Arbeitsmigration

Jobbörse für hochqualifizierte Zuwanderer soll Firmen helfen

Ein junger Mann vor einem Computer
Computerfachmann aus Indien an seinem Arbeitsplatz in Deutschland © dpa / Robert B. Fishman
Thomas Liebig im Gespräch mit Dieter Kassel  · 05.02.2015
Ein Punktesystem wie in Kanada, mit dem man Arbeitszuwanderung steuern könnte, sei für Deutschland nur bedingt geeignet, sagt OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig. Sinnvoller sei eine "Jobbörse" für hochqualifizierte Zuwander, damit deutsche Arbeitgeber weltweit Bewerber aus einem Pool aussuchen könnten.
Es gebe beispielsweise in Indien tausende mögliche Arbeitnehmer, die sehr gut Deutsch könnten und vom Profil her geeignet seien, sagte der Leiter der Abteilung für Internationale Migration der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Deutschlandradio Kultur. Seiner Meinung nach hätten deutsche Arbeitgeber mögliche Bewerber außerhalb der Europäischen Union noch zu wenig im Blick. Er zeigte sich skeptisch, ob ein Punktesystem für Deutschland zu empfehlen sei.
Lob für bestehende Gesetzgebung
"Das gegenwärtige System, vor allem, was die hochqualifizierte Zuwanderung anbelangt, ist sehr liberal", lobte Liebig die bestehenden Regelungen zur Zuwanderung in Deutschland. "Sie können im Prinzip gegenwärtig, wenn sie einen hochqualifizierten Abschluss haben, einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss und ein entsprechendes Jobangebot haben, wenn sie ein einigermaßen gutes Gehalt bekommen, das marktgerecht ist, auch nach Deutschland kommen." Das sei wesentlich liberaler als beispielsweise das Punktesystem in Kanada. "Wo es Nachholbedarf gibt, das ist im mittelqualifizierten Bereich und da könnte beispielsweise eine weitere Öffnung durchaus diskutiert werden", empfahl der Experte.
Abwanderung als Problem für Ursprungsländer?
Liebig sagte, in Ländern wie China und Indien habe es in den vergangenen Jahren eine "Riesenexpansion im Bildungsstand" gegeben. Deshalb wirke sich eine Abwanderung von ein paar Tausend Arbeitnehmern nach Deutschland nicht nachteilig auf die Ursprungsländer aus. "Es ist nur ein ganz kleiner Teil der Hochqualifizierten, die letztendlich nur abwandern", sagte er. Das sehe bei einigen afrikanischen Ländern oder kleinen Ländern in der Karibik anders aus. Allerdings gingen Arbeitnehmer auch weg und kehrten zurück. "Wenn die Leute abwandern, können sie auch positive Effekte für ihr Ursprungsland bringen."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Die Idee, die Einwanderung nach Deutschland mit einem Punktesystem zu steuern, trifft in der Politik immer mehr auf Zustimmung. SPD-Fraktionschef Oppermann hatte das jüngst vorgeschlagen. Seine Partei ist in der Frage zwar uneins, will aber bis Ende Februar ein Konzept vorlegen. Auch in der Union gibt es Stimmen für und gegen ein solches Punktesystem, und so wird es wohl ganz unterschiedliche Argumente zu hören geben heute in Berlin, denn auf Antrag der Grünen diskutiert der Deutsche Bundestag heute über ein modernes Einwanderungsgesetz. Thomas Liebig sitzt nicht im Deutschen Bundestag, sondern er ist Migrationsexperte der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Schönen guten Morgen, Herr Liebig.
Thomas Liebig: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Würden Sie denn der Bundesrepublik ein solches Punktesystem empfehlen?
Liebig: Nicht unbedingt. Denn das gegenwärtige System, vor allen Dingen, was die hochqualifizierte Zuwanderung anbelangt, ist sehr liberal, liberaler als die meisten Punktesysteme dann letztendlich wären. Sie können im Prinzip gegenwärtig, wenn Sie einen hochqualifizierten Abschluss haben, also einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss haben und ein entsprechendes Jobangebot haben, wenn Sie ein einigermaßen gutes Gehalt bekommen, das marktgerecht ist, dann auch nach Deutschland kommen. Das ist wesentlich liberaler als beispielsweise in Kanada, für diesen Personenkreis. Wo es noch Nachholbedarf allerdings gibt, das ist im mittelqualifizierten Bereich. Und da könnte beispielsweise eine weitere Öffnung durchaus diskutiert werden.
Kassel: Ich glaube, dass im Moment viele Leute dieses Wort Punktesystem in den Mund nehmen und gar nicht so ganz genau wissen, wovon sie reden. Wie funktioniert denn so ein System überhaupt?
