Arbeitsplatz Raubtierkäfig

Von Jörn Klare · 27.07.2008
Er ist 25 Jahre alt und sicher nicht ängstlich. Seine Arbeitspartner bzw. Untergebenen sind zwei Tigerinnen, drei Löwinnen und drei (unkastrierte!) Löwen. Fünf Tage in der Woche betritt er jeweils nachmittags und abends mit ihnen die Manege des traditionsreichen Zirkus Busch-Roland.
Was er dann mit lässigen Gesten vorführt, ist das Ergebnis jahrelanger, harter Arbeit. Dabei geht es nicht um Macht, sagt Dieck jr., sondern um Vertrauen und Geduld. Schon seine Eltern waren Raubtierdompteure.

Der riesige "Zentrale Festplatz" von Berlin, neun Uhr morgens. In einer Ecke - umgeben von gut zwei Dutzend Wohnwagen und LKWs - das große blaue Zelt vom Zirkus "Busch-Roland". Hinter einem der Wagen hängen an einer dicken Stange acht mächtige Fleischbrocken. Davor ein junger Mann. Er wetzt ein großes Messer. Im Hintergrund der Lärm der nahen Autobahn und der startenden Maschinen vom dahinter liegenden Flughafen Tegel.

Tom: " Hier bereite ich gerade das sogenannte Probefleisch vor. Das sind so kleine Gulaschstückchen, die man am Ende eines Stockes aufspießen kann als Belohnung für die drei jungen Tiger. (...) Nora aufpassen! Lieb sein! "

Ein langer zum Käfig umfunktionierter LKW-Anhänger. Hinter den Gittern jeweils voneinander getrennt: zwei Tigerinnen, ein Tiger, zwei Löwinnen und drei Löwen. Direkt vor dem Käfigwagen, ein kleines, komplett vergittertes Gehege mit ein paar Baumstämmen, Podesten, einem Wasserbassin. Darumherum noch mal ein Metallzaun um neugierige Raubtierfreunde abzuhalten. Direkt am Raubtierkäfig - der 25 jährige Tom Dieck Junior. Eins-neunzig groß, sportliche Figur, kurze schwarze Haare, braune Augen, breites Kinn. Ein Raubtierdompteur in Dritter Generation mit Gummistiefeln, grauem Arbeitsoverall und Basecape.

" Die Tiger sind eigentlich technisch soweit fertig von der Arbeit her, die machen ja einiges. Nur das Zusammenführen mit den Löwen , da ist noch ein bisschen Spannung im Käfig. "

Etwa 15 Dressurnummern mit Raubkatzen gibt es in ganz Europa. Diecks Gruppe zählt zu den besten. Seine Augen ruhen auf seinen prächtigen Tieren. Sehr große Katzen mit sehr großen Zähnen und riesigen Pranken. Seit drei Jahren betritt er die Manege mit den Löwen. Seit einem Jahr ist er dabei die drei Tiger in die Show zu integrieren.

Tom: " Mir sind fünf persönlich zu wenig. Und die Konkurrenz schläft nicht. Und fünf sind etwas wenig, finde ich. "

Mit einer langen Eisenschaufel zieht Dieck durch einen kleinen Schlitz Stroh aus den Käfigen. Die Tiere reagieren gelangweilt. Die Löwinnen sind sterilisiert, die Löwen aber nicht kastriert. Sie würden ihre Mähne verlieren. Das sieht nicht gut aus.

Tom: " Unser ganzer Stolz unser Kongo. Das ist im Augenblick, glaube ich einer der größten Männerlöwen, die es in Gefangenschaft gibt. – Nich Kongo? Grosse. – Der ist fast ein Meter zehn Rückenhöhe. – ne? Großer Junge. Steh mal auf, zeig dich mal. "

Die Tiere stammen aus dem Zoo. Die Löwen aus Belgien, die Tiger aus der Schweiz. In einer halben Stunde beginnt die Probe mit den Löwen und den Tigern.

