Arbeitsmarkt

Statistische Tricks auf Kosten der Langzeitarbeitslosen?

Logo der Bundesagentur für Arbeit mit Menschenmenge
Jeder dritte Arbeitslose ist langzeitarbeitslos. © imago / Ralph Peters
Stefan Sell im Gespräch mit Nicole Dittmer und Andre Hatting · 30.08.2017
Jeder dritte Arbeitslose zählt inzwischen zu den Langzeitarbeitslosen. Doch die angebotenen Fördermaßnahmen seien oft "völlig schwachsinnig", sagt der Arbeitsmarktexperte Stefan Sell. Sie dienten allein dazu, "statistische Entlastungseffekte" zu erzielen.
Jeder dritte Arbeitslose zählt inzwischen zu den Langzeitarbeitslosen, also zu den Menschen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind. Für den Wirtschaftswissenschaftler Stefan Sell ist die Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit das Kernproblem der Arbeitsmarktpolitik.
Das liege vor allem daran, dass man sich zu wenig um diese Menschen kümmere, sagte Stefan Sell im Deutschlandfunk Kultur:
"Man hat von 2011 bis vor kurzem die zur Verfügung stehenden Fördermittel für diese Menschen halbiert, also um mehrere Milliarden heruntergefahren."
Hinzu komme, dass die angebotenen Förderungen "durchaus fragwürdige", in seinen Augen zum Teil "völlig schwachsinnige Maßnahmen" seien. Als Beispiel nennt Sell Menschen, die zum sechsten Mal in Folge eine Maßnahme durchführen müssen zum Thema "Wie bewerbe ich mich richtig im Internet?", dann sei das "natürlich totaler Humbug".
Solche Maßnahmen seien "quick & dirty", weil sie billig seien und letztlich der Statistik dienten:
"Sie müssen auch bedenken, dass jemand, der eine Acht-Wochen-Maßnahme macht, die vielleicht auch noch sehr fragwürdig ist, der zählt statistisch nach dieser Zeit dann nicht mehr als Langzeitarbeitsloser. Seine Karriere beginnt von neuem, das ist natürlich totaler Unsinn!"

Sinnvolle Maßnahmen werden kaum gefördert

Währenddessen gebe es Maßnahmen, die sehr sinnvoll seien, aber kaum noch angeboten würden, so Sell:
"Nämlich die viel gescholtenen Umschulungen, wo jemand einen Berufsabschluss bekommt, die oft über zwei oder drei Jahre laufen müssen. Da wissen wir, dass die Wahrscheinlichkeit von Hartz-IV-Empfängern dann vier Jahre später in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu sein, das ist nach einer Umschulung um 20 Prozent höher bei Frauen und bei Männern über 12 Prozent, das sind gewaltige Werte. Das heißt, die zahlen dann auch Beiträge und Steuern. Nur: Diese Maßnahmen hat man fast auf null runtergefahren, und auch jetzt gibt es davon viel zu wenig."
Umschulungsmaßnahmen seien teurer als die üblichen Maßnahmen. Und auch der Statistik zuliebe würden eher kürzere Maßnahmen gefördert:
"Es gibt noch einen anderen Effekt: Sie können dann nur einen Arbeitslosen maximal drei Jahre fördern, und mit den vielen kleinen kürzeren Maßnahmen können Sie viel größere statistische Entlastungseffekte erzielen."

Jobcenter bedienen sich am Topf für Arbeitslose

Außerdem stünden jetzt fast drei Milliarden Euro weniger für Hartz-IV-Empfänger zur Verfügung als noch 2011. Das liege auch daran, weil sich die Jobcenter aus diesem Topf bedienen.
"Die Jobcenter haben sich in den letzten Jahren immer stärker bedient an diesem Topf, um ihre eigenen Personalkosten und Raummieten zu finanzieren, weil sie zu wenig Geld für ihre Verwaltung bekommen haben, das waren über 500 Mio. Euro, die man aus diesem Topf für die Arbeitslosen rausgenommen hat, um damit die Jobcenter zu finanzieren."
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