Arbeit und Freizeit

"Muße verhandelt gesellschaftliche Grundfragen"

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Mit Achtsamkeitsübungen gegen den Stress? Der Freiburger Wissenschaftler Gregor Dobler glaubt nicht, dass der Einzelne das Muße-Problem der Gesellschaft lösen kann. © imago stock&people
Gregor Dobler im Gespräch mit Katrin Heise · 30.12.2017
Nichtstun ist noch lange keine "Muße". Muße habe mit Freiheit - mit "Zweck-Freiheit" - zu tun, meint der Freiburger Ethnologe Gregor Dobler. Wenn wir unsere Freizeit vor allem dazu nützten, wieder fit für eine "schlechte Arbeitswelt werden, dann sei das problematisch.
Ausschlafen, Freunde treffen, den Roman fertig lesen, Zeit für die Kinder haben oder endlich mal spazieren gehen … - auf der Suche nach Muße gerät manch einer in der freien Zeit schon wieder in Stress.
Den Freiburger Ethnologen Gregor Dobler wundert das nicht. Als Wissenschaftler, der sich in einem Sonderforschungsbereich mit Muße beschäftigt, kommt er aber zu dem Schluss, dass auch Aktivität durchaus "mußevoll" sein kann:
"Man kann nichts tun und sich furchtbar langweilen. Und man kann hart arbeiten und dabei das Gefühl haben: Man ist frei und nicht bestimmt durch Zwänge."

Mit Achtsamkeit den Stress im Beruf bewältigen?

Das Erleben von Muße bringt er mit dem Erleben von Freiheit in Zusammenhang. Ganz schlecht hingegen sei, es die Muße dafür zu nutzen, sich wieder fit für den widrigen Arbeitsalltag zu machen. Dobler sagt:
"Nur wenn wir dann in der Freizeit Achtsamskeitsübungen machen, damit wir mit dem Stress im Beruf besser fertig werden, dann ist irgendwas falsch. Also wenn die Muße auf den Einzelnen verlagert wird und es ihm zur Aufgabe gemacht wird, in seiner Freizeit mußevoller zu leben, damit er die schlechte Arbeitswelt besser aushält, dann haben wir ein Problem."
Dobler vertritt die Ansicht, dass das "Thema Muße" gesellschaftliche Grundfragen verhandelt - zum Beispiel diese:
- Wie sehr lassen wir uns von Nützlichkeitsanforderungen bedrängen?
- Wo findet man im Alltag Räume, wo man kritisch werden kann?
- Wie gehen wir mit der Allgegenwart von Leistungsanforderungen um, gerade auch in unserer Gesellschaft?

Auch wer arbeitslos ist, kann nach Muße suchen

Andererseits sei Arbeitslosigkeit keineswegs mit Muße haben zu verwechseln. Dobler berichtete hier von seinen Beobachtungen als Wissenschaftler in Namibia, wo Armut und Arbeitslosigkeit die vorherrschenden Probleme seien.
"Was ich spannend fand dabei, in Namibia, dass auch die Arbeitslosen, bei denen ich gelebt habe, Muße suchen – nur von der anderen Seite her."
Muße sei in einem von Arbeitslosigkeit geprägten Alltag, wenn in einem Tag mit "Inseln voller Langeweile" etwas Besonderes passiere:
"Frauen flechten einander die Haare zum Beispiel, oder man trifft sich in der Kneipe und unterhält sich miteinander. Und irgendwie empfindet man diese Zeit, in der man nichtmehr gelangweilt ist, auf eine ganz ähnliche Weise produktiv wie wir die Zeiten, in den wir nicht arbeiten müssen."
(huc)
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