" Die Löwen glaube ich, machen da keine Probleme, weil die Nummer steht schon. Die sind jetzt fünf Jahre alt. Die Nummer steht. Die sind einfach auf ihrem Platz, machen ihre Arbeit. Solange die Tiger nicht auf die Idee kommen zu den Löwen rüber zugehen und mit denen spielen wollen oder halt mal gucken, wie stark die sind – dann geht das. Wenn natürlich der Tiger dahingeht und sagt: hier ich bin ein großer Tiger – wer bist du? Kann sein, dass der Löwe ihm da eine Ohrfeige gibt und dann ist aber wahrscheinlich auch gut, dann hat er seine Lektion gelernt. "

Noch sind die Löwen größer und stärker. Das wird nicht immer so sein. Ausgewachsene Tigermänner sind mit einer Körperlänge von bis zu zwei Metern achtzig die größten Raubkatzen der Welt. Dieck schiebt die Kappe in den Nacken. Die Tiger tigern. Die Löwen dösen.

" Und das sind eigentlich so Situationen, wo der Dompteur nicht eingreifen sollte, bis zu einem gewissen Punkt natürlich, dass die auch ein bisschen untereinander ihre Grenzen setzen. Irgendwann kommt der Tag, wo der Tiger seine Chance sieht und dann kann natürlich ein Kampf daraus entstehen. "

Der Tiger schaut interessiert und der Dompteur erinnert sich an seinen ersten, bisher einzigen Unfall. Eine Fleischwunde. Ursache: nicht die Raublust der Raubtiere sondern Konzentrationsmangel beim damals jüngsten Löwenbändiger Europas.

" Ein Riesenpressewirbel wurde darum gemacht und immer Zeitungen und Fernsehen und dann denkt man natürlich: Ich habe es jetzt geschafft, ich bin angekommen. Und eines Tages ist halt bei einem Scheinangriff mit meinen Löwen - halt zu nah ran und zu selbstbewusst und da habe ich die Hand aufgehabt und dann kommt man doch wieder auf den Boden zurück und denkt: Scheiße. "

In den Raubtierkäfig hinein kann jeder, sagt Dieck, nur nicht wieder raus. Er grinst. Scheint ein aller Dompteurswitz zu sein. In die Wohnkäfige zu den Tieren geht er nie. Da herrscht auch für ihn Lebensgefahr.

Im Zirkuszelt. Leere schmale Bänke für bis zu 1400 Zuschauer. Kaltes Scheinwerferlicht. Die Manege im Durchmesser knapp 13 Meter. Der Boden aus Lehm, darüber Sägespäne. Der große Käfig für die Raubtiernummer ist schon aufgebaut. Auf dem Orchesterpodest übt ein Saxophonist für die Abendvorstellung. Dieck bei den letzten Vorbereitungen für die Probe. Er befestigt die Hocker auf denen die Raubkatzen sitzen werden an den Käfigstäben. Zu Sicherheit.

" Das ist eigentlich in der Vorstellung nicht der Fall. Dass wir jetzt die Löwen und die Tiger zusammenbringen – das kann etwas aufregend sein für die, dass die etwas durch die Gegend rennen. Letztens hat ein Löwe die Tigerin so gejagt im Spiel und deren Sitzplatz ist eigentlich deren Ruhepool, deren Sicherheit und wenn das auf dem Kopf liegt und umfällt, dann ist das für die natürlich Panik, weil die halt keinen Platz haben, wo sie hinkönnen und das ist einfach ein Risikofaktor dann ausschalten.

Dieck konzentriert, jeder Handgriff sitzt. Er probt gern.

" Ich sehe es eher als Therapie ein bisschen. Weil da habe ich eigentlich Zeit, da ist kein Publikum. Ich kann da, wenn ich will mit denen eine Stunde im Käfig stehen und mit denen da rumfummeln, und das macht mir eigentlich mehr Spaß als der Auftritt selber. "

Diecks Mutter kommt ins Zelt, dann auch der Vater - Tom Dieck Senior. Beide sind um die 50, beide etwas wohlbeleibt, beide mit jeweils mehr als 30 Jahren Erfahrung in der Raubkatzendressur. Sie kommen nicht aus Neugier oder Anhänglichkeit. Sie reisen mit, sind bei jeder Probe, bei jedem Auftritt dabei. Immer. Zur Sicherheit ihres Sohne. Der steht jetzt mitten in der vom Käfig eingeschlossenen Manege. Wartet auf die Tiere. Nacheinander nähern sich zwei Löwinnen und zwei Tigerinnen aus dem langen Käfigtunnel, der direkt zu ihren Wagen führt.