Liebig: Richtig. Also, ein Punktesystem ist nicht das System, dass sozusagen alle Probleme der Zuwanderung löst. Es ist auch nicht ein System, das alle Zuwanderer auswählt, sondern es betrifft zunächst erst mal nur einen relativ kleinen Teil der Zuwanderer, auch in Staaten wie Kanada, nämlich die Arbeitsmigranten. Das ist so ungefähr 25 Prozent der Zuwanderung nach Kanada. Für Deutschland, wo der überwiegende Teil der Migration innereuropäisch ist, das heißt, der wird nicht gesteuert, sondern ist rein nachfragegesteuert durch die Arbeitsangebote der Arbeitgeber, da macht das sogar nur fünf Prozent aus, dieses gesteuerte Arbeitszuwanderung aus Drittstaaten.
Das funktioniert folgendermaßen: Als Kandidat haben Sie ein Alter, Sprachkenntnisse, Qualifikationen, und die werden jeweils dann mit Punkten gewichtet. Und der Vorteil eines solchen Systems gegenüber einem System, wie wir es in Deutschland haben, ist, dass Sie verschiedene Kriterien gegeneinander abwägen können, sprich, Sie können besser die Sprache sprechen, haben aber da vielleicht nicht ganz so eine hohe Qualifikation. Dann können Sie trotzdem kommen, was gegenwärtig im deutschen System nicht möglich wäre.
Arbeitgeber nutzen das System zu wenig
Kassel: Wobei mich das jetzt fast mehr überzeugt, weil das deutsche System doch ganz wenige Kriterien hat. Sie müssen ein bestimmtes Mindestgehalt vorweisen und eine der Ausbildungen haben, die gerade auf der Liste stehen. Da scheint mir doch das Punktesystem etwas angemessener zu sein.
Liebig: Im deutschen System gegenwärtig gibt es zwei Mindestgehaltsschwellen sozusagen. Die erste betrifft, das ist die sogenannte „Blue Card"-Schwelle, die betrifft Personen, die einen Uniabschluss haben, also wie gesagt, einen hochqualifizierten Abschluss haben und ein entsprechendes Jobangebot haben. Dann gibt es für eine ausgewählte, die ist etwas höher – dann gibt es eine etwas niedrigere Schranke, die Personen betrifft, die Mangelberufe haben im hochqualifizierten Bereich. Das ist eine ausgewählte Liste. Die allgemeine Schranke gilt aber auch so. Aber ich glaube nicht, dass diese Gehaltsschwellen das Problem sind. Die sind noch nicht mal besonders hoch, auch im internationalen Vergleich nicht besonders hoch, sondern es ist eher das Problem, dass offensichtlich die Arbeitgeber auch gar nicht das so stark nachfragen nach diesem Personenkreis, und das System gegenwärtig kaum nutzen, unter anderem auch, weil sie ja die meisten Zuwanderer ja aus dem Bereich der innereuropäischen Wanderung gegenwärtig noch bekommen.
Kassel: Wie steht denn aber Deutschland im internationalen Vergleich überhaupt da, was die Zuwanderung von hochqualifizierten Kräften angeht?
Liebig: Also, wenn Sie die Zuwanderung von hochqualifizierten Personen generell nehmen, steht Deutschland relativ gut da, weil, wie gesagt, ein großer Teil dieser Zuwanderung ebenfalls aus dem Bereich der erweiterten EU kommt. Wenn Sie sich nur die Arbeitsmigration aus Drittstaaten anschauen, sprich die gesteuerte Arbeitsmigration außerhalb der EU, da hat Deutschland einen relativ kleinen Teil. Also sie sind sehr liberal, es kommen aber wenige. Aber wie gesagt, das liegt nicht unbedingt an den gesetzlichen Regelungen so stark, sondern einfach, dass gegenwärtig sehr viel Arbeitskräftebedarf innereuropäisch gedeckt wird, über die innereuropäische Wanderung, und auch möglicherweise, dass deutsche Arbeitgeber das noch gar nicht auf dem Radarschirm haben, dass sie gar nicht bereit sind, Personen aus Drittstaaten einzustellen, wenn sie vielleicht nicht ganz so gut Deutsch sprechen, vielleichte einen Akzent haben oder vielleicht nicht ganz exakt genau die gleiche Ausbildung haben wie der Herr Müller, der jetzt gerade in Rente geht und das 30 Jahre lang so wunderbar gemacht hat. Und genau da liegt das Problem. Ein weiteres Problem ist natürlich: Wie kann ich die Kandidaten in den Ursprungsländern, die teilweise sogar gut Deutsch können – es gibt in Indien Tausende Menschen, die Deutsch gelernt haben und das sehr gut können, auf B1-, B2-, teilweise sogar C2-Niveau, also auf einem sehr hohen Sprachstandsniveau – und wie kann ich diese Kandidaten, die gerne kommen würden und eigentlich ein Profil haben, das geeignet ist für die Zuwanderung, mit deutschen Arbeitgebern, die solche Personen suchen, in Verbindung bringen.
