Aprilscherze

Wenn die Glaubwürdigkeit auf den Hund kommt

Ein Demonstrant hält ein Plakat mit der Aufschrift "Truth", Wahrheit hoch, bei dem Protestmarsch in New York in Reaktion auf Donald Trumps "Krieg gegen die Medien"
Wer weiß schon noch, was wahr ist, und was nicht? © imago/Levine-Roberts
Georg Kamphausen im Gespräch mit Ute Welty · 01.04.2017
Der Aprilscherz ist in der Krise: Bei denen, die Fake News verbreiten, ist gewissermaßen das ganze Jahr über 1. April. Die anderen wollen wegen der Fake-News-Debatte gar keine Aprilscherze mehr machen. Was tun, haben wir den Soziologen Georg Kamphausen gefragt.
Eigentlich geht es beim Aprilscherz darum, die Grenzen dessen zu testen, was Menschen bereit sind zu glauben. Doch in Zeiten von Fake News werde es immer schwieriger, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden, meint der Soziologe Georg Kamphausen.
Dennoch rät er davon ab, sich ganz von der Tradition des Aprilscherzes zu verabschieden. "Der Aprilscherz, könnte man sagen, ist ja so eine Art Demutstest", sagte er im Deutschlandradio Kultur. "Also, ist man bereit, anzuerkennen, dass man nicht alles selbst wissen kann, dass man nicht über alles Wissen verfügt, um unterscheiden zu können, was wahr ist und was nicht wahr sein könnte?"

Ohne fremde Hilfe durch den Informationsdschungel

Genau das wollen Kamphausen zufolge offenbar viele Menschen nicht mehr akzeptieren: Wir seien heutzutage nicht mehr geneigt, Autoritäten zu vertrauen. "Wir trauen uns eigentlich nur selbst und wundern uns dann, dass wir solchen – ja, wie soll man sagen – merkwürdigen Auffassungen über die Wirklichkeit oder Vorstellungen dann anheimfallen", sagte der Soziologe.
Das habe auch mit der Informationsüberfrachtung zu tun, der wir täglich ausgesetzt seien. "Für uns ist die Welt eine unüberschaubare Menge kontingenter, komplexer Informationen, und wir sind diejenigen, die uns durch den Urwald hindurchschlängeln, und wir wollen das ohne fremde Hilfe tun", so Kamphausen. "Wenn alle der Meinung sind, sie wüssten gleich viel oder seien auf jeden Fall alle in der Lage, zu entscheiden, was wahr oder was falsch ist, dann funktioniert das leider nicht. Das ist unser Problem."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Extraburger für Linkshänder oder lila Plaketten für Autos, die vorwiegend von Frauen gefahren werden: Mehr oder weniger gut gemachte und gemeinte Aprilscherze hat es im Laufe der Jahre einige gegeben. Legendär der Aprilscherz der BBC, die vor genau 60 Jahren mit wunderbaren Bildern in schwarz-weiß von der Spaghettiernte im Tessin berichtete.
((Einspieler))
Es muss ungeheuer viel Arbeit gewesen sein, die Spaghetti an die Zweige zu nageln, aber was tut man nicht alles für einen erfolgreichen Aprilscherz. Seit 1957 hat sich aber viel verändert, was den Umgang mit Aprilscherzen angeht, und darüber Gedanken gemacht hat sich Georg Kamphausen, Soziologe an der Uni Bayreuth. Guten Morgen!
Georg Kamphausen: Ja, guten Morgen!

Öffentlichkeitswirksam Glaubwürdigkeitsgrenzen verschieben

Welty: Wenn Sie von Scherzen wie der Spaghettiernte hören, hören Sie dann auch vom goldenen Zeitalter des Aprilscherzes?
Kamphausen: Ja, ein wenig schon. Also, natürlich geht es auch da um die Grundfrage dessen, was beim 1. April die ganz große Rolle spielt, nämlich nicht einzelne Personen in den April zu schicken, sondern öffentlichkeitswirksam die Grenzen zu verschieben zwischen dem, was wir für plausibel und glaubwürdig erachten, und dem, was wir für ganz unmöglich erachten und ansehen.
Welty: Aber war der Aprilscherz nicht auch schon sehr früh auch Ausdruck von Machtmissbrauch, Machtmissbrauch der Medien?
Kamphausen: Weiß ich nicht. Ich glaube, eher nicht. Also es gab so individuelle Racheakte nach diesem englischen Tit for Tat, also, ich schmiere jemanden aus oder schicke ihn in den April. Ich glaube, sehr lange schon hat sich das Verhältnis ja umgekehrt. Gelacht wird ja mehr oder weniger nicht mehr über den, der das glaubt, sondern über den Aprilscherz selbst. Also man durchforstet heutzutage doch die Zeitung am 1. April, man hört ins Radio hinein und ist dann der ganz Kluge, wenn man weiß, dies oder jene kann gar nicht sein, also, da hat sich die Redaktion oder irgendein Journalist was Nettes einfallen lassen.

