadt ist komplett anders. Und die Grabeskirche bietet nun ein gutes Beispiel dafür, was wir sagen können und was wir nicht sagen können.
"Nicht möglich, die Richtigkeit zu beweisen"
Man muss erst mal verstehen, was die Archäologen dort getan haben, und sie haben unter der Grabeskirche tatsächlich einen Felsen, das heißt einen Felsbereich, der sich wie eine Felsnase durch einen ehemaligen Steinbruch zieht, gefunden, den man als Golgota bezeichnen kann und aus vielen Gründen wohl auch bezeichnen muss. Es gibt auch keine Alternative dafür.
Ganz anders sieht es aus, wenn es um das heilige Grab geht. Immerhin ist es die heiligste Stätte der Christenheit, aber wir wissen: Die Auffindung fand erst im 4. Jahrhundert statt. Als man die Kirche baute und im Umfeld Gräber entdeckte, entdeckte man eines der Gräber, das war einkammrig, hatte einen Rollstein und war leer. Also schloss man im 4. Jahrhundert daraus: Das muss das Grab Jesu sein, denn es ist in der Nähe von Golgota – das wird in den Passionsgeschichten so erzählt – und es ist einkammrig und natürlich leer, und es hat diesen Rollstein, den berühmten "Wer wälzt den Stein von des Grabes Tür?" Also damit sind wir am Ende unserer Beweisführung. Ist es das richtige und kann es nicht im Umfeld viele andere einkammrige Gräber gegeben haben mit solchen Rollsteinen? Natürlich. Insofern sind wir hier an einem ganz wichtigen Punkt.
Dieses Grab muss nicht falsch sein, aber es ist auch nicht möglich, die Richtigkeit zu beweisen. Und zwischen diesen zwei Sätzen liegt nun eben die ganze Grauzone archäologischer oder altgeschichtlicher Forschung. In so vielen Fällen wissen wir es einfach nicht. Jedenfalls ist es nicht auszuschließen, aber mit Sicherheit ist es nicht zu bestätigen. Da liegt unser Dilemma.
"Mit dieser Wahrscheinlichkeit muss man leben"
Gessler: Was halten Sie denn von Reaktionen von gerade frommen Menschen, wenn Sie zum Beispiel sagen, dieser angebliche Garten Getsemani kann nicht der Garten Getsemani sein, weil bei der Belagerung von Jerusalem durch Titus und der Zerstörung von den Truppen von Kaiser Titus eben alles abgeholzt wurde - sind die dann enttäuscht oder werden Sie sogar angefeindet, weil Sie den Glauben ihnen rauben?
Vieweger: Ich glaube nicht, dass archäologische Forschung den Glauben rauben kann, aber er kann ihn realistisch machen und das ist auch manchmal eine harte Angelegenheit, so etwas zu lernen oder vor solchen Problemen zu stehen. Schauen wir den Garten Getsemani an: So ist die Wahrscheinlichkeit, dass er korrekt ist, sehr gering. Mit der Via Dolorosa stehen wir vor einem schwierigen Problem: Da wissen wir mit Sicherheit, dass diese Wegführung falsch ist, wir können ihn auch rekonstruieren, wie die richtige gewesen sein wird. und zwar ist die von Südwesten gekommen und nicht von Nordosten.
Also wenn wir vor solchen Aufgaben stehen, das zu erklären, dann muss man natürlich irgendwie behutsam sein, gerade noch mit Pilgern, die hier gerade die Offenbarung in Jerusalem finden wollen, die hier gerade an die heiligen Stätten zurückkehren wollen. Und denen muss man zunächst erst mal sagen: Erstens mal seid ihr sowieso so weit oben drüber, dass ihr von der Zeit, in die ihr jetzt zurückdenkt, überhaupt nichts mehr seht, weder Häuser noch Straßen noch Wege noch einige andere Punkte. Und das Zweite ist eben schlicht und ergreifend: Man hat im 4. Jahrhundert manches falsch lokalisiert, und das ist dann durch das Mittelalter hindurchgegangen und so ist eben in Jerusalem vieles falsch.
Mit dieser Wahrscheinlichkeit muss man leben. Und ich helfe mir dann immer damit – und ich glaube, auch Pilgern ist damit geholfen – zu wissen: Wir denken an dieser Stelle an diese und jene Tradition, wir müssen aber da gewärtig sein, dass das vielleicht einen halben Kilometer weiter südlich, östlich oder westlich gewesen ist.
"Sie wollen an die authentischen Stellen zurück"
Gessler: Warum erfanden und erfinden Menschen im Heiligen Land immer wieder Orte, von denen sie behaupteten, dass sich genau hier dieses oder jenes Ereignis der Bibel abgespielt hat? Ist das schon immer nur Geschäftssinn gewesen?