Und hier wäre eine Idee, eine gewissermaßen, eine Art „Job-Börse" zu schaffen durch einen Pool aus Bewerbern, aus dem dann die Arbeitgeber aussuchen können. Und der Pool müsste allerdings so sein, dass die Leute, wenn sie gewisse Mindestkriterien haben, nur dann reinkommen, sprich der Arbeitgeber weiß, wenn ich aus diesem Pool jemanden einstelle und diese Person ist in diesem Pool drinnen, dann kann ich diese Person auch einstellen. Also, ich muss dann nicht noch mal ein ganzes Zulassungsverfahren mit Unsicherheiten und mit großen Unwägbarkeiten durchgehen, sondern die Person kann dann real auch kommen. Das wäre natürlich auch ein Riesenanreiz, die deutsche Sprache in den Ursprungsländern zu lernen.
Abwanderung ist eher ein Problem für Afrika
Kassel: Nun gibt es aber ein Problem, das ich da immer wieder sehe, nicht nur mit Deutschland. Aber bleiben wir bei Ihrem Beispiel Indien. Wenn nun viele gut ausgebildete Inder nach Deutschland, meinetwegen auch in die USA, nach Großbritannien, wohin auch immer gehen, dann holen wir ja Fachkräfte, die dort, in diesem Land, auf dessen Kosten ausgebildet wurden und die da fehlen. Ist dieser internationale Wettbewerb nicht am Ende ruinös.
Liebig: Na ja gut, zum einen müssen wie es so sehen, dass die Länder wie jetzt beispielsweise auch Indien, China, die jetzt die großen Ursprungsländer für die hochqualifizierte Migration sind, die hatten eine Riesenexpansion im Bildungsstand. Und dort machen diese paar Tausend, die nach Deutschland gehen, machen dort global nicht viel aus. Also ein ganz kleiner Teil der Hochqualifizierten, die letztendlich nur abwandern. Das Problem ist relativ stark bei gewissen afrikanischen Ländern und bei gewissen, vor allem auch bei kleinen Ländern, aus der Karibik beispielsweise, aber aus denen haben wir gegenwärtig sehr, sehr wenig Zuwanderung.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es ja auch ein Anreiz sein kann, in Bildung zu investieren für diese Personen und nicht jeder dann letztendlich auch nach Deutschland kommt. Manche, die kommen, gehen ja dann auch wieder zurück. Das heißt, es ist nicht immer nur unbedingt eine Schwarzweißsache, sondern wenn die Leute abwandern, können sie auch positive Effekte für ihr Ursprungsland dann bringen, indem sie vielleicht wieder zurückkehren oder durch Zahlungsüberweisungen. Und auch nicht jeder, der jetzt aufgrund der Möglichkeiten, die sich ihm eröffnen, jetzt in Ausbildung, hier sagt, ich bilde mich jetzt aus, ich lern Deutsch – nicht jeder wird dann auch natürlich letztendlich dann nach Deutschland gehen.
Kassel: Könnte denn ein Punktesystem, auch wenn Sie ja schon erklärt haben, dass es für Deutschland jetzt eventuell nicht besonders sinnvoll ist, ein solches einzuführen, aber könnte ein Punktesystem auch die Akzeptanz von Einwanderung in Deutschland erhöhen? Gibt es da Erfahrungen aus anderen Ländern?
Liebig: Wie das die Länder wie Kanada, Australien und Neuseeland machen, die haben Punktesysteme, weil sie gewissermaßen sehr viel auch Anfragen natürlich haben, sehr viel Nachfrage von potenziellen Kandidaten. In Deutschland ist ja das Thema eher, dass relativ wenige gegenwärtig kommen wollen letztendlich nach Deutschland, weil sie gar nicht über die Sprachkenntnisse beispielsweise verfügen. Das heißt also auch, der Kandidatenkreis ist wesentlich stärker eingeschränkt als in Kanada. Wir dürfen uns auch keine Illusionen machen, dass mehr Arbeitsmigration, beispielsweise indem man jetzt öffnen würde, ein Punktesystem einführt und generell noch mehr liberalisieren würde, wobei wie gesagt, ein Punktesystem ist nicht unbedingt liberaler als das gegenwärtige System.
Aber nehmen wir an, das wäre so ausgestaltet, dass dann letztendlich mehr Zuwanderung kommen würde – das hätte letztendlich nicht nur mehr Arbeitszuwanderung zur Folge, sondern auch mehr Migration als solches. Der Vorteil dieser Geschichte ist, dann haben Sie generell im Durchschnitt einen höheren Bildungsstand der Zuwanderer, und wenn Sie einen höheren Bildungsstand der Zuwanderer haben, dann erhöht sich auch die Akzeptanz der Zuwanderer. Also es ist in der Tat nicht unbedingt korreliert, die Anzahl der Zuwanderer mit der Akzeptanz von Zuwanderern. Sie haben eine sehr hohe Akzeptanz in Ländern beispielsweise wie Neuseeland, Australien, Kanada, wo die Zuwanderung noch wesentlich höher ist bezogen auf die Bevölkerung als gegenwärtig in Deutschland.
Kassel: Der deutsche Bundestag debattiert heute auf Antrag der Grünen über ein modernes Einwanderungsgesetz. Wir sprachen mit Thomas Liebig, Migrationsexperte der OECD, darüber, was da Sinn machen könnte und was nicht. Herr Liebig, vielen Dank für das Gespräch!
Liebig: Danke, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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