Die Tiere unruhig. Dieck konzentriert. In den Händen einen langen Bambusstock und eine kleine Peitsche. In einer Tasche am Gürtel die vorher zurechtgeschnittenen Fleischstücke. Die Katzen streifen geduckt durch die Manege. Schöne Tiere. Dieck aufrecht, zeigt Präsenz, dirigiert mit dem Stock, spricht ständig zu den Katzen. Er ist das Alphatier, Chef der Manege.

Die Tiere jetzt auf ihren Podesten. Dieck spießt Fleischstücke auf seinen Stock, verteilt sie an seine Tiere. Im Käfig kehrt etwas Ruhe ein - gespannte Ruhe. Dieck beginnt mit den Übungen, mischt Tigerinnen mit Löwinnen, führt die Katzen mit dem Stock auf verschiedene Positionen. Die lassen ihren Dompteur nicht aus den Augen.

Dieck dressiert, seine Eltern dressieren mit. Auch seine Verlobte - eine hübsche, junge Frau mit langen dunklen Haaren - ist dabei, steht mit einem Stock in der Hand hinter einer Löwin und einer Tigerin, außerhalb des Käfigs. Sie stammt nicht aus einer Zirkusfamilie, ist erst seit fünf Wochen dabei und - sieht sehr tapfer aus.

Mittlerweile ist auch der männliche Tiger in der Manege. Leichte Unruhe bei den Löwinnen. Dieck lenkt, leitet die Tiere. Nicht alle sind immer einverstanden.

Wenn sich der Dompteur einem Tier intensiver widmet, muss er die anderen aus den Augen lassen. Machen diese Anstalten, das auszunutzen, schaltet sich der Vater ein.

Eine Tigerin soll von Podest zu Podest springen. Die sind niedrig. Die Katze läuft lieber unten rum. Dieck lockt mit Fleisch, treibt mit dem Stock, berührt die Tiere aber nur ganz selten und nie brutal. Doch die Tigerin ist von ihrer Aufgabe nicht wirklich überzeugt. Auch die Rezepte vom Senior zeigen keine Wirkung.

Der Sohn redet weiter, lockt, führt. Dann – die Katze springt. Sieht sehr einfach aus. Dieck belohnt und beendet die Übung. Dressur ist vor allem Geduld. Ein kostbares Gut, das nicht überstrapaziert werden darf. Er wendet sich dem Tiger zu und dem, was mal der Höhepunkt der Nummer werden soll.

Das große Tiere, das noch viel größer werden wird, soll auf die Hinterbeine und ein paar Schritte laufen. Überraschend schnell richtet sich der Tiger auf, höher und höher, wirbelt die Pranken in der Luft, überragt den Dompteur, schlägt nach seinem Stock. Neben aller Dressurkunst, aller Technik, aller Erfahrung – das braucht Mut

Dann ist Schluss, Ende der Probe. Dieck junior schweißgebadet, Dieck senior zufrieden. In Jeanshose, Jeansjacke, und Cowboyhut steht er draußen am Käfig.

Vater von Tom: " Hut ab vor dem jungen Kerl, dass der so Einschränkungen in seinem Leben auf sich nimmt. Der hängt jetzt daran fest. "

Eine der Tigerinnen kommt näher, drückt sich an die Gitter, will gelobt werden. Dieck senior streichelt – kurz und ganz vorsichtig. Sonst ist sein Finger weg, sagt er.

Vater von Tom: " Ganz eifrige Arbeiterin, will was lernen unbedingt, weiß alles schon – zu schnell eigentlich. NA, NA, NA (zum Tiger das ist auch das, was sie als erstes lernt – Nein, negativ ist – NA, NA, NA ! Hat man gerade jetzt gesehen. Zack, glich . . . Das ist natürlich unsere Waffe, dass wir nur ein Geräusch machen oder eine Bewegung machen. Und ich habe das mein Leben lang mit dem harten Unterton – das imponiert den Tieren irgendwie. "

Seit der Sohn in der Manege steht, ist für den Vater Schluss. Fast 35 Jahre sind genug. Der Senior grinst. Die Tigerin räkelt sich im Stroh.

Vater: " Ich hab den größten Häusern Europas gearbeitet und hab mich da ehrlich gesagt nicht richtig für anstrengen müssen. "

"Tom Dieck" – das ist ein anerkannter Name in der Zirkusszene. Der Sohn trägt ihn weiter. Der Vater ist stolz und schiebt sich den Hut in den Nacken. Die Tigerin gähnt.