Die Glaubwürdigkeit ist auf den Hund gekommen

Welty: Was bedeutet denn das Aufkommen von Fake News, von alternativen Fakten für den Umgang mit dem Aprilscherz?
Kamphausen: Na das macht die Sache natürlich doppelt interessant und doppelt schwierig. Also, wir leben in Zeiten, in der die Glaubwürdigkeit, könnte man sagen, vollständig auf den Hund gekommen ist. Also wir haben es extrem schwer, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden. Also das, was die Literaturwissenschaftler interessiert, wenn sie von Romanen reden und das, was im Roman erzählt wird, von der wahren Wirklichkeit unterscheiden. Wir leben in Zeiten, in denen das wahnsinnig schwerfällt, zwischen fact and fiction wirklich vernünftig unterscheiden zu können. Das ist dieses klassische, wie soll ich sagen, Glaubwürdigkeitsproblem.
Das hat was mit der Komplexität der Informationsüberfrachtung zu tun, mit der wir täglich zu tun haben, und natürlich mit der Schwierigkeit, dass wir nicht mehr so geneigt sind, wie in früheren Generationen, den Autoritäten zu vertrauen, die diese Informationen in Wissen verwandeln und autorisieren, dass wir uns da anschließen können. Wir trauen uns eigentlich nur selbst und wundern uns dann, dass wir solchen – ja, wie soll man sagen – merkwürdigen Auffassungen über die Wirklichkeit oder Vorstellungen dann anheimfallen.
Also, es verschiebt sich so die Wahrscheinlichkeitserwartung, was man für plausibel halten könnte, und da wir alle Machtmenschen sind oder uns selbst da in diese Position bringen wollen, haben wir auch großes Verständnis dafür, wenn andere Menschen, auch wenn sie mit völlig abstrusen Ideen hausieren gehen, wenn sie damit Erfolg haben, dann applaudieren wir in der Regel.

Ein ganzjähriger Aprilscherz

Welty: Würden Sie soweit gehen, zu sagen, wir leben in einem Aprilscherz, der 365 Tage lang dauert?
Kamphausen: Ja, so ungefähr! Ja, ja, so ungefähr. Wenn man, wie gesagt, noch bedenkt, also, wir sind alle sehr ernst dabei. Also wenn wir, sagen wir mal, ironiefähig wären, dann wäre es ja vielleicht ganz gut. Dann hätte man auch eine gemeinsame Basis, von der aus man in der Lage wäre, Zumutungen auch zurückzuweisen. Also der Aprilscherz, könnte man sagen, ist ja so eine Art Demutstest. Also ist man bereit, anzuerkennen, dass man nicht alles selbst wissen kann, dass man nicht über alles Wissen verfügt, um unterscheiden zu können, was wahr ist und was nicht wahr sein könnte.
Welty: Es gibt auch Journalisten, die inzwischen dazu aufrufen, die Aprilscherze angesichts der Umstände einfach zu lassen. Was halten Sie davon?
Kamphausen: Ach, ich weiß nicht, ob das eine wirklich gute Idee wäre. Vor allen Dingen, weil der Aprilscherz nicht nur von Journalisten produziert wird, sondern von allen möglichen Institutionen, die Aufmerksamkeit erregen wollen. Das findet ja inzwischen im Netz statt, das findet auf öffentlichen Plätzen statt. Das sind Vereine, die sich sowas einfallen lassen. Auch als Mittel, sich in den Vordergrund zu drängen, also gar nicht so sehr, weil man Leute in den April schicken möchte, sondern weil man vielleicht wahrgenommen werden möchte.

