Arbeitsrechtler: Neues Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ist "eindeutig ein Rückschritt"

16.01.2013
Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler hat das von der Bundesregierung geplante neue Arbeitnehmerdatenschutzgesetz scharf kritisiert. Vor dem Hintergrund der Beratungen des Innenausschusses sagte Däubler, das neue Gesetz sei "so was von unverständlich, kompliziert, schlecht gearbeitet, widersprüchlich, dass man auch wegen dieser handwerklichen Mängel sagen müsste: Besser kein Gesetz als so eines".
André Hatting: Die Bundesregierung will den Datenschutz von Arbeitnehmern verbessern. Heute berät der Innenausschuss über diese Pläne. Es wird eine heiße Diskussion, denn die Opposition ist sich einig: Aus Skandal wird legal. Der Gesetzentwurf schütze die Arbeitnehmer nicht vor allzu neugierigen Chefs, sondern - im Gegenteil - gibt diesen jetzt einen gesetzlichen Freifahrtschein zum Bespitzeln. Die SPD spielt sogar mit dem Gedanken, das geplante Gesetz von den Karlsruher Richtern prüfen zu lassen. Aber ist es wirklich so schlecht? Darüber möchte ich jetzt mit einem der bekanntesten Arbeitsrechtler sprechen, mit Wolfgang Däubler. Guten Morgen, Herr Däubler!

Wolfgang Däubler: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Anlass für diesen Gesetzentwurf war ja unter anderem die Praxis von Lidl. Der Lebensmitteldiscounter hatte seine Angestellten heimlich gefilmt. Das wird jetzt ausdrücklich verboten - klingt nach einem Fortschritt.

Däubler: Das klingt in der Tat nach einem Fortschritt, gehört auch zu den ganz wenigen positiven Punkten. Auf der anderen Seite muss man aber natürlich sehen, der Gesetzgeber sagt überhaupt nichts dazu, was passiert, wenn dieses Verbot nicht eingehalten wird. Wenn also trotzdem, so wie bei Lidl, heimliche Videoüberwachung stattfindet, da wäre es notwendig gewesen, ausdrücklich zu sagen, dass man die so gewonnenen Informationen nicht gegen den Einzelnen verwenden darf. Die Rechtsprechung ist da leider relativ großzügig, also hier wäre es nötig gewesen, eine klare Grenze zu ziehen.

Hatting: Weiterer Punkt sind Bewerbungsgespräche, da werden neugierige Personalchefs jetzt gebremst. Fragen nach Vorstrafen sind nur noch erlaubt, wenn sie mit dem Job zu tun haben. Also wenn ich im Supermarkt jemanden an die Kasse setzen soll, der dort arbeiten soll, dann würde ich auch gern wissen, ob der wegen Diebstahls vorbestraft ist, Sie nicht?

Däubler: Natürlich würde ich das gern wissen, und ob das eine wirklich sehr kluge Entscheidung ist, wie das formuliert wurde in diesem Zusammenhang, das kann man in der Tat bezweifeln, denn da ist man auf der einen Seite sehr weit gegangen, indem man gesagt hat, also man darf nach Vorstrafen nur fragen, wenn das Fehlen von Vorstrafen unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit ist. Also möglicherweise könnten Sie die Bewerberin um eine Kassiererstelle durchaus weiter fragen. Sie haben auf der anderen Seite aber eine ganz schlimme Ermächtigung: Der Personalleiter, der einen Bewerber einstellen will, kann sich nämlich vom Bewerber ermächtigen lassen, bei Dritten nachzufragen. Dieses bedeutet, er wird natürlich sich ermächtigen lassen, den früheren Arbeitgeber zu fragen, und den kann er dann in jeder Hinsicht über den Beschäftigten ausquetschen, kann alles ...

Hatting: Herr Däubler, das geht aber nur, wenn ich dem zustimme als Bewerber.

Däubler: Richtig, aber wenn Sie nein sagen als Bewerber, fragen Sie meinen früheren Arbeitgeber bitte nicht über mich, dann ist das nicht gerade eine Empfehlung. Also werden Sie im Regelfall als Bewerber natürlich ja sagen.