" Ich war immer mehr der Showman. Und er will Qualität und dressieren und probieren. Das ging mir früher quer am Arsch vorbei. Ich bin da rein – meine Löwen haben nie große Sachen gemacht, immer nur so ein bisschen Remmidemmi. Was ich aber immer gehabt habe, ich konnte immer ohne Peitsche arbeiten, habe nur so einen kleinen Stock gehabt und konnte alle meine Löwen anfassen. Die großen Löwenmänner, die habe ich so an den Haaren "Komm mal her! Stell dich mal hier hin!" Und das war für die Leute irgendwie bestechend. Die haben gedacht, wie macht der das? Und ich habe überhaupt gar nichts. Ich habe nur gute Tiere gehabt. Und bin gut mit den Tieren umgegangen mein Leben lang und hab einfach Glück. "

Mit Gewalt geht gar nichts, sagt der Altdompteur. Sein Blick ernst. Die Tigerin vermutlich eingeschlafen. (Im Zelt probt das komplette Orchester.

" Ich stehe darauf – Vertrauen und Futter und langsam und easy und da stecken sieben Monate tägliche Arbeit dahinter und das geht schon an die Substanz geduldsmäßig. Da sitzt man manchmal. "Jetzt hat er es, jetzt hat er es!" und dann nächste Probe, wie ein Anfänger wieder total. "

Beim dem Wort "Futter" zuckt - so scheint es - ein Augenlid der Raubkatze. Im Hintergrund, einen Käfig weiter, das Tigermännchen.. Ein Prachttier – mit viel Potenzial.

" Der eine Tiger, der so ruhig ist und eigentlich am gehorsamsten ist – das wird ein Problemtiger. Der wird charakterlich so stark, dass er sagt "Leck mich, ich bin der Chef! So nun zeig mal, was du kannst." Das sind natürlich Tiger oder Tiere, vor denen man sich in Acht nehmen muss, weil man einfach das Potenzial von dem Tier nicht 100%ig weiß. Da kommt der Tag, da muss man clever sein, da muss man schon ein bisschen Erfahrung im Topf haben, dass man weiß, wie man damit umgehen muss. "

Besuch von einer Kindertagesstätte. Die zwölf Zwerge mit großen Augen. Eltern und Erzieher mit besorgtem Blick. Die Raubtiere völlig uninteressiert. Da die Krallen sich aber nicht bewegen, die wilden Katzen weder brüllen noch fauchen, nicht einmal gähnen, ziehen die kleinen Tierfreunde alsbald zu den Lamas weiter, hoffen, dass die zumindest mal spucken werden. Eine Frau – etwa 30 Jahre alt, Jeans und Lederblouson – verweilt noch.

Frau:" Wieviel laufen die denn? "

Gar nicht, sagt Dieck.

Tom: " 18 bis 20 Stunden – liegen, schlafen, fressen. "

Die Frau geht weiter. Ihr Blick halb mitleidig, halb vorwurfsvoll.

Tom: " Das ist immer so die große Frage: Ja, haben sie genug Platz? Wie viel laufen die denn? Die Leute denken immer, die laufen von morgens bis abends durch die Gegend. "

AUTOR Er schaut der Frau nach. Wildtiere im Zirkus – ein umstrittenes Thema. Dieck kennt die Diskussionen und Vorbehalte.

" Klar gibt es immer Leute, die dagegen sind. Wir tun halt unser Bestes, um den Tieren das Beste zu geben. Tun halt nichts Illegales. Viele Leute denken immer das ist illegal und Zirkus ist sowieso so eine Grauzone und pipapo. Wir haben halt einen schlechten Ruf - leider. Man kann es nur ändern, in dem man es gut macht, denke ich, über lange Sicht. "

Seit 10 Jahren gibt es eindeutige Richtlinien und regelmäßige Kontrollen was Platzangebot, Fütterung, Transporte und so weiter betreffen. Dieck begrüßt das, hofft dass so die schwarzen Schafe, die das Ansehen der ganzen Branche gefährden, aussortiert werden. Er zeigt auf seine Transporter und Käfige.

