Arbeit 4.0 in Paris

Protestwähler aus Zukunftsangst

Metro-Station in Paris
Pariser Metro: 244 Fahrer werden in Zukunft nicht mehr gebraucht. © imago/allOver-MEV
Von Burkhard Birke · 11.07.2017
Roboterarme, 3D-Drucker, selbstfahrende Metros: In der Arbeitswelt 4.0 werden immer mehr Aufgaben automatisiert erledigt. Ist die Digitalisierung ein Jobkiller? Das fürchten nicht wenige Franzosen - und es hat auch Auswirkungen auf ihre Wählerstimmen.
Mit seinem Tablet Computer überprüft Vorarbeiter Serge Maranghi noch einmal, ob alle Komponenten am Gestell des Motorrollers sind. Eine kleine vollautomatische Karre lädt es auf und bringt es zur nächsten Station, wo Arbeiter mit Hilfe von Roboterarmen Räder und andere Teile greifen und montieren.
"Die Räder wiegen 15 Kilo. Normalerweise müsste man drei bis vierhundert pro Tag schleppen. Jetzt erledigt das der Roboter."
Fehlende oder defekte Teile produzieren 3D-Drucker. Willkommen in der Arbeitswelt 4.0, der vierten industriellen Revolution.
"Man spricht von 15 Prozent Produktivitätszuwachs. Man gewinnt aber vor allem enorm an Flexibilität. Auf einer Produktionslinie können maßgeschneiderte Produkte hergestellt werden", schwärmt Olivier Scalabre, Partner bei der Boston Consulting Group, BGC.
In Saclay, eine Autostunde südlich von Paris, steht das ICO: Ein Versuchslabor für die Technik der Zukunft. Motorroller, aber auch Bonbons werden hier mit voll integrierter Datenverarbeitung und elektronischer Steuerung hergestellt.
"Es ist schwer heute in dieser Gesellschaft seinen Platz zu finden – ob in der Arbeitswelt oder in der Politik, in der Gesellschaft ganz allgemein – und ich gehöre zur digitalen Generation!"

Vernichtung von Arbeitsplätzen

Samia arbeitet im ICO, schabt manuell die Bonbons aus den Formen. Das Entscheidende für sie ist, überhaupt Arbeit zu haben.
Digitalisierung als Jobkiller?
"Sie bringt sicher viel Gutes, aber vernichtet Arbeitsplätze. Das schürt Zukunftsangst."
Wie viele andere Pariser steigt Johann jedoch täglich in die Metro ohne Fahrer – und demnächst auch in den voll automatischen Hochgeschwindigkeitszug? Bei der Pariser Metro wird nach den Linien 14 und 1 jetzt auch die 4 auf fahrerlosen Betrieb umgerüstet.
"244 Fahrer werden nicht mehr gebraucht. Insgesamt sind 460 Jobs in dem Bereich verloren gegangen."
Arnaud Mocquelet und seine Gewerkschaftskollegen von der CGT wollen den Fortschritt nicht aufhalten, sondern gestalten.

"All diese Menschen sind Protestwähler"

ei der RATP wurden die Fahrer auf anderen Linien eingesetzt, um die Frequenz zu erhöhen. Nicht immer laufen Modernisierungen so glimpflich ab.
"Die Beschäftigten von Amazon, in Callcentern, Arbeiter in Fabriken, wo umstrukturiert und Roboter eingeführt wurden, ohne dass sie zuvor einbezogen wurden, all diese Menschen sind Protestwähler. Die haben keine Perspektive, ihnen wird nichts angeboten. Die haben die Schnauze voll", sieht Mohammed Oussedik vom Vorstand der Gewerkschaft CGT ein echtes Problem für die Politik.
Die Herausforderung für die Regierung – nicht nur in Frankreich – ist klar: Arbeit schaffen und gerecht verteilen, denn schon jetzt haben die wenigsten jungen Menschen wie Joana Vertrauen in die Eliten.
"Ich habe kein Vertrauen mehr. Ich warte ab, was der neue Präsident bringt. Wenn er es nicht schafft, wird Frankreich extrem Rechts wählen, fürchte ich."
Die Reihe "Populismus im Aufwind? Deutsch-französische Reportagen" entstand in Kooperation mit France Inter.
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