Vieweger: Also das ist eine ganz alte Tradition der Christenheit, überhaupt aller Pilger: Sie wollen an die authentischen Stellen zurück, sie wollen wissen, wo etwas passiert ist. Es ist ja auch ihr gutes Recht. Wie sah das aus auf dem Berg der Seligpreisung? Wo hat Jesus die 5000 Menschen ernährt mit ein paar Broten und ein paar Fischen? Also natürlich ist das ein gutes Recht von Pilgern, das zu erfahren. Es gibt sicher auch die andere Seite - die Leute, die an diesen Stellen sitzen und die Pilger in Empfang nehmen und ihnen dann das eine und andere erzählen und für 1,50 Mark auch ein bisschen mehr. Also Geschäftemacherei liegt da auch nahe. Aber zunächst mal ist es ein Drang der Pilger, zu sehen: Wo war das? Ich will das wissen, ich will da hin, ich muss das genau sehen. Und dann kommt natürlich das Nachdenken darüber, dass das Auffinden solcher heiligen Stätten nicht wirklich so einfach ist.
Schauen Sie mal, wie der Berg der Seligpreisung: Der Berg der Seligpreisung ist ganz lange Zeit, also bis ins 19. Jahrhundert, unten an der Straße neben Tabgha und neben der Primatskirche angebetet worden. Nun kommen die Pilger Ende des 19. Jahrhunderts in Scharen und sagen: Warum sind die Seligpreisungen nicht auf einem Berg gewesen? Das ist doch eine Bergpredigt. Also hat man Anfang der 20er-Jahre die Verehrungsstelle auf den Berg hochgeschoben, sodass jetzt jeder Pilger sagt: Prima, jetzt überschaue ich den See Genezareth und jetzt ist das augenfällig und ist das richtig.
Früher war das für die Pilger einfach wichtig, an bestimmte Orte zu kommen, dort auch sicher zu sein, und dann haben sie auch mal den Berg nicht ganz so dringend eingefordert. Sie sehen, das ist auch eine Frage: Was fordert der Pilger, was will er sehen? Und das wird ihm dann auch manchmal gezeigt. Also manche Stellen sind einfach schlicht und ergreifend nicht sicher und die können auch dann mit dem Bedürfnis der Pilger verschoben werden.
"Ob auf der falschen oder richtigen Via Dolorosa ist wurscht"
Gessler: Jetzt haben Sie ja unter anderem nachgewiesen, dass tatsächlich die Via Dolorosa, also der Kreuzweg, der heute immer noch als Via Dolorosa gilt, eben nicht historisch ist, nicht authentisch. Trotzdem gibt es jedes Jahr am Karfreitag auf diesem Weg eben Prozessionen von Gläubigen. Wie gucken Sie diese Prozessionen an? Sind Sie leicht belustigt, weil Sie die ganze Zeit wissen: Das ist nicht der richtige Ort, das ist nicht der richtige Weg?
Vieweger: Also ich mache das ganz anders. Zunächst mal: Ich bin nicht sehr oft Ostern in Jerusalem, weil das ist die beste Ausgrabungszeit, und deshalb bin ich in dieser Zeit gar nicht in Jerusalem. Wenn ich aber da bin, dann mache ich das alles mit, um einfach auch mal gesehen zu haben: Wie machen Pilger dies? Und natürlich ist in Jerusalem sehr interessant: Wie ist eben das Ostern der Orthodoxen, wie ist das Ostern der Westeuropäer? Und das ist einfach interessant, es ist auch religionsgeschichtlich interessant und kirchengeschichtlich.
Aber wenn ich da bin, dann laufe ich auch die falsche Via Dolorosa, und ich laufe durchaus mit Inbrunst, ärgere mich eher über diese Leute, die eben statt irgendwelcher Andacht ihre Handys hochhalten und ihre iPads und alles fotografieren müssen, als müssten sie nun jeden Augenblick dieses Weges festhalten. Nein, ich denke schon: Es sind eben wirklich Erinnerungswege, die wir da gehen, und diese Erinnerungswege können tatsächlich am Karfreitag helfen, sich darauf zu besinnen: Was ist hier in dieser Stadt, nicht an diesem Ort, aber in dieser Stadt einmal passiert? Und wer das nicht braucht, wer das lieber im stillen Kämmerlein macht, der kann das auch im stillen Kämmerlein machen.
Es wäre nur ganz schön, wenn man sich auf dem Karfreitag daran erinnert, was da passiert ist und an welcher Stelle, ob in Deutschland, auf der falschen oder der richtigen Via Dolorosa ist eigentlich wurscht.