" Wir haben halt Außengehege gebaut und einen neuen Wagen bauen lassen. Muss halt weitergehen, wenn man mit dem Herzen dabei ist, tut man halt alles, dass es weitergeht. "

Dieck – vor der Schubkarre voller Tiger- und Löwenmist - ist selbständiger Unternehmer, der jedes oder jedes zweite Jahr einen Vertrag mit einem anderen Zirkus abschließt. Vierhundert gibt es in ganz Deutschland. Busch-Roland ist einer der ältesten und größten. Diecks Tagesgage ist festgelegt. Das geschäftliche Risiko liegt beim Zirkusunternehmen und das Risiko ist groß.

" In großen Städten ist das sehr schwer. Ich denke, da ist einfach die Auswahl so groß an Entertainment. Auf der anderen Seite: in kleinen Städten, Dörfern, da läuft es wieder. Man sieht viel mehr Jugendliche in der letzen Zeit in den Zirkus kommen, früher war es ja uncool in den Zirkus zu gehen. Ich denke, die haben einfach die Schnauze voll von diesem ganzen elektronischen Entertainment und Internet und Kino und Fernsehen und die wollen wieder mal einfach was Echtes, was Pures sehen, wo auch mal was schiefgehen kann. "

In der Manege im leeren Zelt feilen zwei tschechische Jongleusen an ihrem Auftritt. Am Rand spielt der kleine Sohn der einen mit seinem Großvater.

Entspannte Atmosphäre – Keulen können auf den Kopf fallen aber nicht beißen.

Tom: " Wir arbeiten den ganzen Tag, um diese zehn Minuten perfekt rauszubringen. Da muss man schon sein Bestes geben. "

Dieck auf einer der Bänke, die Beine weit von sich gestreckt. Er mag die Zirkusluft. Sie ist sein Zuhause. Zu lange an einem Ort – das bedeutet Langeweile. 60 bis 70 mal wird das Zirkuszelt in einer Sommersaison ab und woanders wieder aufgebaut.

Tom: " Mein Opa hat damit angefangen, der ist als junger Bursche von zu Hause weg und zum Zirkus 321:24 Mein Vater ist einfach bei den Raubtieren hängen geblieben. Mein Opa hat ne Löwennummer ins Engagement, also einen Vertrag gemacht, dabei hatte er weder Löwen, noch Dompteur, noch Wagen noch gar nichts gehabt – ja, ja Vertrag unterschrieben. Und mein Vater als Sechzehnjähriger: Was machen wir jetzt? – Ja machen wir schnell ne Löwennummer fertig. Und dann Löwennummer fertig gemacht, ging auch relativ schnell. Und dann der Dompteur, der es vorführen sollte, ist dann abgesprungen relativ kurzfristig, hat dann Opa gesagt: Komm mach Du das, bis wir jemanden gefunden haben! Mein Vater hatte ja Erfahrung, hatte ja schon oft im Käfig gestanden. Und auf den Ersatz warten wir heute noch eigentlich. "

Bei den Diecks ist nicht nur der Vater stolz auf den Sohn. Umgekehrt gilt das Gleiche. Der Junior knetet die muskulösen Beine.

" Als ich 16 war, habe ich mir gedacht, das ist mir zu viel Arbeit. Lieber was anders – Jongleur oder irgendwas, was nicht so mit dieser zeitaufwendigen Arbeit verbunden ist. Das ging aber schnell vorbei – mit 17, 18 habe ich gedacht, wäre schade, wenn es da aufhört – dritte Generation, das muss ja weitergehen. "

Zirkusleben - für Dieck ist das ein Alltag mit viel Routine, vielen Pflichten, viel Arbeit - egal wie das Wetter ist, egal was der Körper sagt. Dazu das Risiko. Dieck hat eine teure Versicherung – die gleiche Kategorie wie Formel 1-Rennfahrer. Doch im Käfig bei den Katzen gilt sie nicht. Da zählen nur Konzentration und Disziplin. Und wenn man Glück hat wie Dieck Junior, dann ist der Mann, der immer draußen direkt an der Käfigtür steht, der eigene Vater.

Tom: " Ich kann mich 100% auf ihn verlassen, ich brauch ihn nur anzugucken. Wir wissen schon, was wir meinen. Ich weiß, wenn was passieren sollte – Toi, Toi, Toi – er kommt rein und holt mich da raus. "

Ein Schluck Kaffee. Auf der Tasse das Foto einer seiner Löwen. Dass sein Vater ihn, den 25-Jährigen auch schon preisgekrönten Dompteur, bei der Arbeit ständig beobachtet, ständig Ratschläge gibt und vieles, vieles besser weiß – stört den Junior nicht, sagt er.