Hatting: Die geplanten neuen Regelungen passen sich den Branchen an - in Callcentern dürfen die Kundengespräche in Zukunft mitgehört werden, es reicht ein Hinweis. Also wenn ich mir vor Augen führe, wie oft ich von Callcenter-Agents schon dumm angemacht worden bin, dann kann ich durchaus verstehen, dass ein Callcenter-Leiter bedarf hat, die Gesprächsqualität seiner Mitarbeiter regelmäßig zu kontrollieren.

Däubler: Also nach bisheriger Rechtsprechung war das so, dass man Stichproben machen konnte, wenn Leute zu erproben waren oder wenn es sich um einen, sagen wir mal, um einen Fall handelt, wo jemand Gegenstand einer Beschwerde war, dass sich ein Kunde beschwert, er ist dumm angemacht worden, und dann konnte man so etwas überwachen. Jetzt geht es im Prinzip praktisch dauernd, und das heißt, also die ganzen Gespräche, die man da führt, sind unter dauernder Überwachung. Das würde Ihnen wenig Spaß machen, wenn jedes Telefongespräch, das Sie führen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aufgezeichnet und dann überwacht wird.

Hatting: Stichwort Verdacht und Überwachung: Wenn jemand Pfandbons oder wegzuschmeißende Maultaschen mitnimmt, dann gibt das der Firma zukünftig das Recht, ihn zu überwachen. Ist das richtig?

Däubler: Also diesem Verdacht kann die Firma nachgehen, aber dagegen ist gar nicht so furchtbar viel zu sagen, zumal da ein Verhältnismäßigkeitsvorbehalt drin ist. Nur die Firma kann auch das machen, was man bei der Deutschen Bahn als Skandal mit Recht bezeichnet hat. Sie kann nämlich hergehen und ohne besonderen Anlass die gesamten Daten der Beschäftigten auswerten. Das ist so konstruiert, dass man sagt, der Unternehmensleiter ist verpflichtet für die Einhaltung von Rechtsnormen in seinem Unternehmen zu sorgen.

Und um dieses wirksam zu tun, kann er, ohne dass eine besondere Veranlassung besteht, dann die gesamten Daten auswerten, also zum Beispiel den E-Mail-Verkehr, den jemand hatte. Hat jemand E-Mail-Verkehr mit irgendwelchen Leuten, gegen die man irgendwelche Bedenken hat? Und das ist auch wieder eine Überwachungsmaßnahme, die nach bisherigem Recht so nicht möglich gewesen wäre, siehe den Bahn-Fall, und das Eigenartige ist, man hatte im Koalitionsvertrag im Jahr 2009 versprochen, den Arbeitnehmerdatenschutz zu verbessern. Und das, was man jetzt hat, ist eindeutig ein Rückschritt, man legalisiert das, was bei der Bahn mit Recht kritisiert wurde.

Hatting: Herr Däubler, ist Ihr Fazit also, besser kein Gesetz als dieses?

Däubler: Eindeutig, zumal noch eines dazukommt: Das Gesetz ist außerordentlich lang. Und wenn Sie irgendjemanden davon abschrecken wollten, irgendwann mal Jura zu studieren, dann gäben Sie dem das Gesetz und sagen Sie ihm: du kriegst zwei Tage Zeit, liest das Ding, und wenn du es dann verstanden hast, dann erzähl mir mal, was drin steht. Und ich garantiere Ihnen, jeder Abiturient würde sagen, nie wieder Jura. Das ist so was von unverständlich, kompliziert, schlecht gearbeitet, widersprüchlich, dass man auch wegen dieser handwerklichen Mängel sagen müsste, besser kein Gesetz als so eins.

Hatting: Zum geplanten Gesetz für mehr Datenschutz am Arbeitsplatz war das der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler. Danke für das Gespräch, Herr Däubler!

Däubler: Bitte schön, Herr Hatting!

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