"Nicht jeder Blödsinn, der behauptet wird, ist harmlos"

Welty: Also Sie plädieren eindeutig dafür, die Tradition fortzusetzen.
Kamphausen: Ja, inwieweit das eine Tradition ist… Also, wofür ich plädieren würde, ist, dass man in der Lage wäre, wirkliche Aprilscherze, die witzig gemeint sind, von unzumutbaren Auffassungen zu unterscheiden. Nicht jeder Blödsinn, der behauptet wird, ist harmlos.
Welty: Aber wo Sie gerade die Fähigkeit ansprechen zu unterscheiden, warum fällt es uns überhaupt heutzutage so schwer, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden? Warum sind uns die Orientierungspunkte verloren gegangen?
Kamphausen: Ja, das ist zum Beispiel, dass wir nicht mehr gemeinsam in der Lage sind, über Zumutungen zu lachen. Also es gibt von diesem berühmten Philosophen Shaftesbury den "Test by Ridicule". Das ist so ein Test, dass man sagt, wenn andere so wie ich über etwas lachen, also wie zum Beispiel eine Grenzverletzung oder eine unzumutbare Behauptung, wenn wir uns einig sind darüber, dass wir uns über andere lustig machen können, weil die Blödsinn erzählt haben, dann ist die Welt noch halbwegs in Ordnung.
Der Rechtspopulist Geert Wilders verlässt am 15.03.2017 ein Wahllokal in Den Haag (Niederlande) . 
Auch Rechtspopulisten wie Geert Wilders profitieren vom nachlassenden Institutionenvertrauen.© dpa/ picture alliance/ Daniel Reinhardt/
Welty: Das setzt aber so etwas voraus wie gesellschaftlichen Konsens.
Kamphausen: Ja, genau. Genau, und dieser Konsens wird ja autoritativ auch hergestellt. Also, ich muss akzeptieren, dass andere mehr wissen als ich, sonst funktioniert das nicht. Wenn alle der Meinung sind, sie wüssten gleich viel oder seien auf jeden Fall alle in der Lage, zu entscheiden, was wahr oder was falsch ist, dann funktioniert das leider nicht. Das ist unser Problem.

Das Vertrauen in Institutionen schwindet

Welty: Was würde es brauchen, um neue Orientierungspunkte zu setzen, was würde es brauchen, um Informationen besser sortieren zu können und eben diesen Konsens herstellen zu können?
Kamphausen: Ich glaube nicht, dass man da wieder zurückgehen kann, dass man die Schraube da zurückdrehen kann. Das dürfte sehr, sehr schwierig sein. Dann müsste man bestimmte… Ich meine, das wird ja immer wieder versucht, auch in der Politik sieht man ja, dass die Menschen doch sehr nahe an, wie soll ich sagen, autoritativen Personen sind. Das sind nicht mehr die Institutionen, die die Glaubwürdigkeit haben, aber wenn sie selbst die Art und Weise betrachten, wie man mit Politikern umgeht, die eine sehr autoritäre oder autoritative Position vertreten, dann sieht man doch, dass das doch eher Zustimmung findet bei vielen Menschen, als dass das zurückgewiesen wird.
Wir haben die Institutionen mehr oder weniger an den Rand gedrängt. Denen trauen wir nicht mehr über den Weg, und davon ist die Politik insgesamt, aber auch die Personen natürlich, die da handeln, werden davon betroffen, aber es geht auch ins Grundsätzliche, Prinzipielle hinein. Wir können nicht mehr sagen, wofür die Universität zum Beispiel als Institution zuständig ist. Wir sind alle der Meinung, wir bilden Leute für einen Beruf aus.
Das hat Konsequenzen für den Bildungsbegriff, das ist ganz klar, und das passiert bei anderen Wissensbereichen genauso. Für uns ist die Welt eine unüberschaubare Menge kontingenter, komplexer Informationen, und wir sind diejenigen, die uns durch den Urwald hindurchschlängeln, und wir wollen das ohne fremde Hilfe tun.

Eine Konsequenz des Individualismus

Welty: Das klingt jetzt aber schon einigermaßen pessimistisch, Herr Kamphausen.
Kamphausen: Och, das ist nicht … Ich glaube, man muss das versuchen, einigermaßen realistisch beschreiben. Der Individualismus hat seine Konsequenzen im Hinblick auf den Umgang mit Wissensbeständen. Das, glaube ich, ist… Das ist jetzt sehr weit gegriffen, das hat schon was fast Philosophisches vielleicht, ist vielleicht auch eine überzogene Meinung zum Thema 1. April, wo es vielleicht nur um Scherze geht, aber Sie haben mit Ihrer Frage ja schon angedeutet, leben wir eigentlich 365 Tage im 1. April, und da würde ich sagen, da haben Sie bestimmt recht. Ja, die Gefahr besteht.
Welty: Gedanken zum 1. April und zum dazugehörigen Scherz von und mit dem Soziologen und Fastphilosophen Georg Kamphausen. Haben Sie herzlichen Dank!
Kamphausen: Dankeschön!
Welty: Und das Gespräch mit Georg Kamphausen haben wir aus Termingründen aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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