" Egal, wie alt man ist, man ist nie zu alt für ne Ohrfeige – sagt mein Vater immer. Gut, meine letzte war mit 16, aber trotzdem, man hat im Zirkus einen ganz anderen Respekt vor seinen Eltern. In diesem Umfeld muss einfach eine gewisse Disziplin sein, weil das einfach ein gefährliches Umfeld ist. Und dann kommt dazu, mein Vater hat eine praktische Erfahrung von fast 40 Jahren, die kann man natürlich für kein Geld der Welt kaufen, da kann ich auch nicht als 25-Jähriger sagen: Ja, ich weiß schon, halt mal die Klappe. Erstens darf ich nicht, weil ich dann eine gepfeffert kriege, und zweitens kann ich es mir nicht erlauben, weil ich diese Erfahrung nicht habe. "
Wie ist es mit der Angst? Dieck schüttelt den Kopf.
" Wenn man da jetzt in den Käfig geht und Angst hat, sollte man es lieber sein lassen. Man muss einen großen Respekt vor den Tieren haben, man muss wissen, wozu die fähig sind. Man muss immer im Hinterkopf behalten, dass da eine Gefahr ist - klar es sind Raubtiere. Aber richtig mit Angst darein gehen, sollte man nicht. Viele sagen: Angst ist gesund, da passt man mehr auf, aber das ist nicht so. Weil wenn man Angst hat, ist man unsicher, macht man Fehler, Tiere merken das auch. Und man muss sich vorstellen mit einer Raubtiergruppe im Käfig, ist man das Alphatier und im Rudel, wenn das Alphatier unsicher ist, dann kommt halt der Nächste um den Platz zu übernehmen. "

Dompteure übrigens, sagt Dieck und stellt die Tasse ab, gibt es nicht nur im Zirkus.

Tom: " Ich habe letztens eine Doku gesehen über den Chef von Trigema – das ist vom Psychologischen eigentlich genau wie eine Raubtiernummer. Der läuft den ganzen Tag durch die Fabrik und schaut jedem auf die Finger und alle sind auf den Zehenspitzen und es klappt auch immer, weil der Chef könnte ja jeden Augenblick vorbeikommen und so und genauso ist es eigentlich auch beim Dressieren, man muss immer zeigen, dass man da ist. Und dass man ein Auge darauf hat auf alle. "

15:30 Uhr – eine halbe Stunde bis zur Nachmittagsvorstellung. Die Bänke spärlich besetzt. Eltern und Großeltern mit aufgeregten Kindern. Das Zelt nicht einmal viertelvoll.

Hinterm roten Samtvorhang. Zwei Glühbirnen produzieren mehr Schatten als Licht. Kiesboden. Ein paar alte Stücke Teppichboden für Dehnübungen der Akrobaten. Ein Spiegel für alle 20 auftretenden Artisten. Alte, warme Mäntel über glitzernden Kostümen. Bereitmachen für die Ouvertüre, den gemeinsamen ersten Auftritt in der Manege. Dieck trägt Leder- statt Gummistiefel, eine enge schwarze Stretchhose, ein weißes, weites Hemd, eine lange, rote, mit Pailletten bestickte Weste und viel Schminke im Gesicht. Seine Nummer kommt erst nach der Pause. In Gedanken ist er schon dabei.

" Man sieht schon, wenn was wirklich schiefgeht. Das sieht man auch als Laie. Wenn jetzt ein Tier zu einem kommen soll und der kommt einfach nicht. Und man setzt wirklich fünf- , sechsmal an bis es klappt. Dann sieht man das schon. Aber wenn so Kleinigkeiten schief gehen, das sieht der Laie nicht so. "

Dieck überprüft die Knöpfe seiner Weste. Das Publikum, sagt er, kann die Arbeit, die hinter den einzelnen Tricks steckt, nur schwer einschätzen. Oft kommen Kleinigkeiten - Tiger, der ein Fleischstück mopst - viel besser an. Aber wenn es mal wirklich aufregend wird, merkt das jeder.