"Jeder schreibt mit den Möglichkeiten seiner Zeit"
Gessler: Was macht denn das, was Sie tun, also dass Sie zum Teil jahrhundertealte Mythen durch Ihre Arbeit zerstören, mit ihrem eigenen Glauben als Christ und Theologe?
Vieweger: Also mir war das eigentlich nie eine Frage, ob ich glauben kann und ausgraben kann. Ich bin ja eigentlich durch eine theologische Schule gegangen in der Leipziger Universität, wo man mich vieles, vieles gelehrt hat, wo ich einfach verstanden habe: Aha, das Alte Testament ist ein historisches Dokument eines großen Volkes, über 1000 Jahre geschrieben, hier schreiben Leute an mich, hier schreiben Leute erst mal an ihre eigene Welt und an ihre eigenen Nachkommen - die denken natürlich nicht erst mal an mich, sondern die denken an ihre eigenen Nachkommen -, und sie schreiben ihre Geschichte auf. Und sie schreiben auf, was sie von Gott erkannt haben, wie sie es erkannt haben.
In den Zeiten, in denen man noch nicht lesen und schreiben konnte, da hat man Sagen erzählt um eine historische Begebenheit herum, oder später hat man eben Annalen aufgeschrieben in Königsbücher. Also ich sehe doch ein historisches Buch, das in dieser Historie geschrieben ist, aber ich habe da Glaubenszeugnisse drin und ich habe da die Meinung von verschiedenen Leuten drin, wie sie ihre Welt und die, die abgelaufen war, also ihre Historie, sehen. Und wenn ich das so betrachte, habe ich überhaupt kein Problem damit, wenn mir jemand sagt: Na ja, gut, aber das hier ist doch nicht ganz richtig, dass die Leute gedacht haben, da ist eine Feste und oben drüber ist eben diese berühmte Käseglocke. Nun, bitte schön, das ist die Weltanschauung der damaligen Welt. Wie wollte man das anders sehen?
Im Mittelalter haben wir uns ja auch nicht vorstellen können, dass Flugzeuge fliegen, und es ist bis zum heutigen Tag doch auch nicht ausgemacht, dass all unsere Wissenschaft uns heute schon die volle Welterkenntnis gibt Also jeder schreibt in seiner Zeit, jeder schreibt mit den Möglichkeiten seiner Zeit und jeder drückt das auf seine Weise aus, und der hat natürlich auch eine religiöse, sagen wir, auch eine ätiologische Art und Weise, er hat ja eine Botschaft zu sagen. Das muss ich natürlich analysieren und schaue: Inwieweit trifft das heute noch für mich zu? Die Aufgabe habe ich einfach.
"Kannst du überhaupt noch glauben?"
Als ich promovierte in der Ur- und Frühgeschichte, das habe ich in Zypern gemacht, da hatte ich ein Thema aus Zypern zu bearbeiten und saß dort mit Kollegen gemeinsam. Da ist mir zum ersten Mal die Frage von anderen gestellt worden: Kannst du überhaupt noch glauben, wenn du das alles weißt, was in der Geschichte passiert ist? Und dann muss ich so dumm aus der Wäsche geguckt haben, weil ich mir diese Frage nie gestellt habe. Jawohl, ich konnte immer glauben, weil ich nie direkt an den Wortsinn geglaubt habe, sondern immer wusste, das ist mit Raum und Zeit passiert und das sind Menschen, die ihre Gotteserfahrung machen. Und hier hilft mir auch ein bisschen die jüdische Vorstellung von Glauben: Da ist es doch so, dass sie sagen, ja, Gottes Offenbarung war früher da, als die Thora geschrieben ist, dann die Propheten, dann die Schriften und dann kommt der Talmud, und jeder von uns heute hat doch auch Glaubenserkenntnisse, und die könnte man dem und die kann man dem auch hinzuschreiben. Das ist wie so ein Ball, der immer größere Umfänge bekommt, und so geht die Offenbarung im Glauben weiter.
Gott offenbart sich einfach auch heute noch in weiterer Art und Weise, und nie ist immer alles gleich gewesen. Die jüdische Religion hat sich entwickelt und so sagt man eben: Ja, Gott hat sich in der Geschichte uns immer wieder offenbart. Ich finde, das sind für mich schöne Gedanken, Voraussetzungen auch, zu verstehen: Jawohl, auch wir kommen Gott heute in einer anderen Weise und in einer weiteren Weise näher als eben die Leute im Mittelalter oder die Leute, die in neutestamentlicher Zeit hier lebten.
Das macht mir eigentlich gar keine Angst, sondern das hilft mir eigentlich, die Dinge gut zu verstehen, und deshalb ist das für mich auch eigentlich keine Herausforderung. Ich glaube nicht, dass die Archäologie irgendwas zerstört.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Hören Sie hier den ersten Teil und hier den zweiten Teil des Interviews nach.