" Ein Kollege von mir der war in Monte Carlo. Der ist um den Löwen rumgelaufen, hat da irgendeinen Trick gemacht. Dann lief er auf die Postamente – er selber – und was weiß ich, neue Stiefel - keine Ahnung - ausgerutscht und vor dem Löwen, aber wirklich vor dem Löwen lag er, aber lang. Richtig auf dem Bauch lag er da. Eine Löwin wollte gleich auf ihn los. Weil hat sich mehr erschrocken als alles andere, wollte gleich auf ihn los und er ist dann auf dem Boden so weggerollt – Riesentheater. und dann hat die Löwin den Bambusstock noch kaputt gebissen –nur noch so ein kleines Stück in der Hand gehabt – also Riesentheater. Alles ging schief, was nur schief gehen konnte. Und am Ende, die Leute sind abgedreht. Die Nummer war fertig. Die Leute sind aufgestanden. Ein Riesenerfolg. Für die Leute war das einfach spannend und aufregend. "

Dann das Zeichen – alle rennen, tanzen, springen hinaus in die Manege. Das Neun-Mann-Orchester gibt Vollgas für eine kleine Choreographie mit großen Gesten und vor allem Lächeln, Lächeln, Lächeln –Show, Spektakel, Zirkus - vor weit aufgerissenen Kinderaugen.

Fließender Übergang in die erste Nummer – eine Hundedressur. Dieck – das Kostüm unter seinem grauen Arbeitsoverall geschützt – schon wieder bei seinen Tieren. Ein bisschen vorbereiten – das heißt ein bisschen aufwecken.

" Sind schon ziemlich groß. Wenn man damit eine kriegt, das merkt man schon. Nicht nur die Krallen – da sind auch einige 100 Kilo Schlagkraft hinter. "

Dann ist drinnen Pause und draußen geht alles sehr schnell. Diecks Mutter zupft einem Löwen noch vorsichtig die Mähne zurecht, drängt ihn "sein Geschäft" zu erledigen. In der Manege wird der Käfig aufgebaut, draußen der Netztunnel für den Auftrittsweg der Tiere eingerichtet. Jeder Handgriff muss sitzen. Schlamperei hätte blutige, wenn nicht gar tödliche Folgen.

Vater: " Tägliche Vorsicht, was man alles beachten muss. Gehen die Türen alle. Da hängt so viel von ab. Wenn das nicht klappt mit auf und zu - da muss man gucken, sind die Ketten zu. Sicherheit. Das ist sehr wichtig. "

Dann geht’s los. Dieck Junior in der Manege. Dazu die Löwen. Der Dompteur mit großen Gesten für Tiere und Zuschauer. Die Katzen rennen und springen von hier nach da und auch übereinander, klettern auf Podeste, zeigen sich in voller Größe, fletschen die Zähne und den Kindern bleiben die Münder offen. Dieck mit vollem Einsatz an Körpersprache, Konzentration und Autorität. Die Tiere folgen – nicht immer gleich, nicht immer selbstverständlich – sie sind dressiert aber keinesfalls gezähmt. Nach zehn schnellen, atemlosen Minuten ist Schluss. Ein Clown unterhält das Publikum, während die Zirkusarbeiter in Windeseile Käfig und Podeste aus der Manege räumen für den nächsten Auftritt – eine junge Frau, Meisterin der Hulahoop-Reifen. Dieck schon längst wieder im Overall, schon längst wieder bei seinen Tieren.

Beruhigen und Loben und dann den Stall saubermachen.

Schließlich wieder in die Manege, zum Finale, zum Abschied, Dank ans Publikum und Schlussapplaus. Wieder Lächeln, Tanzen, Lächeln. Nach einer kurze Pause die Abendvorstellung – alles noch mal von vorn, haargenau der gleiche Ablauf. Bis 22:00 Uhr: Feierabend. Zumindest für die Raubtiere.

Die bekommen wie jeden zweiten Abend ihr Fressen. Große 10 Kilo schwere Fleischbrocken sorgen für große Aufregung. Und wer nur den Anschein macht, er könnte ihnen das Fressen streitig macht, bekommt was zu hören.

Dieck steht daneben, wirkt müde. Sein Feierabendbier ist noch eine Stunde weit weg. Wenn die Löwen gefressen haben, die Käfige gesäubert sind. Erst dann ruht auch der Dompteur.

" Immer mit einem Ohr, ob nichts draußen los ist bei den Tieren. Auch wenn man schläft. Es kann hageln, das höre ich nicht. Aber wenn ein kleiner Klacker ist, bin ich sofort wach.